Seit einigen Jahren wächst die Offshore-Industrie an der Küste. Bald wird vor der Insel Borkum der erste Strom gewonnen.
Träge drehen sich im Norden Bremerhavens drei ungewöhnliche Windräder im Winterhimmel. Sie stehen auf drei- oder vierbeinigen Konstruktionen, ihre Rotorblätter sind auffallend lang. Die Anlagen haben eine Leistung von fünf Megawatt (MW) und sind die Pioniere der deutschen Offshore- Windindustrie. Zwei von ihnen stammen vom Hersteller Multibrid, die dritte hat das Hamburger Unternehmen Repower aufgebaut. Sie sind Prototypen des ersten Windparks in der deutschen Nordsee, der in diesem Sommer 45 Kilometer nördlich der Insel Borkum in Betrieb gehen soll.
Im Meereswindpark Alpha Ventus werden sich jeweils sechs 5-MW-Rotoren der Firmen Multibrid und Repower drehen. "Anfang April wird der Schwimmkran und anderes schweres Gerät eintreffen. Wenn das Wetter mitspielt, wollen wir dann zunächst die Anlagen der Firma Multibrid installieren", sagt Jörg Kuhbier. Der ehemalige Hamburger Umweltsenator ist geschäftsführender Vorstand des Offshore Forums Windenergie, ein Zusammenschluss von Gesellschaften, die Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee projektieren.
Um das witterungsabhängige Zeitfenster möglichst klein zu halten, werden die Multibrid-Windmühlen vom nahe gelegenen Eemshaven (Niederlande) zu ihrem Standort transportiert. Wenn alles gut läuft, können sie innerhalb von zwei Monaten aufgebaut sein: Zunächst werden die Fundamente, sogenannte Tripods, auf dem 30 Meter tiefen Meeresboden verankert. Dann werden die drei Turmsegmente ineinandergefügt. In 90 Meter Höhe wird im nächsten Schritt die 224 Tonnen schwere Gondel auf den Stahlrohrturm montiert, zum Schluss folgt der Rotorstern mit drei 58 Meter langen Flügeln. Parallel entstehen die Kabelverbindungen zum Umspannwerk des Windparks.
Die Plattform sammelt den produzierten Strom ein. Sie erinnert an eine kleine Bohrinsel und wurde bereits im August 2008 aufgebaut. Eigentlich sollten die sechs Multibrid-Anlagen noch im Herbst folgen, aber Wind und Wellen verhinderten die Arbeiten - der generelle Vorteil der größeren Windausbeute auf See erwies sich als großer Nachteil. Die Installation sei "eine massive logistische Herausforderung", heißt es bei Alpha Ventus, auf einen genauen Zeitplan will man sich dort nicht festlegen.
Fest steht: In diesem Jahr soll das Zeitalter der deutschen Meereswindparks endlich beginnen. Im Sommer werden die sechs Repower-Anlagen Alpha Ventus komplettieren, planen die Eigentümer EWE, Vattenfall und E.on. Ein zweiter, noch größerer Windpark soll parallel 90 Kilometer nordwestlich vor Borkum wachsen: Das Unternehmen BARD Engineering will dort 80 Rotoren mit je fünf MW Leistung in Stellung bringen - jede Anlage kann rechnerisch gut 4000 Vier-Personen-Haushalte versorgen.
BARD betreibt ebenfalls eine 5-MW-Testanlage, die immerhin schon im Wasser steht, wenn auch nur einen Steinwurf vom Strand entfernt. Sie wurde im Oktober 2008 in der Außenjade vor Hooksiel in Betrieb genommen, als "erste Windkraftanlage in Deutschland, die vollständig vom Wasser aus errichtet wurde", so der Betreiber. Zwei weitere BARD-Pilotanlagen (5 MW) beweisen an Land, bei Emden, ihre Leistungsfähigkeit.
Gut 1200 Windenergieanlagen sind bereits in der deutschen Nordsee, meist außerhalb der Sichtweite der Küste, genehmigt. Zusammen haben sie eine Leistung von fast 6000 MW (das entspricht etwa fünf Kernkraftwerken), plus 240 MW der genehmigten drei Ostsee-Windparks. Das soll erst der Anfang sein: Die Bundesregierung plant bis spätestens 2030 eine Leistungssteigerung auf 20 000 bis 25 000 MW. Die größten Probleme entstünden derzeit durch eine mangelnde Koordination des Netzausbaus mit den Windparkprojekten, sagt Jörg Kuhbier: "E.on Netz ist verpflichtet, die Parks an das öffentliche Stromnetz anzuschließen. Doch dies braucht 24 bis 30 Monate Vorlauf. Deshalb müssen die Planungen der Windparks und des Netzausbaus optimal aufeinander abgestimmt sein."
Schon in ihrer etwas holprigen Startphase sorgt die Offshore-Branche - ganz gegen den allgemeinen Trend - für Hochkonjunktur an der Küste. Beispiel Bremerhaven: Nach dem Niedergang der Hochseefischerei und der Werftindustrie sowie dem Abzug der US-Armee suchte die Stadt am Meer nach neuen Wirtschaftsbranchen, lockte die Offshore-Industrie auf frei gewordene Flächen und an verwaiste Kaianlagen.
Innerhalb weniger Jahre entstanden 700 Arbeitsplätze in der Offshore-Industrie, bis zum Jahr 2011 sollen es 1500 sein. Ein Rotorblatthersteller (PowerBlades) baute große Fertigungshallen, ebenso Repower und Multibrid. WeserWind konstruiert Fundamente für die Riesen-Windmühlen, PowerWind projektiert Windparks. Und etwa 100 Wissenschaftler und Techniker entwickeln im neuen Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), im "nationalen Rotorblatt-Kompetenzzentrum" und im Windkanal des Dienstleisters Deutsche WindGuard Engineering die Technik von morgen und übermorgen. "Techniker sagen uns, dass Windrotoren mit einer Leistung bis zu zehn Megawatt theoretisch möglich sind", sagt Nils Schnorrenberger von der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung. Doch zunächst einmal muss die Fünf-Megawatt-Generation beweisen, dass sie richtig seetüchtig ist.