Forscher wollen mit überschüssiger Windenergie Wasserstoff und Erdgas erzeugen, die gespeichert werden können. Dies bedeutet großen Aufwand
Hamburg/Stuttgart. Dass das deutsche Stromnetz künftig verstärkt aus Wind- und Solarkraftanlagen gespeist werden wird, ist angesichts der Reaktorkatastrophe in Fukushima mehr als wahrscheinlich. Doch die unsteten Energieträger lassen sich nur mit hohem technischen Aufwand in großem Umfang ins Netz integrieren - schon heute kommt es vor, dass an der schleswig-holsteinischen Küste bei steifer Brise Rotoren aus dem Wind gedreht werden, weil das regionale Netz die große Stromernte nicht aufnehmen kann. Forscher arbeiten unter Hochdruck daran, die Basis für mehr Ökostrom zu schaffen. Ein Ansatz lautet: Überschussstrom aus Windkraft oder Sonnenenergie verwerten, indem man mit ihm Erdgas oder Wasserstoff herstellt.
Projektpartner in Hamburg und Schleswig-Holstein wollen mit dem Stromüberschuss Wasser in Wasser- und Sauerstoff zerlegen (Elektrolyse). Der Wasserstoff könnte den regionalen Bedarf der norddeutschen Großindustrie decken und zukünftig über die Brennstoffzelle Fahrzeuge antreiben. "Wir bereiten derzeit in Schleswig-Holstein ein erstes Projekt zur Wasserstoffproduktion vor", sagt Heinrich Klingenberg, Geschäftsführer der hySolutions GmbH, die in Hamburg Wasserstoffprojekte vorantreibt. Auch für die Nutzung des Wasserstoffs gebe es bereits Konzepte. Mehr will er noch nicht verraten.
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel und des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) in Stuttgart setzen dagegen auf Erdgas für die Windstromverwertung. Auch sie produzieren im ersten Schritt mittels Strom Wasserstoff. Diesen bringen sie anschließend mit CO2 zusammen, um daraus Methan (CH{-4}), die Hauptkomponente des Erdgases, herzustellen. Die zweite Umwandlung ist zwar mit einem zweiten Energieverlust verbunden. Aber sie erschließt den Technikern einen riesigen Speicher: Das synthetische Erdgas kann ins vorhandene Erdgasnetz eingespeist werden. Dieses kann Gas mit einem Energiegehalt von 200 Terrawattstunden (200 Milliarden Kilowattstunden) aufnehmen - das deutsche Stromnetz hat dagegen nur eine Kapazität von 0,04 Terrawattstunden.
Bei der Erdgasproduktion aus Windstrom wird die eingesetzte Energie zu 60 Prozent genutzt. Dies sei immerhin besser, als wenn der Strom mangels Netzkapazitäten gar nicht erst erzeugt wird, betont Dr. Michael Sterner vom IWES. Die Technologie könne sowohl regionale Netzengpässe abfedern als auch einen Beitrag zur Stabilisierung des nationalen Stromnetzes leisten, betont IWES-Kollege Norman Gerhardt: "Wenn der Anteil an den unstetig zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energien im Netz 30 bis 35 Prozent überschreitet, wird es problematisch. Diese Größenordnung erreichen wir bei schönem Frühlings- und Sommerwetter bereits heute durch Leistungsspitzen beim Solarstrom."
Bislang wurde nur im großen Stil Strom aus Erdgas erzeugt. In Zukunft könnte sich dies vermehrt umkehren, denn nur das Erdgasnetz bietet national die Speicherkapazitäten, die wir brauchen werden, betonen die Forscher. Dabei ließe sich aus dem Erdgas bei Bedarf wieder Strom produzieren, um Versorgungslücken zu decken. Denn durch den vermehrten Einsatz von Wind und Sonne wird die Stromversorgung wetteranfällig. Sie braucht Puffer, um die unstete Produktion auszugleichen.
Dabei geht es nicht, wie bislang, nur um den Ausgleich von kurzfristigen Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage. Schlechtwetterphasen sorgen dafür, dass tagelang große Mengen Windstrom ins Netz fließen, Schönwetterperioden können sogar über Wochen reichlich Solarstrom liefern. "Wenn wir saisonal auftretende Stromüberschüsse speichern wollen, dann geht dies nur mit chemischen Energieträgern", sagt Dr. Ulrich Zuberbühler vom ZSW. "Und da bieten sich Wasserstoff und Erdgas an, weil sie am kostengünstigsten herzustellen sind."
Andere Techniken eignen sich dagegen nur für eine kurzfristige Zwischenspeicherung von Strom. Das gilt für Batterien, Pumpspeicherkraftwerke und Druckluftspeicher. Sie sind nur wirtschaftlich, wenn sie in kurzen Rhythmen Strom aufnehmen und abgeben müssen. Erdgas und Wasserstoff könnten zu Langzeitspeichern werden.
Die Firma Solar Fuel ist bereits in die Strom-zu-Gas-Produktion eingestiegen: Seit November 2009 läuft auf dem Stuttgarter Betriebsgelände des ZSW ein Prototyp mit einer elektrischen Anschlussleistung von 25 Kilowatt. "Die Anlage hat uns gezeigt, dass das Verfahren funktioniert", sagt Gregor Waldstein, Geschäftsführer von Solar Fuel. "Wir arbeiten jetzt an Anlagen mit höheren Anschlussleistungen. Die nächste mit 6,3 Megawatt soll bereits einen Wirkungsgrad von 54 Prozent erreichen." Bis 2015 will Solar Fuel kommerzielle Anlagen mit 20 Megawatt Anschlussleistung entwickelt haben, die dann den Energiegehalt des Stroms zu mehr als 60 Prozent nutzen.
Ob und wann sie wirtschaftlich reizvoll für Investoren werden, hänge von den Rahmenbedingungen ab, sagt Sterner. Er sieht generell einen Bedarf "bei demjenigen, der zu viel Strom hat und diesen nicht ins Netz einspeisen kann". Dies seien zum einen Anlagenbetreiber im Bereich der erneuerbaren Energien. Zum anderen könnten es aber auch Eigner von konventionellen Kraftwerken sein, die ihren Betrieb nicht flexibel an den schwankenden Bedarf des Stromnetzes anpassen können oder wollen.
"Derzeit werden Windenergieanlagen vom Netz genommen, damit Grundlastkraftwerke weiterlaufen können", so Sterner - statt den Wind zu nutzen, wird Kohle verbrannt. Dieser klimapolitische Unsinn hat einen wirtschaftlichen Hintergrund: Den Verlust des nicht genutzten Windstroms zahlen nicht die Energieversorger, sondern die Stromkunden. Denn nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz müssen die Netzunternehmen den Betreibern der Windrotoren auch diejenigen Kilowattstunden vergüten, die gar nicht ins Netz eingespeist wurden. Die Netzbetreiber geben dann diese Kosten an die Verbraucher weiter.