Apple und Google stechen den Konkurrenten immer mehr aus. Hinzu kommt Ärger mit den Behörden. Was läuft schief bei den Windows-Erfindern?
Hamburg. Den Auftritten von Steve Ballmer haftet mitunter etwas Skurriles und gleichermaßen Artistisches an. "Er schießt über die Bühne wie ein Kobold oder tasmanischer Teufel. Er rudert mit den Armen. Er dreht sich zur Wand und hüpft rückwärts über die Bühne" - so beschreibt der US-Biograf Fredric A. Maxwell den Chef des Computer-Giganten Microsoft. Um noch hinzusetzen: "Steve Ballmer ist eine Naturgewalt." So weit so gut, wäre da nicht der krasse Widerspruch zwischen dem Bewegungsdrang des 53-jährigen Topmanagers und der Schwerfälligkeit, die sein Konzern bisweilen an den Tag legt.
Der Riese Microsoft, der einst mit Siebenmeilenstiefeln durch die Welt marschierte und die Computer- wie auch Arbeitswelt revolutionierte, ist schwer in die Defensive geraten. Mehr denn je drängt sich der Eindruck auf, dass sich derzeit alle und alles gegen Microsoft verschworen haben. Jüngst ein verlorener Urheberrechtsstreit in den USA, dann eine Sammelklage von Verbraucherschützern in Italien, schließlich ein Sicherheitsleck, das die zuständige deutsche Bundesbehörde veranlasste, vor der Verwendung der Surfsoftware Internet Explorer zu warnen. Es ging Schlag auf Schlag.
Und dann sind da die Konkurrenten, allen voran Apple und Google, die ihre technischen Innovationen nur so aus dem Ärmel zu schütteln scheinen. Was Microsoft auch tut: Bewunderung und Anerkennung ernten die anderen.
Apples Macintosh-PCs gelten als sexy, die Fans fiebern der Markteinführung jedes neuen Betriebssystems entgegen. Im Gegensatz dazu wird die Veröffentlichung von Windows 7 als längst überfälliger Befreiungsschlag gegen das unbeliebte und sperrige Windows Vista wahrgenommen.
Und während sich die Besitzer eines Mac als Mitglieder einer eingeschworenen Gemeinde fühlen dürfen, sehen sich viele Windows-Nutzer genötigt, sich mit dem Hinweis auf den Mangel an Alternativen zu rechtfertigen. Apples iPhone hat mit seinen kleinen, Apps genannten Zusatzprogrammen nicht nur einen völlig neuen Markt geschaffen, sondern dürfte nach dem iPod wohl als eine weitere Technik-Ikone des noch jungen Jahrtausends in die Geschichte eingehen. Mittlerweile genügt Apple bereits die Ankündigung einer Produktankündigung, um Branche und Medien über Wochen hinweg in Aufregung zu versetzen. Wie jetzt beim iSlate, das am Mittwoch in San Francisco vorgestellt werden soll (siehe Text unten).
Zum zweiten Mal in Folge landete die Firma des Visionärs Steve Jobs in der vom US-Wirtschaftsmagazin "Fortune" erstellten Liste der "am meisten bewunderten Unternehmen" auf Platz 1, während Microsoft gerade noch Rang zehn erreicht. Und die Begründung für diesen bescheidenen Erfolg liest sich eher wie eine Auflistung von Niederlagen. Trotz des Scheiterns der Übernahme von Yahoo, trotz der sinkenden Verkaufszahlen von Windows und trotz der Entlassung von 5000 Mitarbeitern sei es Microsoft gelungen, eine treibende Kraft zu bleiben, analysiert "Fortune". Um im gnadenlosen Wettkampf der Konzerne mitzuhalten, könne Microsoft nämlich immer noch auf freie Mittel von über 20 Milliarden US-Dollar zurückgreifen.
"Treibende Kraft?" Getrieben träfe eher zu. Während Google im Suchmaschinengeschäft mittlerweile fast eine Monopolstellung einnimmt, zog Microsoft erst vor Kurzem mit seiner eigenen Suchmaschine Bing nach. Als Google ankündigte, ein Handy und sogar ein eigenes Betriebssystem vorzustellen, war das öffentliche Echo gewaltig, die Erwartungen riesengroß. Dass sichChrome OS am Ende als eher schmalbrüstige Software für mobile und weniger leistungsstarke Rechner entpuppte, konnte daran nichts mehr ändern.
"Google hat gezeigt, wie man mit relativ geringem Aufwand wahnsinnige Gewinne einfahren kann", sagt Cristian Wieland, Analyst beim Marktforscher RAAD Research. Und obwohl Microsoft noch immer gutes Geld verdiene, müsse sich der Konzern nun sputen, um nicht noch mehr attraktive Märkte zu verlieren. "Apple beispielsweise zeigt sich stets sehr verbrauchernah und verdient wie Google unglaublich viel Geld. Wenn der Abstand irgendwann zu groß wird, dann besteht die Gefahr, dass Microsoft den Anschluss verliert."
Das gilt auch für das Mobilfunkgeschäft. Aktuellen Schätzungen zufolge trägt von hundert Deutschen bereits mindestens einer ein iPhone bei sich. Wer unterwegs mit dem Handy im Internet surft oder E-Mails abruft, tut das in den meisten Fällen mit dem Blackberry der Firma RIM oder einem iPhone. Und nun zieht auch noch Google mit einem eigenen Handy nach. Wie für das iPhone, so kann auch für das Nexus One jeder, der will, neue Zusatzprogramme oder Spiele programmieren und über Apples beziehungsweise Googles Vertriebsplattformen anbieten. Geschickt verdienen die beiden Konzerne viel Geld mit der Kreativität anderer, ohne dafür auch nur einen Finger krumm machen zu müssen. Microsofts einzige Chance, nicht ganz auf der Strecke zu bleiben, ätzen Marktbeobachter, bestehe darin, den Konkurrenten RIM aufzukaufen.
Immerhin ist es Microsoft gelungen, sich mit seiner Spielkonsole Xbox 360 und dem Online-Portal Xbox live in einem heiß umkämpften, expandierenden Markt zu etablieren und als Neuling im Geschäft schließlich sogar dem einstigen Marktführer Sony seine Position streitig zu machen. Doch auch hier musste man sich letztlich einem Mitbewerber geschlagen geben: Nintendo führt die Verkaufszahlen mit seiner Wii-Konsole fast uneinholbar an. Die Japaner dürfen für sich in Anspruch nehmen, auch weniger spielfreudige Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder Senioren für das Thema Videospiele erschlossen zu haben.
Beim Geschäft mit Multimedia-Inhalten tut sich Microsoft weiterhin schwer. Konkurrent Apple krempelte mit seinem Musik- und Videoplayer iPod und der Verkaufsplattform iTunes das Musikgeschäft und kurze Zeit später mit dem iPhone auch noch die Mobilfunkbranche um. Apples Prinzip, dass Geräte und Software vom selben Anbieter stammen, der dann gleich auch noch die dazugehörigen Inhalte vertreibt, erwies sich am Ende als die überlegene Strategie.
Zu schaffen macht Microsoft auch kostenlose Software. Für nahezu alles, was der Konzern an Programmen für Privatanwender vertreibt, gibt es eine Gratisalternative. Als Betriebssystem bietet sich das von freien Programmierern entwickelte Linux an, die teure Bürosoftware Office lässt sich durch das kostenlose OpenOffice ersetzen. Und die Aufgaben des Mail-Programms Outlook übernimmt der Thunderbird der Mozilla Foundation genauso gut. Die ist auch für die Surfsoftware Firefox verantwortlich, die von freien Programmierern unentgeltlich entwickelt und stetig verbessert wird. Das bringt dem "Feuerfuchs" besonders in Deutschland Sympathiepunkte ein, wo er bereits von deutlich mehr Internetnutzern eingesetzt wird als der aktuelle Internet Explorer. Allein nach der Sicherheitswarnung des Bundes luden sich kurzfristig 300 000 Deutsche den Firefox auf ihre Festplatten herunter.
Die Verteidigungsposition, in der sich Microsoft derzeit befindet, hat aus Sicht des Konzerns aber auch ihr Gutes. Das "Reich des Bösen", als das Microsoft wegen seiner Monopolstellung einst gebrandmarkt wurde, ist in den Augen vieler inzwischen Google. Nach und nach löse der allgegenwärtige Suchmaschinenanbieter Microsoft als Buhmann des digitalen Zeitalters ab, sagt Gerald Reischl, Branchenexperte und Autor des Buches "Die Google-Falle".
Microsoft-Kenner Andreas Bitterer, der in Hamburg als Analyst für die Marktforscher von "Gartner" tätig ist, sieht trotz allem die Zukunft des Konzerns nicht gefährdet. Das Unternehmen sei nach wie vor auf so vielen Gebieten präsent, dass Verluste zu verschmerzen seien. "Microsoft war im Grunde noch nie der große Innovator, verfügt aber über ausreichend finanzielle Mittel, um sich in Wachstumsmärkte einzukaufen und sich dort mit einer riesigen Marketingmaschinerie sowie einem enormen Netzwerk von Partnern auf lange Sicht festzusetzen", stellt Bitterer fest.
Das habe sich beispielsweise im Falle der Spielkonsole Xbox gezeigt. "Hier wurde über Jahre hinweg viel Geld verbrannt mit dem Ziel, sich auf dem milliardenschweren Markt für Videospiele durchzusetzen. Wie man sieht, letztlich mit Erfolg." Mit Project Natal wollen die Microsoft-Manager ein innovatives System erschaffen, mit dem Spiele erstmals völlig ohne Eingabegeräte, nur durch Gesten und Körperbewegungen gesteuert werden. Mit ausreichenden finanziellen Mitteln in der Hinterhand könnte sich also auch ein unter Druck geratener Riese aus der Defensive befreien. Spielerisch sozusagen.
Immerhin aber sah sich Microsoft-Chef Steve Ballmer unlängst zu dem Bekenntnis genötigt, man müsse sich künftig wohl mehr am Geschäftsmodell des Gegners orientieren. Vor wenigen Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen.