Artenschützer fordern strengere Standards für den Bau und Betrieb von Windparks, dass nahe des Windparks keine besonderen Anziehungspunkte für Vögel sind. Die Branche hält dies für übertrieben.
Hamburg. Der Konflikt zwischen Naturschützern und Windenergiebefürwortern spitzt sich zu. Der anhaltende Neubau von Windrädern an Land beeinflusst die Lebensräume vor allem von Greifvögeln und Fledermäusen immer stärker. Zwar stören sich die Tiere oftmals gar nicht an den rotierenden Flügeln – doch kommen sie gerade deshalb durch sie um. Große Vögel wie Schwarzstorch und verschiedene Greifvögel kollidieren mit den Rotorblättern. Fledermäuse können den drehenden Giganten oft ausweichen. Manche Tiere sterben dann aber jenseits der Rotoren am Unterdruck, der ihre Lungen platzen lässt. Die Deutsche Wildtier Stiftung schätzt die Zahl der jährlichen Opfer auf rund 240.000 Fledermäuse und kritisiert vor allem den Bau von Anlagen in Wäldern.
„Greifvögel verunglücken an Windkraftanlagen tagsüber und bei bester Sicht; sie scheinen die Risiken zu unterschätzen“, urteilt Dr. Hermann Hötker, Leiter des Michael-Otto-Instituts im Nabu (Naturschutzbund Deutschland). Die bislang bundesweit 250 gemeldeten verunglückten Rotmilane schmerzen die Naturschützer besonders. Deutschland trägt für diese Art eine hohe Verantwortung: Rotmilane leben fast ausschließlich in Europa (nach Nabu-Angaben etwas mehr als 20.000 Paare), und gut die Hälfte des Bestandes brütet in Deutschland.
Brachflächen am Mast der Windmühlen, Stell- und Wendeplätze sind oft attraktive Lebensräume für Kleinsäuger wie Mäuse. Und diese ziehen die jagenden Vögel an. Auch frühzeitig gemähte oder anders bearbeitete Felder am Fuße der Anlagen könnten „attraktive Nahrungsflächen“ für die Milane sein, heißt es in dem kürzlich veröffentlichten Bericht zu Greifvögeln und Windkraftanlagen, den das Michael-Otto-Institut, das Gutachterbüro BioConsult SH und das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung im Auftrag des Bundesumweltministeriums erarbeiteten.
Es soll ein Kompromiss gefunden werden
Zum Schutz der Greifvögel sollten innerhalb und nahe des Windparks keine besonderen Anziehungspunkte für diese Vögel geschaffen werden, rät die Studie. Dazu zählen Mist- und Komposthaufen, Brachflächen und auch Kulturen wie Grünroggen, die frühzeitig gemäht werden. Zudem legten Modellrechnungen nahe, „dass das Kollisionsrisiko bei Rotmilanen in einem Bereich bis 1250 Meter um den Horst besonders hoch ist“, heißt es.
„Wir brauchen dringend allgemein verbindliche Naturschutzstandards für den Bau von Windenergieanlagen“, sagt Dr. Jochen Bellemann, der bei der Wildtier Stiftung das Thema bearbeitet. „2007 legte die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten Mindeststandards für Abstandsregelungen zu wichtigen Lebensräumen sowie Brutplätzen gefährdeter Arten vor, genannt Helgoländer Papier. Es wurde inzwischen überarbeitet, da deutlich wurde, dass die Vogelverluste höher sind als 2007 geahnt. Doch die aktualisierte Version halten die zuständigen Länderministerien, denen die Vogelschutzwarten unterstellt sind, unter Verschluss.“
Deshalb könnten die Fachbehörden, die den Bau von Windparks und Einzelanlagen genehmigen, die strengeren Kriterien nicht anwenden, bedauert Bellemann. „Es heißt, der Naturschutzbereich soll mit der Windindustrie einen Kompromiss finden. Aber diese hat in ihren Stellungnahmen bisher nicht erkennen lassen, dass sie konstruktive Beiträge leisten will. Der Bundesverband Windenergie ist sehr zufrieden mit der jetzigen Situation, in der sich die einzelnen Bundesländer bei den Naturschutzstandards gegenseitig unterbieten, um Windenergie-Projekte ins Land zu holen.“
Geschützte Arten werden beeinträchtigt
Der kritisierte Bundesverband Windenergie (BWE) hält die Forderungen der Naturschützer für überzogen: „Windenergie-Nutzung geschieht nur in definierten Eignungsräumen, und die machen zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern derzeit 0,6 Prozent, demnächst wahrscheinlich 1,6 Prozent der Landesfläche aus“, sagt BWE-Sprecher Wolfram Axthelm (Schleswig-Holstein: 1,7 Prozent). Rundherum gebe es ausreichend Platz, um Konflikten aus dem Wege zu gehen. „Auf keinem Fall dürfen besonders geschützte Arten beeinträchtigt werden. Dies stellen unabhängige, von der Fachbehörde benannte Gutachter sicher.“ Eine zweite Prüfung erfolge im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren. Dann würde etwa untersucht, ob und welche Fledermäuse vermehrt vorkommen. „Die Naturschützer wollen immer 150 Prozent Schutz umsetzen“, kommentiert Axthelm den herrschenden Konflikt.
Beim geplanten Bürgerwindpark Elbmarsch vor Hamburgs Toren führen Projektgegner derzeit Rotmilan-Horste ins Feld. Der Bauplatz bei Tespe (Niedersachsen) ist ein Steinwurf vom abgeschalteten Kernkraftwerk Krümmel entfernt. Der Landkreis Harburg erwägt, die betroffenen Windvorrangflächen mit Blick auf die brütenden Greifvögel aus dem Raumordnungsplan zu streichen. Die Organisatoren des Windparkprojekts hoffen auf einen Kompromiss, würden unter Umständen einen von zwei geplanten Standorten aufgeben und zeigen sich auch bereit, beim späteren Betrieb der Anlagen Rücksicht auf die Natur zu nehmen: Es gebe Beispiele, bei denen die Windräder zur Erntezeit, wenn die abgemähten Felder Greifvögel, aber auch Weißstörche anziehen, stillstehen.
Keine Windräder in Wäldern
Ein großes Problem sei die Tatsache, dass nach wie vor in Vogelschutzgebieten Windenergieanlagen gebaut werden, sagt Bellemann. „Diese Gebiete werden zwar der EU gemeldet. Damit sind sie national aber nicht rechtlich abgesichert.“ Ein drastisches Beispiel sei der hessische Vogelsberg: Dort seien innerhalb von sechs Jahren 125 Windkraftanlagen gebaut worden – „in dieser Zeit hat sich der Brutbestand des seltenen Schwarzstorches halbiert“.
Der Vogelsberg ist ein Waldgebiet. In Wäldern sieht Bellemann eine „vorrangige Baustelle“ des Artenschutzes, weil Windrotoren vermehrt in Forsten errichtet würden: „Naturnaher Wald ist besonders kritisch, da dort besonders viele Arten betroffen sind.“ Die Wildtier Stiftung hat gerade eine Studie „Windenergie im Lebensraum Wald“ veröffentlicht. Für Stiftungsvorstand Dr. Fritz Vahrenholt steht fest: „Die Energiepolitik braucht eine Naturwende“, er kritisiert „das Wachstum von Windstrom um jeden Preis“.
Eine Forderung der Stiftung lautet: Der Bau von Windrädern in Wäldern ist zurückzustellen, solange für den Natur- und Artenschutz risikoärmere Flächen, etwa intensiv bewirtschaftetes Ackerland, bereitstehen. Gerade im waldarmen Norddeutschland sei der Verzicht auf Wald-Windrädern wichtig, auch zum Schutz der Fledermäuse. Dem Großen Mausohr, Kleinen Abendsegler und Co. ist schon geholfen, wenn gut besuchte Jagdreviere unberührt bleiben und Rotoren in Zeiten mit erhöhter Fledermausaktivität (laue Sommerabende) abgeschaltet werden. Auch plädieren die Naturschutzexperten für eine Umkehr der Beweislast: Wälder sollten grundsätzlich für Windräder tabu sein. Ausnahmen könnten für monotone Forste gelten, in denen nur Fichten oder Kiefern wachsen – wenn belegt ist, dass ein Windparkbau keinen Kollateralschaden in der Natur verursacht.