Der Klimawandel spaltet die Grönländer aktuell in zwei Lager. Denn ihr Lebensraum ändert sich stärker als je zuvor. Das Ende der Eiszeit naht.
Narsarsuaq. Auf Grönland scheint das Ende der Eiszeit in Sicht. Während im Norden die sommerliche Meereisbedeckung des Arktischen Ozeans schwindet, hat der Klimawandel auch den Süden der Rieseninsel am Polarkreis bereits erfasst. "Wir können hier mittlerweile Kartoffeln anbauen und Freiland-Erdbeeren heranziehen", sagt der Leiter der Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt in Upernaviarsuk, Anders Iversen.
Seit Mitte der 1970er-Jahre haben sich die klimatischen Verhältnisse auf dem südlichen Teil der Insel dramatisch verändert. "Aber es ist erst seit Kurzem so", sagt die Einheimische Etta Lyberth. "Seit fünf Jahren ist der Fjord hier gar nicht mehr zugefroren, vor zehn Jahren konnten wir ihn im Winter noch mit dem Motorschlitten überqueren." Vielen Einheimischen ist diese Entwicklung jedoch durchaus recht. "Die Touristensaison wird länger, wir können bessere Geschäfte machen", argumentiert beispielsweise der Bootsführer Erninnguaq, der aus dem Dorf Nanortalik Schiffstouren zu den beiden Gletschern Sermeq und Sermitsiaq anbietet.
An diesem südlichsten Ende der rund 2000 Kilometer langen Inlandeiskappe Grönlands sind die Folgen des Klimawandels nicht zu übersehen. "Bis vor rund 100 Jahren ist der Gletscher noch gewachsen, jetzt zieht er sich jedes Jahr um etwa 15 Meter zurück", hat der pensionierte Lehrer Niels Taekker Jepsen beobachtet. Die Durchschnittstemperaturen seien binnen weniger Jahre um rund zwei Grad gestiegen. "In diesem Sommer hatten wir mehrfach Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius." In den vergangenen Tagen kletterte das Quecksilber mehrfach über die 20-Grad-Marke.
Die an der Küste lebenden Inuit kamen um 1400 von Alaska übers Eis nach Grönland, als die Wikinger vor der beginnenden kleinen Eiszeit in Nordeuropa und Amerika fliehen mussten. Jahrhundertelang lebten sie - ideal an die Kälte angepasst - als Jäger und Fischer. Heute ist ein beträchtlicher Teil der rund 55 000 Grönländer von staatlicher Hilfe der einstigen Kolonialmacht Dänemark abhängig.
"Für Grönland ist es deswegen eine Riesenchance, dass der Klimawandel den Weg zu den ungeheuren Bodenschätzen dieses Landes frei macht", ist der Unternehmer Rasmus Rasmussen überzeugt. Er gehört zu den Experten, die ein riesiges vermutetes Erzvorkommen oberhalb des Hafens von Narsaq untersuchen. "Durch den Abbau von wertvollen Mineralien und Erzen könnten hier 2000 neue Arbeitsplätze entstehen", ist sich Rasmussen sicher.
"Der Klimawandel kann unsere Gesellschaft spalten", warnt hingegen der grönländische Philosoph und Theologe, Finn Lynne. Ein Grund dafür: In der geplanten Erzmine wird auch Uran vermutet. Dessen möglicher Abbau teilt das Dorf schon jetzt in zwei Lager. "Das für Grönland typische Gemeinschaftsgefühl ist zerbrochen. Selbst wenn die Mine nicht gebaut wird, hat sie bereits irreparable Schäden angerichtet", meint Lynne, der in Narsaq lebt. Ähnliche Diskussionen werden auch in anderen Orten geführt, an denen das schmelzende Eis den Zugriff auf die ungeheuren Bodenschätze in der ältesten Gebirgsformation der Erde zulässt. Lynne: "Dieses Land steht mit dem Klimawandel vor einer tief greifenden Veränderung und sucht nach der Richtung, in die es sich entwickeln kann."
Große Hoffnungen setzt das von der sozialistischen Partei Inuit Ataqatigiit geführte Parlament auf eine "grüne" Entwicklung Grönlands. Neben dem Ausbau eines "sanften" Tourismus könnte die Landwirtschaft dazu zählen. Die 52 Schaffarmer an der Südküste sollen künftig auch Gemüse anpflanzen. Dank des Klimawandels seien die Sommer dafür mittlerweile lang genug, berichtet Landwirt Iversen: "Allerdings ist es in den vergangenen drei Jahren während der ersten Sommerwochen so trocken gewesen, dass uns die Pflanzen auf dem Feld buchstäblich verbrannt sind."
Unternehmer Rasmussen hat deswegen bereits eine ganz andere Geschäftsidee im Zusammenhang mit dem Klimawandel entwickelt. Nahe der grönländischen Hauptstadt Nuuk ließ er für zehn Millionen US-Dollar eine Fabrik zum Abfüllen von schmelzendem Gletscherwasser errichten. "Wir sitzen auf dem größten Süßwasservorrat der Welt. Und Wasser wird durch den Klimawandel überall sehr knapp werden", lautet seine Überlegung.