Die Spannung steigt an Bord des brandneuen Forschungsschiffes. Hamburger Wissenschaftler an Bord der „Sonne“ erkunden das Ozean-Leben und die Schätze am Mittelatlantischen Rücken.
Hamburg. Die Spannung steigt. Gerade hat das weltweit modernste Forschungsschiff, die „Sonne“, im Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria (Spanien) die Festmacherleinen losgemacht und ist zur ersten großen Forschungsreise aufgebrochen. Die „Sonne“ wird entlang des 10. nördlichen Breitengrades binnen sechs Wochen bis nach San Juan in Puerto Rico fahren.
Noch herrscht leicht hektische Betriebsamkeit an Bord, es wird aus– und umgepackt. Laborchemikalien und Zahnpasta, Papierhandtücher und Süßigkeiten, Anspitzer und Gummistiefel, Büroklammern und Stereomikroskope, Petrischalen und Boxershorts, Arbeitskleidung und Klopapier, Messzylinder und Haarbürste, Zeichenbrett, Bücher, Festplatten, USB-Sticks und Fotoapparate – jeder kleinste (Gebrauchs-)Gegenstand, der für sechs Wochen auf See benötigt wird, ist bereits vor Wochen für jedes Expeditionsmitglied auf langen Packlisten notiert, dann fachmännisch verpackt, in Container verstaut und noch in Kiel an Bord der „Sonne“ verbracht worden.
Allein die Ausrüstung, die die Wissenschaftler mitnehmen, wiegt 2500 Kilogramm. Ihr Wert beläuft sich auf gut 18.000 Euro. Dazu kommt alles, was die 35-köpfige Besatzung und der normale Schiffsbetrieb benötigt. „So eine Fahrt ist für jeden Wissenschaftler etwas Besonderes! Wann hat man schon die Chance, als erstes Team auf einem völlig neuen Forschungsschiff zu fahren? Wir sind super gespannt, ob dieses Schiff wirklich all das hergibt, was es verspricht. Beeindruckend ist schon, dass die Antriebswelle des Schiffes so leise ist, dass man sogar ohne Schallschutz für die Ohren daneben stehen und sich unterhalten kann“, sagt Professorin Angelika Brandt, die bereits mehrere Schiffsexpeditionen geleitet hat.
In dieser Expedition, die den klangvollen Namen Vema-Transit trägt, ist die Meeresbiologin vom Zoologischen Museum der Universität Hamburg stellvertretende Fahrtleiterin. Insgesamt sind unter der Leitung von Prof. Colin Devey vom Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel 38 Wissenschaftler an Bord. Es sind Ozeanografen, Meeresbiologen, Geophysiker sowie Geologen. Gemeinsam wollen sie Tiefseeebenen, die zwischen 3000 bis 6000 Meter unter dem Meeresspiegel liegen, untersuchen.
Verfolgen Sie hier die Position der „Sonne“
Obwohl diese untermeerischen Gebiete der größte Lebensraum der Erde sind – sie machen rund 60 Prozent der Erdoberfläche aus – sind sie bisher kaum erforscht. Das gilt auch für die Tiefseegräben, die sich unterhalb von 6000 Meter Wassertiefe rund um den Globus erstrecken. Wenig ist über das Leben am und im Tiefseeboden bekannt.
Rund 10.000 Arten, die in den Meeren leben, kennen die Forscher, doch vermutlich werden sie von 2,2 Millionen unterschiedliche Lebewesen bewohnt. „Auf die feste Erdoberfläche übertragen ist das so, als wenn wir von ihr gerade einmal zwei Fußballfelder kennen würden“, vergleicht Angelika Brandt. Mit der Expedition wollen die Wissenschaftler, die auch von der Universität Köln sowie dem Deutschen Zentrum für Biodiversitätsforschung der Senckenberg-Gesellschaft kommen, dazu beitragen, dass die Unkenntnis geringer wird.
Forschungsschiff "Sonne im Überblick“
„Wir wollen mehr darüber wissen, wie die Eigenschaften des Wassers, die Lebensweisen der Organismen und die Beschaffenheit des Meeresgrundes sich gegenseitig beeinflussen“, erläutert Angelika Brandt und fügt hinzu: „Erstmals werden wir mit dieser Forschungsreise die Tiefsee entlang einer horizontalen Linie konsequent untersuchen. Wir werden von 18 Grad West bis 56 Grad West beproben, fotografieren, kartieren.“
Die Vema-Fracture Zone, die sich entlang des zehnten Breitengrades erstreckt, ist die größte Störungszone im Verlauf des Mittelatlantischen Rückens. „Wir wollen herausfinden, ob die unterseeischen Gebirgszüge des Mittelatlantischen Rückens eine Schranke für die am Boden lebenden Arten darstellt, ob sie also eine Evolution durch Isolation begünstigt. Mit Greifern und geschleppten Geräten werden wir Proben entnehmen und schon an Bord beginnen, diese auszuwerten“, sagt Angelika Brandt.
Dafür stehen gleich zwei Nasslabore zur Verfügung. Andere Geräte ermitteln kontinuierlich Temperatur, Salzgehalt und weitere Umweltdaten, mit modernster Technik wird der Meeresgrund kartiert.
Zudem werden die Wissenschaftler auch den mehr als 8000 Meter tiefen Puerto Rico Graben untersuchen, der zu den tiefsten Regionen des Atlantiks zählt. „Wir wollen herausfinden, ob sich die Anzahl und die Artenvielfalt der Lebewesen in dem Graben von der Biodiversität der umgebenden Tiefseeebenen unterscheidet.“
Zunächst aber müssen die Wissenschaftler alles so an Bord der „Sonne“ verstauen, dass alles wetterfest ist und sie jeden Gegenstand auch zügig wiederfinden. Denn Zeit ist auf dieser Expedition in jeder Hinsicht kostbar. Rund 35.000 Euro kostet ein Forschungstag.
Das Hamburger Abendblatt und abendblatt.de halten Sie über die Expedition der „Sonne“ und ihre Ergebnisse auf dem Laufenden