Hamburg. Naturschützer kennzeichnen die Vögel einer Kolonie in Ochsenwerder, um mehr über das Leben der Flugakrobaten herauszufinden.
Wenn an warmen Tagen Mauersegler mit ihren schrillen Kreischlauten am Abendhimmel Insekten jagen, dann ist Sommer. Die eleganten Flieger sind in ihrem Element, sie fressen, schlafen und vermehren sich im Flug – und landen nur kurz an Gebäudewänden, um ihre Jungen zu füttern. Der junge Mauersegler in den Händen von Marco Sommerfeld wirkt zerbrechlich, wie aus der Luft gegriffen. Sommerfeld ist Ornithologe beim Hamburger Landesverband des Naturschutzbunds (Nabu). Der kleine Vogel trägt jetzt einen Erkennungsring der Vogelwarte Helgoland. „Dies ist die erste Beringungsaktion von Mauerseglern in Hamburg“, sagt Sommerfeld.
Knapp 80 Jung- und Altvögel erhalten am Montagnachmittag einen Ring. Die Naturschützer wollen mehr über das Leben der Akrobaten der Lüfte herausfinden. Diese sind zwar bei ihren abendlichen Jagdflügen gut zu beobachten, doch das ökologische Wissen über die Zugvögel, die den Winter südlich der Sahara verbringen, ist recht gering. Sommerfeld: „Wir möchten herausfinden, wie viele Jungvögel pro Nest groß werden und ob sie in den kommenden Jahren wiederkommen.“
Um die 5000 Mauerseglerpaare brüten in Hamburg. „Die Art ist schwer zu erfassen. Aber der Bestand ist eher rückläufig“, sagt Sommerfeld. Der Hauptgrund seien Gebäudesanierungen. Von Natur aus brüten die Vögel gern an Felsen, in Spalten und an Vorsprüngen. In Städten bieten strukturreiche Fassaden an größeren Wohngebäuden, Mauerritzen und Hohlräume unter Dachziegeln einen passablen Ersatzlebensraum zur Aufzucht des Nachwuchses. Doch Neubauten und alte Gebäude mit gedämmten Fassaden sind aalglatt und bieten den Vögeln keine Brutnischen.
Seit vielen Jahren fordert der Nabu die Hamburger auf, den Mauerseglern zu helfen und Nistkästen zu installieren. Der 85-jährige Werner Weselmann brachte vor zwölf Jahren an seinem Haus in Ochsenwerder in den Marschlanden (Bergedorf) den ersten Doppelnistkasten an, als Brutplätze am Nachbarhaus einer Fassadensanierung zum Opfer fielen. Im ersten Jahr geschah nichts. Dann zogen zwei Paare ins Doppelhaus ein – als Koloniebrüter lieben Mauersegler Gesellschaft. Jahr für Jahr baute Weselmann sein Segler-Asyl aus. Heute hängen unter dem Dachüberstand seines zweistöckigen Hauses 34 Doppelkästen.
Die Naturschützer nähern sich per Leiter oder Hubwagen den Behausungen, öffnen sie und greifen sich vorsichtig die Insassen. Jung- und Altvögel werden den Kästen entnommen und in weiße Baumwollbeutel gesteckt. Am Boden werden sie dann gewogen und beringt, die erwachsenen Tiere auch vermessen. Die meisten Vögel lassen die fachmännisch ausgeführte Prozedur ohne großen Widerstand über sich ergehen, schlagen nur ab und zu mit ihren langen, schmalen Flügeln. „Wir haben hier die Möglichkeit, die Tiere mit relativ geringem Aufwand zu beringen“, sagt Marco Sommerfeld. „Mauersegler brüten meist in Höhen von zehn bis 15 Metern, an die Brutplätze ist schwer heranzukommen. Hier können wir die Nisthöhlen relativ gut erreichen.“
In Diepholz bei Bremen werden bereits seit 2011 Jungvögel einer Mauersegler-Kolonie beringt, finanziert von der Karl-Kaus-Stiftung, die auch die Hamburger Aktion unterstützt. „Wir haben in Diepholz inzwischen mehr als 600 Mauersegler beringt. 23-mal haben wir bei den Beringungsaktionen markierte Vögel vorgefunden“, sagt Stiftungs-Ornithologe Henning Kunze. „In diesem Jahr war erstmals ein Jungvogel darunter.“
Erste Daten zur Ochsenwerder Kolonie kann Werner Weselmann schon jetzt liefern. Stundenlang sitzt er auf einem Gartenstuhl und beobachtet das Wohlergehen seiner geflügelten Mitbewohner: „Ich weiß, wer schon einmal da war oder wer wann zuerst kommt. Man muss dazu lange warten, denn die Mauersegler fliegen nicht wie Schwalben alle fünf Minuten zum Nest. Sie kommen manchmal nur morgens und abends – und an Regentagen gar nicht.“
Hamburger Bürger sollten dem Nabu Nistplätze von Mauerseglern melden
Mindestens ebenso wichtig wie neue Erkenntnisse durch die Beringung ist die Datenbank mit Brutstandorten von Mauerseglern in Hamburg. Die Bürger sind aufgefordert, dem Nabu Nistplätze zu melden. Wenn das Gebäude saniert werden soll, muss der Eigentümer auf die Untermieter Rücksicht nehmen: Die Maßnahmen sollten nicht während der Brutzeit von Mitte Mai bis Ende Juli erfolgen. Zudem sollten als Ausgleich für vernichtete Brutplätze Nistkästen aufgehängt werden.
Bestenfalls könnte die Sanierung ablaufen wie bei einem Projekt in Iserbrook: Neun Wohngebäude erhielten eine Fassadendämmung. „Als Ausgleichsmaßnahme wurden 87 Nistkästen aufgehängt“, sagt Sommerfeld. „52 von ihnen waren 2014 besetzt. Die Mieter hatten Alarm geschlagen und letztendlich dafür gesorgt, dass der Ausgleich geschaffen wurde.“ Vermieter, die ihr Gebäude aufrüsten wollen, sollten zuvor ein artenschutzrechtliches Gutachten erstellen lassen, rät Sommerfeld, „ansonsten riskieren sie einen Baustopp“. Die Zukunft der Vögel bei Werner Weselmann ist dagegen sicher: Seine Söhne und Schwiegertöchter teilen mit ihm die Begeisterung für die Vielflieger am Dachrand.