Hamburg. Greenpeace legt einen Bericht über die Umweltfolgen der Offshore-Industrie in der Nordsee vor. Jährlich 8300 Tonnen Öl.
Die Ölproduktion in der Nordsee hat ihren Zenit überschritten, die Plattformen kommen in die Jahre. Das erhöhe die Gefahr von Leckagen während des Betriebs, warnt Greenpeace. In der zentralen und nördlichen Nordsee fördern Hunderte Plattformen Öl oder Gas. Dabei belasten sie die Luft und das Meer. „751 Anlagen emittieren in die Atmosphäre und ins Wasser. Zusammen belasten sie die Nordsee jährlich mit 8300 Tonnen Öl“, sagt Jörg Feddern, Meeresbiologe bei Greenpeace.
Das Öl stammt vor allem aus dem sogenannten Produktionswasser. Dieses Wasser wird zusammen mit dem Öl zutage gefördert. Auf den Plattformen werden Öl und Wasser getrennt und das aufbereitete Wasser zurück ins Meer geleitet. Es enthält immer noch Ölreste – nach dem Umweltabkommen OSPAR zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-Atlantiks sind bis zu 30 Milligramm Öl im Liter Wasser erlaubt. „Wenn man die Plattformen überfliegt, ist deutlich zu sehen, dass sie mit dünnen Ölfilmen umgeben sind“, sagt Dr. Christian Bussau von Greenpeace. „Das Öl glättet die Meeresoberfläche rund um die Anlagen. Diese scheinbar ruhigeren Wasserflächen nutzen Meeresvögel bevorzugt zur Rast. Sie fliegen direkt ins Öl.“
Nach einem Bericht der OSPAR-Kommission lag im Jahr 2012 der Ölgehalt in einem Liter eingeleiteten Produktionswasser im Schnitt bei 12,5 Milligramm und damit deutlich unter dem Höchstwert. Dennoch summierten sich die Einleitungen auf 8200 Tonnen Öl. Kleinere Ölmengen fließen beim Abpumpen von Ballastwasser, Ableiten von Regenwasser oder durch Leckagen und Unfälle ins Meer.
Zusätzlich zum Öl gehen nach Greenpeace-Angaben jährlich rund 220.000 Tonnen der bei der Bohrung und Förderung eingesetzten Chemikalien ins Wasser. Zwar reduzierten sich diese Einträge im Vergleich zu 2001 um ein Drittel. Doch gemessen an der noch stärker gesunkenen Ölproduktion nahm die eingeleitete Menge pro Tonne Öl oder Gas in jüngster Zeit zu. Auch ist die Produktion energieintensiv. Feddern: „Die 751 Installationen stoßen jährlich 30 Millionen CO2 aus. Das ist in etwa so viel CO2, wie zehn Millionen Pkw freisetzen.“
Ein großes Problem sei die mangelnde Kontrolle der fernab liegenden Industrieanlagen, sagt Bussau. „Beamte der Küstenwache der Shetland Inseln sagten uns, dass es nur eine Handvoll Kontrolleure für den gesamten britischen Sektor gibt.“ Nach OSPAR-Angaben arbeiteten im Jahr 2012 498 der 751 Nordsee-Anlagen im britischen Gebiet. Bussau: „Da draußen ist kein Mensch. Dort fahren auch keine Fischerboote. Wenn wir nicht da wären, würde niemand hinsehen.“
Seit der Jahrtausendwende ging die Ölförderung um mehr als die Hälfte zurück. Bestehende Felder würden länger ausgebeutet, so Feddern, und dabei falle zunehmend Produktionswasser an. Zudem würden auch kleinere Felder angebohrt. Das führe zu einer steigenden Zahl an Plattformen.
Viele der Anlagen sind seit Jahrzehnten in Betrieb. In sie werde nicht mehr investiert, sagt Bussau: „Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gebeten hätten, Ihnen Plattformen zu zeigen, dann wäre ich mit Ihnen in den nördlichen Bereich des britischen Sektors geflogen. Hier war mehr Öl zu sehen als im norwegischen Fördergebiet. Doch inzwischen sind auch die Statfjord-Plattformen alt. Dort hat man früher nie Öl im Wasser gesehen, heute schon.“
Christian Bussau war bereits 1995 dabei, als Greenpeace-Aktivisten die ausgediente Ölplattform „Brent Spar“ besetzten. Ihr Eigentümer, der Shell-Konzern, wollte die relativ kleine Anlage, die als schwimmendes Öllager fungierte, im Nordost-Atlantik versenken. Greenpeace-Schlauchboote lieferten sich wochenlang eine „Seeschlacht“ mit den Versorgungsschiffen von Shell, um den Abtransport und die nasse Verschrottung zu verhindern. Den Ausschlag gaben die deutschen Autofahrer, die nicht mehr bei Shell tankten und so ihre Ablehnung der geplanten – und behördlich genehmigten – Müllbeseitigung im Meer zum Ausdruck brachten.
„Ohne die Verbraucher hätten wir die Kampagne nicht gewonnen“, sagt Bussau. „Dabei ging es nie nur um „Brent Spar“, sondern auch um die Entsorgungspraxis der Nordsee-Ölindustrie.“ Der eigentliche Durchbruch kam drei Jahre später: 1998 beschloss die OSPAR ein generelles Verbot, Plattformen im Nordost-Atlantik zu versenken. Die „Brent Spar“ wog 14.500 Tonnen und überragte mit 140 Metern knapp den Hamburger Michel (132 Meter). Ein großer Teil der gereinigten Außenhülle ist heute die Basis eines Kai-Fundaments im Fährhafen von Mekjarvik, zehn Kilometer nördlich von Stavanger (Norwegen). Derzeit steht ein viel größerer Fisch zur Entsorgung an, die „Brent Delta“-Plattform: gut 207.000 Tonnen schwer und 299 Meter hoch.
Das größte Schiff der Welt wurde zum Abbau von Nordseeplattformen gebaut
Die Plattform ist eine von 142 bereits stillgelegten Anlagen, die auf den Abtransport warten. Auch sie liegt im Brent-Ölfeld zwischen den Shetland-Inseln und Norwegen und gehört dem Shell-Konzern. Doch hier wird alles anders laufen als vor 20 Jahren: Die Aufbauten werden vom Betonfundament abgetrennt und in einem Stück an Land gebracht. Dafür wurde in Südkorea ein Spezialschiff gebaut: ein 382 Meter langer, 124 Meter breiter Riesen-Katamaran, das größte Schiff der Welt. Die „Pioneering Spirit“ ist so kräftig, dass sie vier Eiffeltürme heben könnte.
„Shell setzt mit dem Abbau ein Signal“, lobt Christian Bussau, die Demontage läute die Endphase der Nordsee-Plattformen ein. „Mehr als 400 Förderplattformen werden in den nächsten 30, 40 Jahren an Land gebracht werden.“ Die Umweltbelastung durch Offshore-Ölplattformen werde damit aber nicht beendet – Bussau: „Die Ölkonzerne ziehen nordwärts, in die noch sensibleren arktischen Meeresgebiete.“