In der Hansestadt verdeckt morgen ab 8.35 Uhr der Mond die Sonne. Ein Schauspiel, das seit Jahrtausenden fasziniert. Eine Kulturgeschichte.
Hamburg. Malina ist eine strahlend schöne Frau; ihr Bruder Anningan eher ein kühler, bleicher Typ. Als Kinder spielten sie unbeschwert miteinander, doch als sie erwachsen wurden, fiel Anningan lüstern über seine Schwester her. Im verzweifelten Kampf schwärzte sie sein Gesicht mit dem Ruß einer umgefallenen Öllampe. Malina floh vor ihrem Bruder bis in den Himmel, wo sie zur Sonne wurde.
Anningan folgte ihr und wurde zum Mond. Seit Äonen jagt er seine Schwester und hin und wieder gelingt es ihm, sie einzuholen. Dann verdeckt der Schwarzgesichtige für kurze Zeit die Frau - und es entsteht eine Sonnenfinsternis. Es ist vielleicht nicht gerade die streng wissenschaftliche Erklärung aus dem Astronomieunterricht, aber gewiss eine der bildreichsten Mythen, die sich um das Himmelsereignis ranken. Sie stammt von den auf Grönland lebenden Ureinwohnern, den Inuit.
Am Dienstagvormittag haben auch die Deutschen Gelegenheit , den Kampf zwischen Malina und ihrem triebhaften Bruder zu beobachten: Von Nordafrika bis Skandinavien erstreckt sich die Sonnenfinsternis. Bei einer seltenen totalen Sonnenfinsternis verdeckt der Mond die Sonnenscheibe vollständig, bei einer partiellen nur zum großen Teil.
In Hamburg beginnt das Schauspiel bereits morgens beim Sonnenaufgang um 8.35 Uhr - dann verdeckt der Mond sie schon gut zu einem Fünftel. Thomas Kraupe, Astronom und Direktor des Planetariums Hamburg, spricht daher von einem "ganz außergewöhnlichen Sonnenaufgang". Überhaupt sei diese Finsternis "ein besonderer Leckerbissen". Das Maximum ist um 9.25 Uhr erreicht - dann verdeckt der Mond die Sonne zu rund 74 Prozent. Um 10.48 Uhr ist alles wieder vorüber.
Astronomisch problemlos zu erläutern haftet Sonnenfinsternissen dennoch etwas Unheimliches, Unerklärliches an - das lebensspendende Himmelslicht erlischt, infernalische Finsternis senkt sich über die Erde. Die Völker der alten Kulturen überhöhten diesen rätselhaften Vorgang mythisch-religiös. Und nicht nur im dunklen Mittelalter bewegte viele Menschen angesichts der scheinbar erlöschenden Sonne die Angst vor einem Weltuntergang - 1999 war es nicht viel anders.
Dabei sind Sonnenfinsternisse gar nicht so selten - ungefähr alle sechs Monate irgendwo auf der Erde. Das Jahr 2011 bietet gar gleich vier derartige Ereignisse, doch das am 4. Januar ist das schönste - soweit das Wetter eine gute Beobachtung zulässt. Die übrigen - am 1. Juni, am 1. Juli und am 25. November - sind in Deutschland ohnehin nicht zu sehen. Die nächste partielle Sonnenfinsternis, die bei uns zu bewundern sein wird, ist erst am 20. März 2015. Zwar ereignet sich schon vorher noch eine totale Sonnenfinsternis - am 13. November 2012 - aber nur im Pazifik-raum. Die Deutschen müssen für ein solches Himmelsereignis noch bis zum Jahr 2081 warten.
Die Sonne verfinstert sich, weil sich der Mond zwischen sie und die Erde schiebt. Nun ist die Sonne rund 400-mal so groß wie der Mond; in ihrem Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometern hätte leicht die gesamte Umlaufbahn des Mondes um die Erde Platz. Dass der Mond dieses riesige Gestirn verdecken kann, liegt natürlich daran, dass die Sonne auch 400-mal so weit von der Erde entfernt ist wie der Mond - rund 150 Millionen Kilometer.
Von der Erde aus betrachtet erscheinen daher Sonne und Mond etwa gleich groß. Doch das wird nicht immer so bleiben - der Mond entfernt sich vom Blauen Planeten pro Jahr um etwa 3,8 Zentimeter. Schon in 600 Millionen Jahren wird der Erdtrabant die Sonne nicht mehr vollständig abdecken können. Und dass der Mond nicht bei jeder Umlaufbahn die Sonne verdunkelt, liegt einfach daran, dass seine Bahn um die Erde um rund fünf Grad gegenüber der Bahn der Erde um die Sonne, der sogenannten Ekliptik, verschoben ist - daher verläuft der Mondschatten meist außerhalb der Ekliptik.
Bei den alten Kulturvölkern galt eine "schwarze Sonne" als düsteres Omen, als himmlische Unglücksbotschaft. Die Sonne bedeutete für die Menschen von Beginn der Zivilisation an Licht, Wärme und Pflanzenwachstum - und damit Leben. In fast allen alten Zivilisationen hatte die Sonne Götterstatus. Die Anbetung der Sonnenscheibe gilt sogar als Ursprung des Monotheismus, also des Glaubens an nur einen Gott. In Ägypten führte Amenophis IV. (1351-1334 v. Chr.) als "Ketzerpharao" Echnaton den weitgehend monotheistischen Sonnenkult um den Gott Aton ein, eine spezielle Erscheinungsform des alten Sonnengotts Re. Echnatons Sohn Tunanchamun, dessen Grabstätte im Tal der Könige weltberühmt wurde, hieß zunächst Tunanchaton. Erst die eifersüchtige Priesterkaste machte dem monotheistischen Sonnenkult nach dem Tod Echnatons ein schnelles Ende. Tutanchaton fügte sich dem mächtigen Klerus - und änderte seinen Namen in Tutanchamun.
Auch Griechen, Sumerer, Babylonier, Azteken, Germanen, Hethiter, Perser, Römer, Kelten, Sioux und viele andere Völker beteten Sonnengötter an.
Eine Sonnenfinsternis, bei der das Licht erlosch, die Vögel verstummten und die Sterne am Taghimmel aufflammten, stürzte die alten Völker in Angst und Schrecken. So deckte man in Japan die Brunnen ab, weil man fürchtete, der Finsternis könne ein giftiger Pesthauch entweichen. Die Ojibwa-Indianer Nordamerikas trieb wiederum die Angst um, die Sonne würde dauerhaft verlöschen. Ihre besten Krieger schossen daher brennende Pfeile in den Himmel, um das Sonnenfeuer wieder zu entzünden. In Mittelamerika glaubten die Azteken, der Sonnengott Tonatiuh würde bei seiner nächtlichen Wanderung durch die Unterwelt jede Nacht ausgezehrt. Eine Sonnenfinsternis galt daher als Zeichen dafür, dass die Kräfte Tonatiuhs am Ende seien. Um ihn mit Blut zu stärken, opferte man auf den steinernen Pyramiden unzählige Menschen mit Obsidianmessern.
Auch in China hatte man Angst, wie aus dem vermutlich frühesten Bericht über eine Sonnenfinsternis des Jahres 2134 vor Christus hervorgeht. Damals nahm man an, der ungeheure Himmels- "Drache des Chaos" würde das lichtspendende Gestirn verschlingen. Üblicherweise traf man besondere Vorkehrungen und machte mit Trommeln und anderen Instrumenten einen Höllenlärm, um den fliegenden Lindwurm von seiner Beute zu verjagen. In jenem Jahr hatten die Hofastronomen Hsi und Ho allerdings das Ereignis verschlafen. Kaiser, Hof und Volk saßen plötzlich im Dunklen. Der düpierte "Sohn des Himmels" reagierte unfroh - die Herren Hsi und Ho verloren ihre Köpfe.
Auch ein anderer möglicher Todesfall aufgrund einer Sonnenfinsternis ist überliefert: Kaiser Ludwig der Fromme, Sohn Karls des Großen, ohnehin todkrank, war derart erschrocken, als sich der Himmel im Mai des Jahres 840 plötzlich verdunkelte, dass er wohl am Schock starb. Es war ein Tod von großer Tragweite: Ludwigs Riesenreich wurde unter seinen zankenden drei Söhnen Ludwig, Lothar I. und Karl aufgeteilt - grob gesagt, in die späteren Staaten Deutschland, Frankreich und Italien.
Dagegen vermochte eine Sonnenfinsternis in alten Kleinasien einen Konflikt zu beenden. Fünf Jahre hatte bereits der Krieg zwischen Alyattes II. von Lydien und dem Mederkönig Kyaxares II., getobt, als am 28. Mai des Jahres 585 vor Christus plötzlich das Tageslicht verlosch. Angesichts der bedrohlichen "schwarzen Sonne" am Himmel ließen die Krieger auf dem Schlachtfeld am Fluss Halys in der heutigen Türkei entsetzt ihre Schwerter sinken und schlossen einen Friedensvertrag. So berichtete jedenfalls der griechische Geschichtsschreiber Herodot. Er überlieferte auch, dass der berühmte Philosoph, Astronom und Staatsmann Thales von Milet (624-546 v. Chr.) diese Sonnenfinsternis präzise vorausgesagt hatte. Auch die Babylonier wussten schon grundsätzlich um die Planetenmechanik; dieses alte Wissen ging allerdings im europäischen Mittelalter wieder verloren. Glaube und Aberglaube regierten, entsprechend groß war die Angst vor einem Weltuntergang.
Aber auch im Altertum reagierte nicht jeder so gelassen wie der griechische Philosoph Plutarch. Damals wurde die attische Kriegsflotte beim Auslaufen von einer Sonnenfinsternis überrascht. Dem zitternden Steuermann soll Plutarch seinen Mantel vor die Augen gehalten und sinngemäß gesagt haben: So wie dieser Mantel kurzfristig das Licht verdecke, passiere das auch mit der Sonne - nur sei dafür ein viel größerer Gegenstand notwendig. Daran sei gar nichts Übernatürliches.
In der Neuzeit wurde dies mit präzisen Messungen bestätigt. Doch nicht jedem Astronomen war es vergönnt, in Ruhe zu arbeiten. So wollte der geniale amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison am 29. Juli 1878 eine totale Sonnenfinsternis in Wyoming beobachten. Als Beobachtungsstandort wählte er einen Hühnerstall. Als sich der Mondschatten vor die Sonne schob, eilten die Tiere in den Stall, da sie annahmen, die Nacht bräche an. Edison musste sich einer Wolke von aufgeregtem Federvieh erwehren. Die Beobachtung dieser Sonnenfinsternis gelang ihm nur äußerst unvollkommen.