Russische Forscher haben erstmals in 15 Millionen Jahren das Eis des Wostoksees in der Antarktis angebohrt. Bremerhavener Experte nimmt Stellung.
Bremerhaven. Nicht nur Polarforscher sind gespannt: Nach 15 Millionen Jahren der Isolation von der Außenwelt ist der Wostoksee unter dem Eis der Antarktis jetzt von einem russischen Forscherteam angebohrt worden . Mit einem Spezialbohrer habe das Team in 3769,30 Meter Tiefe die Oberfläche des Gewässers erreicht, teilte das Ministerium für Naturressourcen am Mittwoch nach Angaben der Agentur Itar-Tass in Moskau mit.
Der Wostoksee im Osten der Antarktis ist der größte bekannte See, der komplett unter einer Eisdecke liegt. Bereits 1998 liefen Vorbereitungen dazu, die Eisdecke über dem See zu durchbohren und mit Sonden in den See vorzudringen. Damals wurde dieses Projekt nach internationaler Übereinkunft 150 Meter über dem See gestoppt, da man eine Kontamination des Seewassers durch Chemikalien und Bakterien von der Oberfläche befürchtete.
Nach Ansicht des Polarforschers Heinz Miller könnte der angebohrte Wostoksee tatsächlich neue Mikrobenarten zutage fördern. Bei den Untersuchungen müsse man aber sorgsam und vorsichtig vorgehen, sagte der stellvertretende Direktor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven im Interview.
Frage: Was bedeutet die Bohrung für die Wissenschaft?
Miller: Wir wissen, dass es eine Reihe von Seen unter dem Eis der Antarktis gibt. Diese Seen sind völlig unbekannt, es gibt verschiedene Probleme, zu denen man bisher nur Theorien hat. Zum Beispiel über die physikalische Beschaffenheit, ob dort Sauerstoff in Form von Lufthydraten gespeichert ist. Ein zweiter Aspekt liegt im Bereich der biologischen Forschung weil man sich vorstellen könnte, dass sich dort neue evolutionäre Linien etabliert haben. Ob das so ist, wird erst das Ergebnis am Ende zeigen. In jedem Fall aber ist den russischen Kollegen zu gratulieren. Sie haben unter schwierigsten Bedingungen eine neue Tür aufgestoßen. Was sich wirklich dahinter verbirgt wird uns noch lange beschäftigen.
Was muss man beachten, um brauchbare Proben zu erhalten?
Miller: Das hängt davon ab, ob man am biologischen Inhalt in Form von Mikroben interessiert ist oder rein am Chemismus des Wassers, der Auskunft über das Alter des Wassers geben könnte. Man sollte das Wasser in steriler Art gewinnen. Das soll nach den russischen Plänen dadurch geschehen, dass man mit einem Unterdruck im Bohrloch arbeitet, so dass auf jeden Fall Wasser aus dem See im Bohrloch nach oben steigt. Wenn es den Russen gelingt, die letzten Meter mit einer thermischen Sonde zu bohren und mit einem Druckgefäß Seewasser zu gewinnen, dann hat man gefrorenes Wasser in reiner Form vorliegen. Es ist wahrscheinlicher, am Boden als im freien Wasser Lebewesen zu finden. Die Verhältnisse im Wostok-See unterscheiden sich nicht sehr von den Verhältnissen in der Tiefsee.
+++ "Wie ein Flug zum Mars": 3.768 Meter unter dem Eis +++
Gibt es grundsätzliche Risiken bei dieser Forschung?
Miller: So wie ich die russische Technologie verstehe, halte ich das Risiko für gering, dass sich die Bohrlochflüssigkeit in den See entleert. Dies ist auch nicht geschehen, vielmehr ist eine 40 Meter hohe Wassersäule im Bohrloch aufgestiegen. Aber selbst wenn das geschehen würde, gäbe es eine Durchmischung, so dass man nach einiger Zeit die Konzentration nicht mehr messen könnte. Man könnte bei einer Beprobung aber wahrscheinlich nicht mehr unterscheiden zwischen Mikroben aus der Bohrlochflüssigkeit und Mikroben aus dem Seewasser. Das wäre ein Risiko für den wissenschaftlichen Wert. Dieses Risiko könnte man minimieren, wenn man mit Hilfe einer Schmelzbohrung bis zu diesem oder einem anderen See vorstößt.
(Interview: dpa)