Patina wächst in Jahrzehnten. Hamburger Seeluft färbt Kupfer schneller grün, der Rückgang der Schadstoffgehalte bremst den Prozess.
Hamburg. Rot-Grün hielt politisch nur eine Legislaturperiode (1997 bis 2001), im Hamburger Stadtbild setzt es seit Jahrhunderten Akzente. Viele Gebäude beziehen ihren Charme aus der Farbkombination roter Backstein plus grüne Kupferdächer. Doch dem Hamburger Wahrzeichen, der Michaeliskirche, den drei Hauptkirchen St. Katharinen, St. Jacobi und St. Petri, dem alten Elbtunnel, Teilen der Speicherstadt und weiteren repräsentativen Gebäuden fehlt die schmückende Patina, ihre Dächer wurden in jüngster Zeit saniert. Es wird wohl einige Jahrzehnte dauern, bis sie wieder ergrünen. Das hat auch mit der Hamburger Luft zu tun.
"Unsere Luft ist zu sauber für schnelles Grün", sagt Michaela Hessling, Sprecherin des Aurubis-Konzerns, der auf der Veddel Europas größte Kupferhütte betreibt. Aurubis tauschte die alten Kupferbleche der vier Kirchen gratis gegen neue. Die Oxidation der Metalloberfläche werde gefördert durch den sauren Regen, so Hessling. In den jüngsten Jahrzehnten sei der Ausstoß des maßgeblichen Schadstoffs Schwefeldioxid stark zurückgegangen, sodass sich die grüne Patina langsamer einstelle, sagt auch Klempnermeister Dennis Ridella von der Firma Hermann Bade aus Bad Bevensen, die die Kupferdächer vom Michel und St. Katharinen, vom Hauptbahnhof und dem Atlantik-Hotel erneuert hat.
Ridella rechnet damit, dass sich auf den Kirchendächern frühestens nach 15 Jahren die erste grüne Patina bildet. "Nehmen Sie die Michel-Kuppel: Sie wurde bereits 1984 restauriert, und hat heute erst einen grünen Schimmer." Michaela Hessling betont, dass es "durchaus 30 Jahre dauern kann, bis die Dächer wieder komplett grün sind".
Martin Werner, technischer Berater am Deutschen Kupferinstitut in Düsseldorf, schreibt den Luftschadstoffen dagegen eine untergeordnete Rolle zu und macht den Hamburgern, die die rot-grüne Architektur lieben, Mut: "Faktoren wie die Ausrichtung und die Neigung des Dachs entscheiden darüber, wie schnell die Flächen Patina ansetzen. Die relativ flache Kuppel des Konzerthauses Tonhalle hier in Düsseldorf war schon nach gut zehn Jahren schön grün." Womöglich schafft das auch die ähnlich flache Kuppel des alten Elbtunnels. Wichtig für die Dachbegrünung seien Feuchtigkeit und Sauerstoff, so Werner. Auf Flächen, von denen Regen schlecht abläuft, wachse die schützende Patinaschicht am leichtesten.
Je steiler die Abdeckung, desto länger behält das Kupfer einen Braunton - "vertikal verbautes Kupfer an geschützten Fassaden wird nie grün", so Werner. Das nicht exakt vorhersagbare Farbspiel mache Kupferdächer so charmant, urteilt der Technikexperte. Neben braun und grün hat das Halbedelmetall weitere Nuancen in petto. Die Patina entsteht durch Oxidation des Kupfers, vergleichbar mit der Rostbildung bei Eisen und Stahl. Ist die Körnung der zunächst sehr dünnen Oxidationsschicht gröber als normal, schimmere das Dach plötzlich nicht mehr braun, sondern blau bis violett, so Werner. Zudem werden neben Sauerstoff weitere Luftbestandteile eingebunden, dies führe zum Beispiel zu einer Schwarzfärbung.
Das leuchtende Kupfergrün entsteht, wenn die braune Oxidschicht allmählich chemisch umgewandelt wird, unter anderem in Sulfate, die sich aus Schwefeldioxid bilden. Generell beschleunige eine salzhaltige Luft die Patinabildung, so Werner. Hier hat Hamburg mit seinem Meereseinfluss also einen Vorteil gegenüber Süddeutschland. Allerdings sorgt die Seeluft auch dafür, dass das Grün ein wenig blasser wirkt als im Süden der Republik.
Kupfer ist nahezu unverwüstlich. Das zeigt sich am Hildesheimer Dom, den (zum Teil) ein 800 Jahre altes Kupferdach ziert. Werner: "Sie können das Alter von Kupfer nur durch das Handwerk bestimmen: Bis in die 1920er Jahre wurden geschlagene Bleche verwendet, erst danach wurden sie gewalzt. Ob aber ein historisches Kupferblech 100, 200, 500 oder eben 800 Jahre alt ist, ist nicht zu erkennen."
"Kupfer geht nicht kaputt, es sind eigentlich immer die Befestigungen, die eine Neueindeckung erfordern. So war es auch bei St. Michaelis und St. Katharinen", sagt Dachexperte Dennis Ridella. Die Kupferplatten des Michel waren mit ihrer Breite von 72 Zentimetern zu groß, um den Sogkräften des Windes standzuhalten - es entstanden Beulen und Risse. Die neuen Platten sind nur 52 Zentimeter breit und nach dem heutigen technischen Stand befestigt. Dazu gehören spezielle Kupferblechhalter, sogenannte Hafter: Sie halten die Platten fest und können gleiten, um die temperaturbedingte Ausdehnung und das Zusammenziehen des Metalls auszugleichen. Zudem werden sie mit Edelstahlnägeln befestigt. Bei St. Katharinen wurden die Bleche beim Wiederaufbau nach dem Krieg dagegen zum Teil mit Eisennägeln fixiert. Sie verrosteten, machten die Hafter instabil.
Kupfer sei in Mode, es eigne sich - wie auch andere Metalle - durch seine verschiedenen Farbnuancen gut als Gestaltungselement, sagt Ridella. Um die Farbpalette zu erweitern, wird zum Teil chemisch nachgeholfen. Das Kupfer-Institut hält jedoch wenig davon, auf die Schnelle eine künstliche Patina zu zaubern: "Das nachträgliche Grün-Patinieren von Kupfereindeckungen ist zwar theoretisch möglich, aber nicht zu empfehlen. Bei den gängigen Verfahren wird durch das Auftragen flüssiger Chemikalien keine gleichmäßige Verteilung erreicht, sodass es nach dem Trocknungsprozess zu unterschiedlich gefärbten Teilbereichen kommt." Resultat: eine scheckige, fleckige Dachfläche.
Für den ehrwürdigen Hamburger Michel ist die Turbo-Begrünung daher sicherlich keine Alternative. Immerhin sieht man ihm das Kupfer an, das in ihm steckt oder besser: das auf ihm liegt. Ganz anders verhält es sich beim Zwei-Euro-Stück mit dem Michel-Motiv: Die Münze glänzt gold-silbern und besteht doch zu mehr als 70 Prozent aus Kupfer.