Der Vorsitzende der Fritz-Schumacher-Gesellschaft, Prof. Dirk Schubert, mahnt im Abendblatt-Interview: Hamburg muss sein “rotes Gesicht“ erhalten.
Hamburg. "Rettet Elisa!" In Hamm versucht derzeit eine Bürgerinitiative, ihre Wohnanlage Elisa vor einem möglichen Abriss zu retten. 122 mietgünstige Wohnungen sollen möglicherweise für einen Neubau weichen. Das Besondere an dem Gebäudeensemble am Elisabethgehölz ist seine gut erhaltene Backsteinfassade, die aus der Zeit des legendären Hamburger Oberbaudirektors Fritz Schumacher stammt. Mit einem Abriss würde auch ein Stück hamburgischer Architekturgeschichte verschwinden. Das Abendblatt sprach mit dem Vorsitzenden der Fritz-Schumacher-Gesellschaft, Prof. Dr. Dirk Schubert, über den Umgang mit Backsteinkultur in der Hansestadt.
+++ Mieter kämpfen gegen eigene Genossenschaft +++
Hamburger Abendblatt: Wie viele Schumacher-Gebäude gibt es in Hamburg?
Dirk Schubert: Das ist eine Frage derDefinition. Bei den großen Wohnungsquartieren Jarrestadt oder Barmbek-Nord, da trug der Oberbaudirektor Fritz Schumacher ja nur die städtebauliche Verantwortung. Die Wohnbauten sind häufig von einzelnen Architekten geplant worden. Bei öffentlichen Bauten wie der Finanzbehörde oder Schulbauten sieht das anders aus.
Gab es damals - abgesehen vom Backstein - einen bestimmten Stil, zu bauen?
Schubert: Schumacher hat stark auf lokale und regionale Traditionen gesetzt. Zu Beginn der 20er-Jahre war er noch mehr der Architektur der Vorkriegszeit verhaftet. Gegen Ende der 20er-Jahre praktizierte er auch stärker modernere Bauformen. Da war sicherlich der Bauhausstil eine Entwicklung im Hintergrund, die er beobachtet und verarbeitet hat. Gleichwohl kann man sagen, es gab eine hamburgeigene Tradition.
Was zeichnet den Hamburger Stil der 20er-Jahre aus?
Schubert: Es gibt massive Unterschiede zur Gründerzeit. Schumacher verfasste damals ein Buch, "Die Kleinwohnung". Darin weist er nach, wie ungesund die gründerzeitlichen Bauten sind und dass man mit ähnlichem finanziellen Aufwand sehr viel gesündere Wohnungen bauen kann. Das fängt an bei dem Prinzip der Querlüftung. Das Leitbild "Licht, Luft und Sonne" hat er auf seine Art und Weise re-interpretiert. Es gab seinerzeit einen großen Kostendruck, und es ging darum, in kurzer Zeit viele Wohnungen für Menschen mit mittleren und unteren Einkommen zu bauen. Es ging darum, die Küche so zu optimieren, dass man alles unterbringen kann und dadurch noch Platz für ein Bad entsteht. Es ging darum, eine Wohnung und den Grundriss zu optimieren.
Macht Hamburg genug für den Erhalt seines "roten Gesichts"?
Schubert: Ich denke, dass das Problem erkannt wurde. Viele Beteiligte haben auf die Gefahr hingewiesen, dass Hamburg sein "rotes Gesicht" verliert. Andererseits sehen wir auch die Notwendigkeit, Häuser besser zu dämmen, um damit Energie zu sparen.
Das Erkennen des Problems bedeutet noch nicht seine Lösung.
Schubert: Es soll jetzt einen "Backsteinbetreuer" geben. Architekten und Bauherren können sich bei ihm im Umgang mit Backsteingebäuden beraten lassen. Dadurch hoffen wir, dass auch bei einer energetischen Sanierung oft die Backsteinfassade erhalten bleiben kann.
Das ist freiwillig. Muss die Stadt in ihren Förderrichtlinien nicht vorschreiben, Backsteinfassaden zu erhalten?
Schubert: Das wäre sinnvoll. Die Mitarbeit eines Backsteinbeauftragten sollte bei der Sanierung von Backsteingebäuden gesetzlich vorgeschrieben werden. Natürlich muss der Beauftragte dann auch die notwendigen Kompetenzen und im Zweifel das letzte Wort haben.
Der SPD-Senat hat den Bezirken mehr Befugnisse beim Bau von Wohnungen eingeräumt. Schwächt das nicht jene, wie beispielsweise den Oberbaudirektor, die sich für den Erhalt des historischen Stadtbildes einsetzen?
Schubert: Der Oberbaudirektor istsicher die Instanz, die den besten Überblick über das "Gesicht Hamburgs" hat. Wenn es um den Charakter und das Flair eines Stadtviertels geht, dann sollte er bei der Sanierung historischer Gebäude oder bei der Lückenbebauung gefragt werden müssen. Der Baudirektor ist ja der kompetente Berater, der Belange des Denkmalschutzes und wirtschaftliche Interessen abwägen muss.
Bauherren klagen, dass wirtschaftliche Aspekte bei der Sanierung älterer Gebäude manchmal zu kurz kommen. Schließlich müssten Wohnungen nach einer Sanierung halbwegs bezahlbar bleiben.
Schubert: Wir haben ja seinerzeit, als die Stadt den Erhalt der typischen Sprossenfenster förderte, gesehen, dass es Wege gibt, die Bewahrung unseres baulichen Erbes mit den Anforderungen modernen Wohnens zu kombinieren. Jetzt gilt es, Programme für denErhalt der Backsteinkultur aufzulegen.
Angesichts der finanziellen Probleme, die die öffentliche Hand hat, mag sich mancher Hamburger fragen: Warum sollte man Geld für den Erhalt von Backsteinfassaden ausgeben, anstatt es inKitas oder Bücherhallen zu stecken?
Schubert: Das hat mit der Identität von Hamburg zu tun. Viele Hamburger sind in den Backsteinquartieren Jarrestadt oder Dulsberg aufgewachsen und haben gute und weniger gute Erinnerungen daran. Aber es ist "ihr" Hamburg. Wenn Hamburg einen Teil seiner Identität verliert, verlieren auch die Menschen, die hier leben, ein Stück ihrer Identität.
Wie wichtig ist Identität in einer Zeit, in der vor allem jüngere Menschen kosmopolitisch aufwachsen?
Schubert: In der schnelllebigen Zeit der Globalisierung werden Heimat und das Heimatgefühl noch wichtiger als früher. Der Global Player, der in seiner Arbeitswelt umtriebig ist und keine Grenzen zu kennen scheint, ist nach seinem stressigen Arbeitstag ein Local User. Der will dann in seine Geborgenheit zurückkehren. Vor diesem Hintergrund bekommen Wohnumgebung und Nachbarschaft einen anderen Stellenwert.
Und das geht nur in Backsteinensembles aus den 20er- oder 30er-Jahren?
Schubert: Natürlich nicht. Aber gerade diese Wohnviertel zeichnen sich durch eine Struktur aus, die Geborgenheit in der Gemeinschaft ermöglicht. Unterschätzen Sie nicht den Wunsch der Menschen, ihr Wohnumfeld selbst gestalten zu können, und sei es über Beziehungen zum Nachbarn.
Ältere Gebäude haben oft einen gewissen Charme. Woran liegt das?
Schubert: Früher ist mehr kleinteilig und weniger großmaßstäblich gebaut worden. Die Besonderheit einzelner Bauwerke ist beim Übergang vom handwerklichen zum industriellen Bauensicher ein wenig verloren gegangen. Jane Jacobs, die US-amerikanische Stadtforscherin, hat mal gesagt: "Neue Ideen brauchen alte Gebäude."
Alte Gebäude als Chance für Kreativität?
Schubert: Wo finden Sie die Kreativen dieser Stadt? In der City Süd? In der City Nord? Wohl eher nicht. Sie leben und arbeiten in den Hinterhöfen von Ottensen, Altona oder St. Pauli. Das spiegelt die Wertschätzung dieser alten Wohn- und Arbeitsviertel wider.