Eine Messanlage unter der Erde soll Gravitationswellen aus dem All erfassen. Forscher erhoffen sich Einblicke in die Frühzeit des Universums.
Hamburg. Was hätte Einstein wohl gesagt? Wäre er beeindruckt gewesen, glücklich gar oder doch skeptisch, ob dieses Vorhaben tatsächlich gelingen kann? 56 Jahre nach seinem Tod machen sich etwa 250 Forscher aus Europa, Japan und den USA daran, dem genialen Physiker ein spektakuläres Denkmal zu setzen. "Einstein-Teleskop" soll die monumentale Anlage heißen, deren geplantes Design die Forscher am Freitag in Pisa vorstellen werden.
Mit seiner Hilfe wollen sie nicht nur die letzte unbestätigte Vorhersage von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beweisen, dass bei der Krümmung der Raumzeit winzige Verzerrungen auftreten, so genannte Gravitationswellen. Mehr noch: Durch Beobachtung der Gravitationswellen wollen sie erstmals in die Anfangszeit des Universums blicken - von der ersten Sekunde nach dem Urknall bis 380 000 Jahre danach. "Das alles ist ein großes Abenteuer", sagt der stellvertretende Leiter der Studie, Harald Lück vom Institut für Gravitationsphysik an der Universität Hannover. "Wir stehen womöglich vor einer neuen Ära der Astronomie."
Zwar gibt es bereits zwei Generationen von Messgeräten, die nach Gravitationswellen suchen. Diese Detektoren sollen jetzt verfeinert werden. Einstein glaubte, dass man Gravitationswellen nie würde messen können. Diese Herausforderung haben die vereinigten Physiker nun angenommen. "Wir gehen davon aus, mit den bestehenden Detektoren bis 2015 erstmals Gravitationswellen nachzuweisen", sagt Lück. Das neue Instrument, das ab 2018 gebaut werden soll, könne jedoch hundertmal empfindlicher sein und erheblich schwächere Signale orten. Eine Milliarde Euro veranschlagen die Forscher für den Bau; noch allerdings ist unklar, ob das Geld zusammenkommt und wo die Anlage entstehen könnte.
Bisher können Forscher Signale, genauer: Teilchen aus dem Universum nur im Spektrum elektromagnetischer Strahlung empfangen (sichtbares Licht, Infrarotlicht, Mikrowellen oder Radiowellen), sowie in Form von Wasserstoff- und Heliumkernen und Neutrinos. "Für diese Strahlung", sagt Lück, "war das Universum aber erst 380 000 Jahre nach dem Urknall durchlässig. Was davor geschah, konnten wir deshalb bisher nicht erforschen." Andere Signale könnten sich jedoch erhalten haben.
Diese Gravitationswellen hatte Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben. Sie besagt, dass man die Gravitation nicht nur als eine Kraft beschreiben kann, die etwa zwischen der Erde und dem Menschen auftritt, sondern dass sie auch entsteht, wenn eine Masse die Raumzeit krümmt. Das Konzept der Raumzeit benötigt nicht nur die drei Dimensionen des Raumes, sondern zusätzlich eine vierte Dimension - die Zeit.
Bevor man dies näher betrachtet, kann man sich ein Beispiel aus unserer dreidimensionalen Welt anschauen. Harald Lück: "Man nehme eine Gummimembran und lege einen Ball in die Mitte. Dadurch wird die zweidimensionale Fläche in eine dritte Dimension gekrümmt. Würde man nun in der Membran Längen messen, würden sich diese durch die Krümmung verändern."
Einsteins Theorie zufolge geschieht das Gleiche bei der vierdimensionalen Raumzeit: Sie kann durch eine Masse gekrümmt werden. Dadurch ändern sich Längen in der Raumzeit. Und diese sollten messbar sein. Wie aber kann die die Zeit gekrümmt werden, zusammen mit dem Raum? Wir kennen die Zeit doch als etwas, das gewissermaßen vor sich hin tickt und scheinbar vom Raum völlig getrennt ist. "Ich gebe zu, das kann unseren Verstand überfordern", sagt Lück. "Tatsächlich gibt es nicht die absolute, richtige Zeit. Wie die Zeit läuft, hängt davon ab, was die Zeit ist, wo man die Zeit misst und wie sich das System aus Zeit und Raum bewegt. Insofern hängen Zeit und Raum immer von Beobachter ab."
Was hat das nun mit Signalen aus dem Weltraum zu tun, die wir auf der Erde empfangen können? "Nehmen wir zwei Sterne, die einander schnell umkreisen. Während sie das tun, verändern sie durch ihre Masse die Krümmung der Raumzeit um sich herum. Diese Information über den Ort der Massen breitet sich wellenartig in Lichtgeschwindigkeit aus und kann so bis zur Erde gelangen. Das sind Gravitationswellen", erläutert Lück. Diese Wellen müssten auch direkt nach dem Urknall entstanden sein, als sich im Universum sehr viel Masse in ungeheurer Geschwindigkeit ausbreitete. "Ihnen wollen wir auf die Spur kommen."
Das geplante Einstein-Teleskop ist kein optisches Teleskop, sondern gewissermaßen ein riesiges Mikrofon, das Gravitationswellen aufnimmt. Die Studie sieht vor, dass 100 bis 200 Meter unter der Erde drei je zehn Kilometer lange Tunnel gebaut werden sollen, die ein Dreieck bilden. In jedem Eckpunkt befindet sich eine Anlage, die aus einem Laser, einem halbdurchlässigen Spiegel und zwei Interferometern besteht. Der Spiegel teilt den permanent erzeugten Laserstrahl in zwei Strahlen auf, die jeweils in einen Tunnel geschickt und an dessen Ende reflektiert werden. Die Interferometer messen die Helligkeit der zurückgekehrten Strahlen, die davon abhängt, wie lange diese für die Strecke brauchen, und vergleicht die Laufzeiten miteinander. Hier kommen die Gravitationswellen ins Spiel: Da sie der Theorie nach die Raumzeit ändern, müssten sie die Armlängen des Dreiecks ändern, also die Entfernung, die beide Strahlen zurücklegen müssen. Dies würde die Laufzeit beeinflussen: Der eine Strahl käme dann später an als der zweite. So ließen sich indirekt Gravitationswellen messen.
Noch allerdings ist das Zukunftsmusik. Harald Lück hofft, dass genug Geld für den Bau zusammenkommt. "Wir wissen, dass der größte Teil der Masse im Universum nicht leuchtet, also elektromagnetische Strahlung aussendet, und deshalb vielleicht nur durch Gravitationswellen zu entdecken ist. Wer weiß, was wir in diesem Dunkel alles entdecken könnten?"