Nach Seehofers Vorschlag, nach alternativen Endlagern für Atommüll zu suchen, sehnen die Anwohner von Gorleben das Ende des Salzstocks herbei.
Hannover. Atomkraftgegner aus dem niedersächsischen Wendland begrüßen den Vorschlag von CSU-Chef Horst Seehofer für einen Neustart bei der Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort. "Endlich wird die Blockadehaltung der CDU/CSU aufgegeben“, freute sich die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg am Montag. "Eine gewaltige gesellschaftliche Aufgabe wie die Lagerung des Atommülls darf nicht länger im Parteienzank scheitern“, sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) müsse nun den Ausbau in Gorleben stoppen.
Gleichzeitig kritisierte die BI, dass der Atomausstieg im Wendland zu spät komme. "Der Atomausstieg stottert. Das ist keine energiepolitische Zäsur.“ So würde weitere elf Jahre Atommüll produziert. Ein Bündnis aus Umwelt- und Anti-Atom-Initiativen fordere eine Grundgesetzänderung. "Damit wird dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung Rechnung getragen. Diese möchte, dass Atomkraftwerke sofort und unumkehrbar stillgelegt werden“, erklärten die Initiatoren.
Seehofer hatte sich am Morgen überraschend für eine bundesweite Suche nach Alternativen zum Salzstock in Gorleben (Kreis Lüchow-Dannenberg) ausgesprochen. Auch die von der Regierung eingesetzte Ethikkommission hat empfohlen, mit dem Atomausstieg den Neustart bei der Endlagersuche zu wagen. Ziel sollte dabei eine rückholbare Lagerung sein. Gorleben-Gegner bestreiten seit Jahren, dass der Salzstock geeignet ist.
SPD-Fraktionschef Stefan Schostok forderte in Hannover Ministerpräsident David McAllister (CDU) auf, Gorleben eine deutliche Absage zu erteilen. "Die Empfehlung der Ethikkommission und die Bereitschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer zu einem Neustart in der Endlagerfrage sollten nun endlich auch die niedersächsische Landesregierung zur Einsicht bringen“, erklärte Schostok. Er erwarte von McAllister dazu spätestens am Dienstag ein klares Wort. "Wer eine realistische Option auf Rückholbarkeit will, muss von Salz Abstand nehmen“, betonte Schostok.
McAllister selbst sagte, er begrüße es sehr, dass es eine gemeinsame Formulierung von CDU, FDP und CSU gebe. Letztlich sei das auch ein Erfolg "von beharrlicher Überzeugungsarbeit der niedersächsischen Landesregierung“. McAllister betonte: "Diese Formulierung ist das, wofür wir immer gekämpft haben.“
Den Grünen unterdessen sind die geplanten Laufzeiten bis 2022 zu lang. "Nach Fukushima war es für niemanden mehr möglich, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Wir sind froh, dass es jetzt Konsequenzen geben soll“, erklärte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel. "Die von den Regierungsfraktionen vorgesehenen Restlaufzeiten der Reaktoren sind aber immer noch deutlich länger als notwendig.“
Der Linken sind die Aussagen der Ethikkommission zur Endlagerfrage zu vage. "Es reicht nicht aus, lediglich das Kriterium der Rückholbarkeit zu berücksichtigen. Entscheidend ist, dass die Geologie des Salzstocks Gorleben eine Lagerung in Salz ausschließt“, sagte der umweltpolitische Fraktionssprecher Kurt Herzog. Er kritisierte Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), für den es schon ausreiche, wenn der Atommüll nur während der Einlagerungsphase rückholbar wäre. Die Ethikkommission müsse Gorleben explizit ausschließen, sonst würden CDU und FDP Gorleben weiterhin vorrangig zu Ende erkunden wollen, befürchtete Herzog.
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Abschalten auf Reserve: Seehofer sucht neues Endlager
Erst vor einem halben Jahr wurden die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert. Jetzt hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem 13-stündigen Marathon auf den Weg zum Atom-Ausstieg geeinigt. Deutschland schaltet ab. Die Energiewende beginnt. Bis spätestens 2022 werden in mehreren Stufen alle 17 deutschen Atomkraftwerke stillgelegt. Damit kehrt die Regierung nach der Fukushima-Katastrophe fast zielgenau auf den Ausstiegspfad von Rot-Grün zurück. Allerdings will man den Strom-Konzernen durch AKW-Wartungen und Laufzeitübertragungen kein Hinausschieben des Enddatum nach 2022 erlauben. Außerdem soll die Brennelementesteuer bleiben.
Bei Opposition und Umweltverbänden stießen die Pläne auf Kritik. Der Energieversorger RWE erwägt rechtliche Schritte gegen den Atomausstieg. Am Montagmorgen übergab die von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzte Ethikkommission ihren Bericht zum Ausstieg. „Wir werden die Empfehlungen der Ethikkommission als Richtschnur nehmen“, versicherte Merkel. Nach den Plänen der Koalition sollen die acht älteren Atomkraftwerke – inklusive Krümmel – vom Netz bleiben. Sechs weitere Meiler sollten bis spätestens 2021 vom Netz gehen. Die drei neuesten AKW dann 2022, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Die Regelung entspreche insgesamt einer Restlaufzeit von 32 Jahren, die in der nächsten Dekade noch genutzt werden könnten. „Aber definitiv: Das späteste Ende für die letzten drei Atomkraftwerke ist dann 2022“, betonte Röttgen. Der Prozess sei unumkehrbar. „Es wird keine Revisionsklausel geben.“
Nach dem Regierungspapier zur Energiewende, das Reuters vorlag, soll die energieintensive Industrie wie Stahl- und Aluminiumhersteller mit 500 Millionen Euro aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten entlastet werden. Gegebenenfalls solle das auch darüber hinaus möglich sein, heißt es in dem Papier. Zudem soll das Gebäudesanierungsprogramm über 2012 hinaus mit 1,5 Milliarden Euro ausgestattet werden. Der Stromverbrauch soll bis 2020 um zehn Prozent gesenkt werden.
Stand by: Ein älteres AKW bleibt in Reserve
Um Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten solle eines der älteren AKW bis 2013 als Reserve-Kraftwerk bereitstehen, sagte Umweltminister Röttgen. Die bis 2016 geltende Brennelementesteuer, die jährlich 2,3 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spülen soll, wird nicht abgeschafft. Die Regierung strebt einen möglichst großen Konsens für die Energiewende an, mit der sie die erst im Herbst beschlossene Verlängerung der AKW-Laufzeiten wieder zurücknimmt. Die Kurswende ist eine Reaktion auf die AKW-Katastrophe im japanischen Fukushima.
Seehofer für Neustart in Endlagerfrage
CSU-Chef Horst Seehofer spricht sich überraschend für einen Neustart bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll aus. Er sagte, alle geologischen Aspekte sollten noch einmal neu auf den Prüfstand gestellt werden. „Wir müssen erst mal Deutschland ausleuchten“, sagte er. Bisher sperrt sich Bayern gegen eine bundesweite Suche nach Alternativen zum Salzstock Gorleben in Niedersachsen. SPD und Grüne zweifeln seit Langem an der Eignung Gorlebens.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nannte die Ausstiegspläne inakzeptabel. Ein Ausstieg bis 2022 sei nicht der schnellstmögliche, den Bundeskanzlerin Merkel versprochen habe. „Merkel hat ihr Wort gebrochen und nichts aus Fukushima gelernt.“
SPD deutet Zustimmung an – Verwirrung um Biblis B
Die SPD deutet Zustimmung zu den Atomausstiegsplänen der Bundesregierung an. Die Regierung kehre weitgehend zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss zurück, hieß es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Parteikreisen. Die Grünen sehen bisher noch viele Fragen offen und haben sich noch nicht entschieden. Es seien noch ziemlich viele Fragen „sehr, sehr offen“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth. Merkel strebt einen Konsens mit SPD und Grünen an, um das Thema Atom endgültig aus der politischen „Kampfzone“ zu holen. Die Linke ist bei einem Konsens wahrscheinlich nicht dabei, die Fraktion hatte für einen endgültigen Ausstieg bereits bis 2014 plädiert. Die Glaubwürdigkeit der hessischen CDU wäre nach Ansicht der SPD infrage gestellt, sollte der Atomreaktor Biblis B wieder ans Netz gehen. „Offensichtlich ist Schwarz-Gelb keine Begründung zu fadenscheinig, um an der Atomenergie festzuhalten“, sagte Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel der Nachrichtenagentur dpa. Sollte Biblis B tatsächlich bis zum Jahr 2013 in „Stand By“-Funktion gehalten werden, wie es derzeit diskutiert werde, sei dies eine „ernste Belastungsprobe“ für die Konsensgespräche über eine Energiewende in Hessen.
Gewerkschaft kritisiert AKW als stille Reserve
Der Chef der Energiegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, lehnt die Pläne der Bundesregierung ab, auch nach dem Atomausstieg Kraftwerke als stille Reserve betriebsbereit zu halten. Für Kernkraft auf Bereitschaft noch länger als zehn Jahre sehe er keinen Anlass, sagte der IG-BCE-Vorsitzende laut Vorabmeldung der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstagausgabe). Ob eine Kraftwerksreserve mit Kohle oder Gas erforderlich ist, muss seiner Einschätzung nach noch entscheiden werden. Der IG-BCE-Chef vertrat in der Ethikkommission zu Atomfragen die Gewerkschaften. Vassiliadis nannte es „insgesamt gut“, dass die Koalition das Votum der Kommission aufgenommen habe, wonach Deutschland einen Atomausstieg bis 2022 anstrebe. Er nannte den Atomausstieg binnen der nächsten zehn Jahre „wünschenswert und notwendig, vor allem aber auch machbar“. Vassiliadis fügte jedoch hinzu: „Die Rolle der FDP und deren Ziele sind mir allerdings nicht klar“. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatte gefordert, dass nach dem Atomausstieg ein bis zwei Kernkraftwerke im „Stand-by-Betrieb“ beibehalten werden sollten.
Areva-Chefin: „Ausstieg ist politische Entscheidung“
Frankreichs Atomindustrie reagiert mit Unverständnis und leichtem Spott auf den geplanten Atomausstieg im Nachbarland Deutschland. „Das ist eine rein politische Entscheidung“, sagte die Chefin des Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon, dem Sender BFM Radio. „Es gab weder eine Volksabstimmung noch eine Befragung der öffentlichen Meinung, auch wenn sich in Umfragen die Emotion der Deutschen zeigte“, fügte sie hinzu. Sie zeigte sich skeptisch, dass Deutschland bei dieser Entscheidung bleibe. „Bis 2020 kann noch viel passieren“, meinte sie. Bereits jetzt habe das Abschalten der ersten Reaktoren zu höheren Stromkosten geführt.
Schweden sehen deutschen Atomausstieg kritisch
Schwedens Regierung steht dem geplanten Atomausstieg in Deutschland kritisch gegenüber. Umweltminister Andreas Carlgren sagte im Rundfunksender SR, die Bundesregierung lege sich „betont hart auf eine Datum fest“. Weiter meinte er: „Damit riskiert man, die allerwichtigste Frage außer Acht zu lassen, nämlich wie wir möglichst schnell erneuerbare Energie ausbauen können.“ Nur so könne man zugleich die Abgängigkeit von Atomstrom wie auch negative Klimaveränderungen vermindern. Die Mitte-Rechts-Regierung in Stockholm hatte im letzten Sommer den nach einer Volksabstimmung 1980 beschlossenen Atom-Ausstieg Schwedens aufgehoben. Danach sind jetzt wieder Neubauten als Ersatz für die Stilllegung von einem der derzeit zehn Atomreaktoren möglich. Als alleiniger Eigner des Energiekonzerns Vattenfall ist der schwedische Staat vom deutschen Atomausstieg auch direkt betroffen. Das Unternehmen betreibt die beiden norddeutschen Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. (rtr/dpa/dapd)