Hamburg. Bei diversen Arten dokumentieren Naturschützer stark abnehmende Trends. Anderen Tiergruppen geht es besser.

Nicht nur wirtschaftlich, auch ökologisch gilt: Hamburg ist eine reiche Stadt. Die Vielfalt der Naturräume von Mooren und Marschen über feuchte Niederungen bis zu trockenen Heide- und Dünenlandschaften bietet zahlreichen Tier- und Pflanzenarten einen passenden Lebensraum. Wie ist die tierische Vielfalt über die Stadt verteilt, und wie geht es den einzelnen Arten? Umfassende, häufig aktualisierte Daten existieren vor allem zur Vogelwelt, für andere Tiergruppen wie Fische oder Tagfalter gibt es Rote Listen.

Tagfalter gehören zu den Sorgenkindern der Hamburger Artenschützer. Sie sind keine Stadttiere, brauchen blühende Grünflächen und Gärten. Mit pflegeleichtem Einheitsgrün, das dem heutigen schmucklosen Baustil ähnelt (Rasen mit Umrandungen aus Lebensbäumen oder anderen immergrünen Gewächsen) können Falter nichts anfangen. Sie lieben Bauerngärten mit Stauden und Obstbäumen. Sie kommen auch mit zugereisten Pflanzen aus anderen Regionen wie den Sommerflieder zurecht, solange diese üppig blühen und ihnen Nektar liefern.

Der Trend arbeitet gegen sie. Von den 77 Tagfaltern, Dickkopffaltern und Widderchen, die vor 100 Jahren noch in Hamburg lebten, sind 25 Arten ausgestorben und weitere 20 vom Aussterben bedroht. Nur 15 Arten stehen nicht auf der Roten Liste. „Doch selbst Allerweltsarten wie Kleiner Fuchs und Tagpfauenauge sind immer seltener zu sehen“, sagt Günter Schäfers, Artenschutzreferent bei der Umweltbehörde. „Die Artengruppe leidet am meisten unter dem Strukturwandel im städtischen Bereich.“

Nicht immer gehe die Stadt pfleglich mit ihren wilden Bewohnern um, kritisiert Alexander Porschke, Vorsitzender des Hamburger Naturschutzbundes (Nabu). Er nennt als Beispiel die Wiesenvögel, die in Hamburg – wie in ganz Deutschland und in Europa – stark bedroht seien. „Wiesenvögel wie Kiebitz, Uferschnepfe und Braunkehlchen sind vom Hamburger Stadtgebiet fast verschwunden“, sagt auch der Ornithologie Alexander Mitschke vom Arbeitskreis Staatliche Vogelschutzwarte Hamburg. Den gut 100 ehrenamtlichen Mitgliedern des Arbeitskreises ist die gute Datenlage zur Vogelwelt zu verdanken; sie erfassen systematisch die Bestände im Stadtgebiet.

Auch bei der Feldlerche gebe es „deutlich spürbare, lang anhaltende Rückgänge“, sagt Mitschke: „Die Vögel brüten mitten in den Feldern. Die Pflanzen wachsen zu dicht und zu schnell auf. Das erschwert den Elterntieren die Nahrungssuche. Sie laufen am Boden, um Käferchen und anderes Kleingetier aufzupicken.“ Ein weiteres Problem: Wiesen werden zur Silage­gewinnung bereits im Mai gemäht, zu einer Zeit, in der Wiesenvögel ihre Jungvögel großziehen.

Mit dem Vertragsnaturschutz versucht die Umweltbehörde, die Landbewirtschaftung wieder naturfreundlicher zu machen: Sie zahlt jährlich gut 680.000 Euro an kooperierende Bauern, die dafür ihre Flächen und Gräben so managen, dass Vögel und Amphibien davon profitieren.

Für Wiesen- und Stadtvögel trage Hamburg eine große Verantwortung, weil diese Arten ihre natürlichen Lebensräume im Stadtstaat haben, so Mitschke. Bei den gefiederten Städtern sorgt sich der Ornithologe vor allem um den Spatzen: „Die Zahl der Haussperlinge halbierte sich seit den späten 1990er Jahren, und auch andere Arten wie der Turmfalke oder der Mauer­segler leiden unter deutlichen Rückgängen.“ Unter dem Strich sind rund ein Drittel der 185 in Hamburg brütenden Vogelarten gefährdet oder verschwunden (18 Arten). Immerhin gibt es auch erfreuliche Comebacks: Wanderfalke, Seeadler und Uhu fanden passende Refugien und siedelten sich wieder in der Stadt an.

Über die Bestände der Säugetiere gebe es wenig Wissen, daher sei eine breit angelegte Erfassung in Arbeit, sagt Schäfers. Gerade Kleinsäuger wie Mäuse seien schwer zu erfassen, auch weil die Bestände im Zeitverlauf stark schwanken. Die Ergebnisse variieren in guten oder schlechten Mäusejahren erheblich. Eine umfangreiche Kartierung der Haselmaus (biologisch ein Bilch, ein nachtaktives Nagetier, und keine Maus) habe ergeben, dass sich die kleinen braunen Nager mit den schwarzen Knopfaugen in Hamburg rar gemacht haben.

Aber auch unter den Säugern gibt es Gewinner. So erobern Biber und Fischotter derzeit Hamburger Gewässer, der Biber vor allem in den Vier- und Marschlanden, der Fischotter auch den oberen Alsterlauf. Gerade dem Otter wurde das Projekt „Das Blaue Metropolnetz“ gewidmet, das dem Fischfresser und anderen wasserliebenden Arten eine Verbreitung entlang intakter Gewässer ermöglichen soll.

Um dem heimlich lebenden, nachtaktiven Fischotter auf die Spur zu kommen, wurden 164 potenzielle Standorte nach Otter-Hinterlassenschaften abgesucht, nach Kot oder Pfotenabdrücken im feuchten Uferboden. An 18 Orten fanden die Biologen tatsächlich charakteristische Spuren von Fischottern. Vor knapp 60 Jahren wurde das letzte Tier dieser Art im Hamburger Stadtgebiet gesehen, danach waren die scheuen Otter Jahrzehnte lang verschwunden. Nun hofft Artenschützer Schäfers darauf, dass sich die possierlichen Tiere eines Tages den Alsterlauf entlang bis in die City vorwagen könnten.

Allerdings gibt es ein großes Hindernis für die Ausbreitung: Fischotter schwimmen nicht unter Brücken hindurch, sondern wählen den Landweg. Finden sie einen Pfad, der am Gewässer entlang unter der Brücke hindurchführt, ist die Otterwelt in Ordnung. Allzu oft (bei mehr als 60 Prozent der untersuchten Brückenbauwerke) fehlt jedoch eine Passagemöglichkeit, so dass die Tiere zur Straße hinauf laufen und diese überqueren. Dabei begeben sie sich in Lebensgefahr – drei Fischotter sind in Hamburg in den vergangenen Jahren bereits unter die Räder gekommen.

Hamburg hat mehr Naturschutzfläche als jedes andere Bundesland

In einer wachsenden Stadt sind Flächen knapp, erst recht Flächen, die für die Natur reserviert sind. Solche Bereiche enthält der behördliche Entwurf eines Biotopverbunds, der gut ­20 Prozent der Stadtfläche einnimmt: „Das meiste, was grün ist, wird verbunden“, umreißt Günter Schäfers das Konzept. Es soll später in das Landschaftsprogramm der Stadt integriert werden.

Hamburg verweise gern auf den ­relativ hohen Anteil an Naturschutzgebieten, sagt Nabu-Vorstand Alexander Porschke. Acht Prozent der Stadtfläche steht unter Schutz, mehr als in allen anderen Bundesländern. Porschke: „Ein Gebiet unter Schutz zu stellen, reicht aber nicht aus. Es muss auch Geld da sein für Pflege- und Schutzmaßnahmen.“ Der Nabu Hamburg ­habe hochgerechnet, dass die Stadt nur etwa ein Drittel des Geldes bereit stelle, das aus seiner Sicht zur Unterhaltung der Schutzgebiete nötig wäre. Immerhin wird in den kommenden zwei ­Jahren etwas mehr Geld zur Verfügung stehen.

Der ehemalige Hamburger Umweltsenator (1997–2001) beklagt den Trend, den Naturschutz an den Stadtrand zu drängen, gern auch jenseits der Stadtgrenze. Meist treffe es dann die Landwirtschaft, so Porschke. Sie spiele zwar aufgrund der immer intensiveren Produktion bundesweit eine Haupt­rolle beim Artenrückgang. Aber ­gleichzeitig herrsche durch den Anbau von Energiepflanzen ein großer Druck auf die Agrarflächen. Das mache Naturschutzmaßnahmen besonders unattraktiv.

Es gebe viele, komplexe Ein­wirkungen auf die Hamburger Tier- und Pflanzenwelt, betont der Naturschützer. „Wenn man nur an den Input, an Naturschutzmaßnahmen dreht, kann man sich leicht vormachen, dass man auf dem richtigen Weg ist. Besser ist es, sich Ziele zu setzen und Kriterien zu entwickeln, mit denen sich ablesen lässt, ob man sich dem Ziel nähert oder nicht. Stimmt die Richtung nicht, muss dies ein Anlass sein, um deutlich umzusteuern.“

Im Arten- und Biotopschutzreferat der Umweltbehörde geht es zunächst noch um die Bestandsaufnahme: Nach und nach sollen mehr Artengruppen und deren Situationen erfasst werden. Parallel gilt es, mit verschiedenen Instrumenten und einzelnen Maßnahmen der Wildnis Lebens- und Ausbreitungsräume zu sichern. Damit der Naturschatz der Stadt bei aller Wachstums- und Olympia-Euphorie nicht auf der Strecke bleibt.