Das AKW Krümmel könnte ganz Hamburg mit Strom versorgen, doch seit Juni 2007 steht der Reaktor still - Schuld ist eine beachtliche Pannenserie
Geesthacht. Da steht man nun mitten drin. Im Rücken wölbt sich die Stahlwand des Sicherheitsbehälters, ausgekleidet mit Splitterschutzbeton. Nur wenige Schritte vor einem ist der Reaktor. In der Regel kann man hier nicht stehen. In der Regel ist der Sicherheitsbehälter mit Stickstoff gefüllt, wenn der Reaktor läuft. Aber die Regel ist längst zur Ausnahme geworden. Der Reaktor läuft nicht.
Das Atomkraftwerk Krümmel steht still.
Der „größte Siedewasserreaktor der Welt“, wie der schwedische Betreiber Vattenfall wirbt, könnte mit seiner Leistung von 1402 Megawatt pro Stunde ganz Hamburg versorgen. Aber seit dem 28. Juni 2007 hat das Kraftwerk in Geesthacht (Kreis Herzogtum Lauenburg) nur etwa zwei Wochen lang Strom produziert. Schuld ist eine Serie von Pannen: ein brennender Transformator, Risse in Schweißnähten an Rohrleitungen, fehlerhaft angebrachte Dübel, ein kaputter Brennstab, Kommunikationsprobleme beim Personal. Am 4. Juli 2009 gibt es einen Kurzschluss – wieder im Transformator. Krümmel schaltet sich ab.
Seitdem bläst Vattenfall starker Wind aus Politik und Gesellschaft entgegen. Schwarz-Grün in Hamburg ist grundsätzlich gegen einen Neustart, auch in CDU und FDP aus dem schwarz-gelb regierten Schleswig-Holstein, das die Atomaufsicht hat, mehren sich die Stimmen für ein Aus. An diesem Mittwoch will der Kieler Landtag über den Atomreaktor debattieren.
Der Reaktordruckbehälter ist ein 22 Meter hoher Zylinder von nicht ganz sieben Meter Durchmesser. Um den oberen Rand zu sehen, tritt man durch eine kreisrunde Montageluke des Sicherheitsbehälters. „Vorsicht. Strahlung“, steht auf einem Schild an der Öffnung. Verborgen im Kern des Reaktors reihen sich die hochradioaktiven Brennstäbe aneinander. Zigtausende sind es, gefüllt mit kleinen Uran-Pellets. Wird der Reaktor angefahren, schießen Neutronen auf sie ein und spalten das Uran. Dann wird diese ungeheure Energie freigesetzt, die Wasser zu Dampf macht, und den Dampf zu mechanischer Energie, und die mechanische Energie zu Strom.
„Radioaktivität kann im Prinzip überall sein“
Aber seit Monaten unterbinden 205 Steuerstäbe die Kettenreaktion. Dennoch dröhnt es im Hintergrund, Pumpen laufen. Noch immer muss das Wasser im Reaktor gekühlt werden, die derzeit 839 Brennelemente produzieren weiter Hitze, erklärt Petra Kunert vom Informationszentrum. „Ein normales Kraftwerk können Sie ausschalten und dann nach Hause gehen.“ Bei einem Atomkraftwerk geht das nicht.
Petra Kunert trägt einen grünen Overall und einen grünen Helm. In ihrer Brusttasche steckt ein gelber, kleiner Kasten. Das Dosimeter zählt die Strahlendosis. Rund 330 Vattenfall-Leute arbeiten in Krümmel, dazu kommen noch Wachleute, Maler, Elektriker und viele mehr. Manche trifft man vor dem Kontrollbereich, und sie haben nackte Beine, tragen weiße Kittel, blaue Socken und Badelatschen. Denn wer den Kontrollbereich, in dem mit Kontamination zu rechnen ist, betritt oder verlässt, muss die Kleidung wechseln. Er muss Geräte und Schleusen passieren, bis eine automatische Stimme sagt: „keine Kontamination“. „Radioaktivität kann im Prinzip überall sein“, sagt Kunert. An Kleidung und Schuhen können Partikelchen haften bleiben, und nichts davon darf nach außen.
337 Millionen Euro für Investitionen und Instandhaltung
Im Maschinenhaus mit seinen Turbinen und dem Generator steht ein Mann unter einem Stahlbehälter. Er tunkt ein kleines Gerät in einen Plastikeimer mit grünlich schimmernder Masse und fährt damit über den Behälter. Per Ultraschall überprüft er die Wandstärke. Es ist die jährliche Revision, jetzt im März. Schweißnähte werden gecheckt, Pumpen kontrolliert – hunderte Prüfaufträge haben die Mitarbeiter, alles ist minutiös geplant.
Seit Mitte 2007 haben Investitionen und Instandhaltung 337 Millionen Euro gekostet. Der Stillstand bedeutet außerdem Produktionsausfälle, jeden Tag. Von einer Million Euro in Krümmel und dem älteren Atomkraftwerk Brunsbüttel, das ebenfalls stillsteht, war mal die Rede. Der Energie-Konzern Vattenfall nennt keine aktuellen Zahlen.
Wann das Kraftwerk wieder an den Start geht, ist offen
Wenn Krümmel läuft, ist der Reaktor mit einem gewölbten Betondeckel verschlossen. Jetzt liegt dieser Deckel neben einem großen Becken, das mit Wasser gefüllt ist. In der Tiefe scheint der offene Reaktor durch. Auf der anderen Seite des Beckens in leuchtend blauem Wasser sind 840 Brennelemente mit ausgebrannten Brennstäben ordentlich aufgereiht. Das reine Wasser schirmt die radioaktive Strahlung ab. Drei, vier Jahre lagern die Brennelemente da und kühlen aus. Dann werden sie in Castor-Behälter verpackt, die nur ein paar Gebäude weiter auf dem Gelände im Zwischenlager bleiben – wohl so lange, bis es ein Endlager gibt.
Wann das Kraftwerk wieder an den Start geht, ist offen. Möglicherweise nicht mehr dieses Jahr, hat der scheidende Vattenfall-Chef, Lars Göran Joseffson, kürzlich gesagt. Die Pressesprecherin Barbara Meyer-Sukow versucht, etwas optimistischer zu klingen. Dieses Jahr sei nicht auszuschließen, sagt sie.
88 Terrawattstunden Strom darf Krümmel noch produzieren, dann ist Schluss. Das für die Atomaufsicht zuständige Kieler Justizministerium plädiert dafür, Reststrommengen auf jüngere Kraftwerke wie Brokdorf zu übertragen. „Hierfür gab es von Vattenfall aber keine Zustimmung“, sagt der parteilose Minister Emil Schmalfuß. Für ihn geht es nun darum, ob die Atomaufsicht Vertrauen haben könne, dass Vattenfall die Anlagen zuverlässig betreiben kann. Trotz aller Kritik zeigt sich der Konzern zuversichtlich. „Wir haben eine Betriebsgenehmigung“, sagt Meyer-Bukow. „Wir gehen davon aus, dass wir dieses Kraftwerk wieder anfahren und wieder betreiben können.“