UKE-Forscher haben entdeckt, dass bei einer Demenz Nervenzellen im Gehirn fehlerhafte Proteine nicht mehr beseitigen können.
Hamburg. Das Gedächtnis lässt immer mehr nach, Orientierung und Aufmerksamkeit werden weniger, die Persönlichkeit verändert sich. Irgendwann können Betroffene ihren Alltag nicht mehr bewältigen - und selbst nahe Angehörige nicht mehr erkennen. An einer Demenz leiden in Deutschland 1,4 Millionen Menschen. Und das Risiko, daran zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter an. Jetzt hat Prof. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Thorsten Hoppe vom Institut für Genetik an der Universität Köln einen Mechanismus entdeckt, der bei der Entstehung von Demenzerkrankungen eine zentrale Rolle spielt.
In der Fachzeitschrift "Genetics" berichten die Wissenschaftler darüber, wie der Körper versucht, fehlerhaft gefaltete Eiweiße in den Nervenzellen des Gehirns zu beseitigen, aber diese Aufgabe irgendwann nicht mehr bewältigen kann. Die Folge: Die Ablagerungen der fehlerhaften Proteine in den Zellen nehmen immer mehr zu, bis die Nervenzellen mit den Eiweißen dicht bepackt sind und schließlich an dieser Last zugrunde gehen.
Die Forscher haben vor allem die Abbaumechanismen dieser Proteine unter die Lupe genommen. Dabei spielen molekulare Mülleimer, die sogenannten Proteasen, eine entscheidende Rolle. Sie zerlegen die Proteine in ihre einzelnen Bestandteile, sodass sie in der Zelle wiederverwendet werden können. "Doch deren Leistungsfähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab. Es bleiben mehr fehl gefaltete Proteine erhalten, die Proteinlast steigt und die Funktionsfähigkeit der Nervenzellen sinkt zugleich", sagt Glatzel. Junge Versuchstiere könnten die Proteine schnell abbauen, ohne dass es zu Ablagerungen komme. "Mit zunehmendem Alter wird die Regenerationsfähigkeit der Nervenzellen jedoch schwächer, die zelleigenen Mechanismen zum Proteinabbau schaffen ihre Arbeit nicht mehr."
Doch wie verläuft dieser Prozess bei einer Demenz? Zum ersten Mal gelang es Glatzel und seinen Kollegen in dieser Studie, die Dynamik zu entschlüsseln. Denn die Entwicklung der Krankheit verläuft nicht etwa gradlinig. "Es gibt zunächst einen Anstieg der Proteinlast, dann bleibt diese längere Zeit stabil und plötzlich steigt sie rasant an. Der Körper kapituliert offenbar", erläutert der Wissenschaftler. Warum allerdings die körpereigenen Reparaturstrategien so plötzlich versagen, ist noch nicht geklärt.
Erforscht hat der Mediziner den neu entdeckten Mechanismus an einer seltenen Demenzerkrankung. An dieser sogenannten Familial Encephalopathy with Neuroserpin Inclusion Bodies (FENIB) leiden weltweit nur wenige Familien. "Die FENIB kann als Modell für Demenzerkrankung dienen. Im Gegensatz zum Morbus Alzheimer ist der Krankheitsmechanismus, an dem nur ein spezielles Eiweiß beteiligt ist, bei FENIB leichter zu erforschen als bei der Alzheimer-Krankheit, bei der sich eine Vielzahl von Proteinen ablagern", sagt Glatzel.
Bei der seltenen Form der Demenz, die die UKE-Wissenschaftler untersucht haben, ist bereits genau bekannt, welche Mutation in welchem Gen die Fehlfaltung des Proteins auslöst und somit für die Erkrankung verantwortlich ist. "Die Erkenntnisse lassen sich aber auch auf andere Erkrankungen übertragen, bei denen fehlerhafte Proteine in den Zellen abgelagert werden, wie zum Beispiel die Alzheimer-Erkrankung und die Parkinson-Krankheit", sagt der Wissenschaftler.
Untersucht haben die Mediziner die Krankheit nicht im Menschen, sondern bei einem Tier. "Der Fadenwurm C. elegans hat ein krankmachendes Protein, das dem Protein entspricht, das die Krankheit beim Menschen auslöst", sagt Glatzel. Der Fadenwurm könnte daher zum neuen Lieblingstier der Demenzforscher werden. Denn mit ihm haben sie im Rahmen dieser Arbeit, die sich über vier Jahre erstreckte, einen Modellorganismus entdeckt, mit dem auch die Forschung an Wirkstoffen für neue Medikamente vorangetrieben werden kann.
Im nächsten Schritt wollen Glatzel und seine Kollegen aber erst einmal die Abbauvorgänge der Proteine genauer untersuchen und sich mehrere Signalwege in der Zelle im Detail anschauen, um einen Gesamtüberblick über diese Mechanismen zu gewinnen. "Wir hoffen, dass sich im Laufe der Forschungen daraus spezifischere Therapien ableiten lassen", sagt Glatzel.
Bislang gibt es noch keine Behandlungsmöglichkeiten, die spezifisch den Abbau von solchen fehlerhaften Proteinen stimulieren. "Denkbar wäre, körpereigene Abbauwege zu simulieren. Aber eine solche spezifische Therapie, die andere Vorgänge in den Nervenzellen nicht beeinflusst, ist noch in weiter Ferne", sagt der Wissenschaftler.