2,2 Millionen Menschen leiden so stark unter Schmerzen, dass sie als Schmerzkranke bezeichnet werden. In Hamburg beraten Experten über umfassene Behandlungen. Auch immer mehr Kinder leiden.
Hamburg. 23 Millionen Deutsche leiden unter chronischen Schmerzen, 2,2 Millionen sogar so stark, dass Mediziner sie als Schmerzkranke bezeichnen. Sie vor allem benötigen eine intensive, zuverlässige und vielschichtige Therapie. „Was wir brauchen, ist eine abgestufte Versorgung, die sicherstellt, dass jeder erhält, was er zur Behandlung seiner Beschwerden erfordert.
Es kommt darauf an, dass die Behandlung von Schmerzen noch deutlicher in der Versorgungswirklichkeit verankert und die stationäre sowie ambulante Versorgung verbessert wird.
Wir brauchen einen Versorgungsplan für Deutschland“, sagte Prof. Thomas Tölle, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, gestern auf der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses im CCH. Bis Sonnabend werden dort 2500 Ärzte unterschiedlicher Disziplinen, Psychologen, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Physiotherapeuten in rund 60 Symposien, Kursen und Seminaren beraten, wie sie ihren Patienten besser helfen können.
Ein zentrales Thema des Kongresses ist, wie Mediziner und Therapeuten ihre Patienten unterstützen können, ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren. „Patienten mit chronischen Schmerzen können sehr viel tun, um mit ihrer Krankheit besser umzugehen. Es reicht nicht aus, nur Medikamente einzunehmen. Vielmehr müssen die Patienten selbst aktiv werden, sich trotz Kopfschmerzen beispielsweise regelmäßig bewegen oder Entspannungsübungen ausführen. Das kann auf Dauer sehr wirksam sein“, sagte Tölle. Man müsse daher dem Gespräch mit dem Patienten noch viel mehr Aufmerksamkeit und Zeit widmen.
Schmerzen sind ein Zusammenspiel von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren
Prof. Andreas Straube, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft aus München betonte, dass ärztliches und pflegerisches Handeln alles vermeiden solle, was die Hoffnung und das Vertrauen des Patienten in sich selbst gefährdet. Gerade weil Schmerzpatienten alle Reserven bräuchten, um ihre chronischen Schmerzen zu bewältigen. Es ginge nicht nur darum, die Schmerzen zu lindern, sondern auch die körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten des Menschen zu stärken.
Denn Schmerzen sind immer, davon gehen die Mediziner aus, ein komplexes Zusammenspiel von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren. „Diese Interaktion müssen wir noch besser verstehen“, sagte Straube. Schon heute versuchen auf Schmerz spezialisierte Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte, Physio- und Sporttherapeuten, Bewegungs- und Ergotherapeuten sowie Sozialarbeiter, ihren Schmerzpatienten im Rahmen der „multimodalen“ Therapie entsprechend ihrer individuellen Situation zu helfen.
Dennoch ist die Lage für viele Schmerzgeplagte oftmals bedrückend. „Noch immer werden chronische Schmerzen unterschätzt, weil Sie das Leid, das ein Patient schildert, nicht sehen können“, sagte Prof. Rolf Malessa aus Weimar. Gemeinsam mit Prof. Wolfgang Koppert aus Hannover ist er Präsident des Kongresses. Deshalb sei eine sorgfältige Befragung des Patienten der Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie. „Während wir vor zehn Jahren nur gefragt haben: ‚Haben Sie Schmerzen?‘ fragen wir heute danach, wie sich der Schmerz anfühlt, wann er auftritt, wobei er verschwindet.“
Leichte Schmerzmittel wirken besser und haben weniger Nebenwirkungen
Schmerz gebe es in sehr vielen Facetten, sagt Tölle. Die individuelle Analyse sei die Basis für eine zunehmend individuelle Therapie. „Während wir früher beispielsweise bei sehr starken Schmerzen auf Opioide, die eine morphinähnliche Wirkung haben, gesetzt haben, wissen wir heute, dass manchmal andere Medikamente, die wir früher als ein ‚leichtes‘ Schmerzmittel bezeichnet haben, besser wirken und weniger Nebenwirkungen haben“, schilderte Koppert eine der Folgen einer stärker individuell ausgerichteten Therapie. Um die Versorgung der Patienten insgesamt zu verbessern, bräuchte es noch mehr Forschung. „Wir müssen überprüfen, wie wirksam unser Handeln wirklich ist.“
Sorgen bereitet den Experten, dass immer mehr Kinder an Kopfschmerzen leiden. „Wir beobachten, dass Gewalterfahrungen in der Kindheit, Trennung von Eltern, aber auch frühzeitiges Trinken von Alkohol und Rauchen das Risiko erhöht, an chronischen Kopfschmerzen zu erkranken“, sagte Straube. „Schmerzen sind oft Ausdruck einer seelischen Verletzung. Nur mit viel Zuwendung zum Patienten werden wir in diesen Fällen die Ursache erfahren und dann behandeln können“, ergänzte Kopper. Eine gute Gesundheitserziehung in der Schule könnte helfen, Kinder vor chronischen Kopfschmerzen zu bewahren.
Die wirksamste Therapie, so die Experten, sei eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. Diese sehen die Ärzte durch die fortschreitende Ökonomisierung in der Medizin in Gefahr. Sie wollen mit diesem Kongress auch Impulse setzen, um die Schmerztherapie aus den ökonomischen Zwängen zu befreien, damit die Schmerztherapie Kranke wirklich befreit.