Studie belegt deutliche Zunahme der Böen der Stärken sieben und acht
Hamburg. Nur eine gefühlte Wahrheit? Oder erste Zeichen der Klimaveränderung? In jüngster Zeit schien der Wind auf der Ostsee immer launischer zu werden. Die Böen hätten zugenommen, berichteten zahlreiche Segler der Zeitschrift "Yacht". Diese ließ Wetterdaten des vergangenen Jahrzehnts vergleichen und entdeckte tatsächlich einen deutlichen Anstieg von Windböen der Stärken sieben und acht. Diese ärgern Segler besonders: Schwächere Böen sind gut abzuwettern, bei stärkeren ist - oder wird - das Wetter im Normalfall so schlecht, dass man eh lieber am Steg bleibt.
Die Böen der Stärke acht haben im Zeitraum 2000 bis 2009 um 86 Prozent zugenommen, berichtet die "Yacht" in ihrer übermorgen erscheinenden Ausgabe (Heft 10/2010). "Am Kieler Leuchtturm hat sich die Zahl dieser besonders schweren Böen sogar mehr als verdoppelt." Böen der Windstärke sieben vermehrten sich nach der Datensammlung von zahlreichen Küstenstationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) um 56 Prozent.
Dabei ist der Küstenstreifen zwischen Flensburger Förde und Lübecker Bucht deutlich stärker betroffen als die ostdeutsche Küste. Da die mittlere Windgeschwindigkeit nur um vier Prozent anwuchs, liegt es rechnerisch nahe, dass auch die Flautenzeiten zugenommen haben - hier hätten diejenigen profitiert, die sich, statt zu segeln, an windstillen Stränden in der Sonne aalen.
Die Häufigkeit von Spitzenböen mit Mittelwerten der Windgeschwindigkeit in einen Topf zu werfen, hält Gudrun Rosenhagen, Chefin des DWD-Seewetteramts in Hamburg, allerdings für problematisch: "Es gibt viele Faktoren, die den Mittelwert beeinflussen, vor allem natürlich der stetige Wind. Spitzenböen haben da keinen großen Einfluss." Die Diplom-Meteorologin kritisiert zudem die kurze Zeitreihe. "Wer Trends ablesen will, sollte mindestens einen Zeitraum von 30 Jahren betrachten."
Auch Prof. Mojib Latif, Leiter der Maritimen Meteorologie am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften der Uni Kiel (IFM Geomar), hält eine Studie über zehn Jahre für nicht ausreichend, um auf Klimatrends zu schließen. Die Entwicklung zu einem launischeren Windgeschehen sei vor dem Hintergrund ansteigender Temperaturen aber plausibel: "Kleinräumige Wetterphänomene werden sich durch die Erwärmung verstärken. Wenn mehr Wasserdampf in der Luft ist, kommt es zu mehr Niederschlägen, und die sind oft von Böen begleitet. Nach einer Studie des niederländischen Wetterdienstes haben in den vergangenen 100 Jahren gerade die kurzfristigen Niederschläge stark zugenommen."
Mieses Wetter, also Wind und Niederschläge, kommt an den deutschen Küsten meistens aus Westen. Dies könnte auch erklären, warum sich die Windböen an der Nordsee kaum vermehrt haben: Die "Yacht"-Auswertung registrierte einen Anstieg um 31 Prozent bei Windstärke sieben; die Zahl der stärkeren Böen nahm sogar leicht ab.
Kommt der Wind aus Westen, weht er relativ ungestört über das Meer zur Küste. Doch dann reibt er sich am Festland, mit der Folge, dass die ablandigen Winde an der westdeutschen Ostseeküste turbulenter wehen. Das (be-)trifft die Strandbewohner tendenziell mehr als die Wassersportler: "Kleinräumige Wetterverhältnisse sind an Land stärker ausgeprägt als auf See", so Rosenhagen. Sie liefert für die Eindrücke der Segler eine zweite mögliche Erklärung. "Die Ostsee ist stark strukturiert. An ihrer westlichen Küste herrschen bei Westwindwetterlagen ablandige Winde mit wenig Seegang. Dagegen sind viele Küstenabschnitte Mecklenburg-Vorpommerns nach Westen oder Nordwesten exponiert. Sie sind dem Wind - und dem damit verbundenen Seegang - viel stärker ausgesetzt. Da wirkt die See deutlich rauer."
Wenn es um beobachtete Klimatrends geht, stützen sich Meteorologen bei Temperatur und Niederschlag auf Messungen. Windtrends können am besten indirekt über den Luftdruck abgeleitet werden, betont Rosenhagen: "Windmessungen sind zu kompliziert, um verlässliche Zeitreihen zu liefern. Wenn in der Nähe der Wetterstationen ein neues Gebäude entsteht, kann das bereits die Messung beeinflussen."
Wetterdaten von der See gebe es relativ wenige, so Rosenhagen. "Wir beziehen sie von Inselstationen, einzelnen Messbojen und -pfählen oder von Schiffen. Die Fähre Gedser-Warnemünde meldet seit Jahren Wetterdaten, wenn sie die Hälfte ihrer Strecke zurückgelegt hat. Daraus ist bereits eine kleine Zeitreihe entstanden."
Hinsichtlich der Zukunft des Ostseewetters macht die Hamburger Meteorologin Hoffnung: "Man geht davon aus, dass wir im Sommer eher stabilere Wetterlagen bekommen werden, dass es sonniger und wärmer wird. Im Inland könnte es sogar so warm werden, dass alles an die Ostsee flüchtet, weil es dort am angenehmsten ist."