US-Genforscher um Craig Venter haben erstmals ein Bakterium mit künstlichem Erbgut geschaffen. Ethiker warnen vor den möglichen Folgen.
Das Bakterium Mycoplasma mycoides aus der Klasse der Mollicutes ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Es lebt parasitär im Organismus von Rindern und Ziegen, schnorrt von der Wirtszelle Fettsäuren und Aminosäuren und bedankt sich dafür mit der anzeigepflichtigen bakteriellen Lungenseuche. Dass sich seit gestern nicht nur besorgte Tierärzte, sondern praktisch die ganze Welt für diesen Quälgeist interessiert, ist dem amerikanischen Biochemiker Craig Venter zu verdanken. Der berühmt-berüchtigte "Herr der Gene", Chef des "J. Craig Venter Institutes" in Rockwell in Maryland, hat es nach 15-jähriger Forschungszeit, mit 22 Mitarbeitern, etlichen Chemikalien und 40 Millionen Dollar Kosten fertiggebracht, aus dem schlichten Bakterium eine völlig neue Lebensform zu erschaffen: Mycoplasma mycoides JCV-syn 1.0, zutraulich "Synthia" genannt. Die Silbe "syn" steht dabei für "synthetisch".
Craig Venter gilt als Vorreiter der Synthetischen Biologie, einem Fachgebiet zwischen Molekularbiologie, Chemie, Informationstechnologie, Nanobiologie und Ingenieurwissenschaften. Der Unterschied zur Gentechnik liegt darin, dass die Synthetische Biologie nicht nur einzelne Gene austauscht, sondern gleich das komplette Genom.
Der 64-jährige Amerikaner wurde im Jahre 2000 weltbekannt, als er als erster Mensch seine komplette DNA entzifferte. 2,81 Milliarden Buchstaben ist die Sequenz lang. 2008 horchte die Fachwelt auf, als es Venters Team gelang, die komplette DNA des Bakteriums Mycoplasma genitalium synthetisch herzustellen. Damals schuf Venter damit jedoch noch kein neues Leben. Der ebenso geniale wie eitle Biochemiker besitzt inzwischen mehr als 6000 Patente und steht im Ruf, die Biogenetik rücksichtslos für eigene wirtschaftliche Zwecke auszubeuten.
Sein neuester Forschungserfolg nutzte den Umstand, dass die Mycoplasmen im Laufe der Äonen eine degenerative Evolution erfahren haben und heute zu den Lebewesen mit dem kleinten bekannten Genom zählen. Stück für Stück baute Venters Team das Genom des Bakteriums zunächst am Computer und dann mithilfe von Maschinen - sogenannten Synthesizern - aus den vier chemischen Grundbausteinen nach, auf denen jedes Leben auf der Erde basiert: Den Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin.
Das künstliche Genom wurde in ein nah verwandtes Bakterium eingebracht
Zur Unterscheidung vom Original fügten sie eine Reihe von "Wasserzeichen" ein, die in verschlüsselter Form eine E-Mail-Adresse, die Namen von etlichen der beteiligten Forscher und andere Informationen enthalten. Es ist eine Sicherheitsmaßnahme, um den Ursprung des synthetischen Organismus feststellen zu können, falls er in die freie Natur entkommen sollte.
Das synthetische Genom des Mycoplasma mycoides brachte Venter in das nah verwandte Bakterium Mycoplasma capricolum ein. Das neue, am Computer entworfene Genom verdrängte sofort das alte und begann unverzüglich mit dem Umbau und sogar mit der Reproduktion. Als die Kulturen sich blau färbten, erkannten die Forscher, dass aus Mycoplasma capricolum nunmehr Mycoplasma mycoides geworden war.
Endziel dieser Experimente ist zunächst die Schaffung neuer, für den Menschen nützlicher Bakterien, die etwa Wasser reinigen können. Der Weg dahin ist noch weit, denn die dafür nötigen Genome anderer Bakterien sind sehr viel komplexer gebaut.
Doch die Synthetische Biologie à la Craig Venter wirft eine ganze Reihe ernsthafter Fragen auf, wissenschaftliche, aber vor allem ethische. Zunächst einmal, wie die künstlich erschaffenen Lebensformen mit der Natur interagieren, ob dabei etwa monströse Krankheitserreger entstehen können.
Im Vordergrund steht jedoch die Frage: "Ist das tatsächlich Leben, was hier geschaffen wird? Denn das wäre ein neuer Begriff von Leben, den ich grundsätzlich infrage stellen möchte", sagte Professor Dr. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, dem Hamburger Abendblatt. "Von der Naturwissenschaft wird hier suggeriert, dass Leben nichts anderes ist als eine komplexe Maschine. Damit wird das Leben herstellbar. Verkannt wird dabei aber, dass das Leben eben dadurch definiert ist, dass es aus sich selbst heraus entsteht."
Das menschliche Genom wird nicht tabu bleiben, glaubt Medizinethiker Maio
Maio betont: "Die Wissenschaftler machen kein Leben - sie schaffen lediglich die Grundbedingungen dafür, dass sich Leben dann entfalten kann - aber aus sich selbst heraus, autonom."
Der Freiburger Medizinethiker räumt ein: "Dennoch könnte dies eine neue Ära einläuten. Am Endpunkt dieser Entwicklung sollen dann Lebewesen stehen, die nicht für sich leben, sondern für den Menschen, die genau das tun, was er will. Letztlich ist dies die Verbindung der Wissenschaft mit der Ökonomie. Es wird verheißen, neue Kraftstoffe zu entwickeln oder Hungersnöte abzuschaffen. Das Entscheidende ist der Blick auf das Leben. Venter meint, Leben sei nichts weiter als ein herstellbares Produkt. Das ist ein großes ethisches Problem - denn wenn man so auf das Leben zugeht, trübt man als Wissenschaftler den Blick dafür, dass das Leben etwas ganz Besonderes ist. Das ist unabhängig von Religion, von Schöpfung im göttlichen Sinn. Der Gedanke, der Sprung von der Maschine zum Leben sei nur ein gradueller, ist grundlegend falsch, eine Verdrehung des Denkens. Wir werden unsere Einstellung zum Leben ändern, je mehr wir diesen Verheißungen folgen."
Und der Freiburger Wissenschaftler wirft einen Blick in die mögliche Zukunft: "Natürlich wären auch Experimente mit dem menschlichen Genom eine große Verlockung - weil man damit noch ganz andere Versprechungen abgeben kann. Wie die Heilung von Krankheiten. Man kann nicht sagen, das menschliche Genom wird tabu bleiben. Die Wissenschaft drängt immer nach vorn. Die Allianz aus Biologen und Ingenieuren führt dazu, dass es keine Grenze für das technisch Machbare mehr gibt. Verloren geht da die Grundhaltung der Bescheidenheit, der Scheu und der Tugend des Maßhaltens."
Craig Venter schafft Leben, das auf natürliche Weise nicht existieren würde
Maio betont: "Ich muss doch auch als Wissenschaftler Scheu haben. Das Leben solle auch in einer säkularisierten Gesellschaft als etwas Besonderes gelten - und nicht als reproduzierbares Produkt. Die größten Probleme entstehen in den Köpfen - nicht im Labor." Maios Kollege Julian Savulesco, Ethik-Professor in Oxford, spitzt es in der Londoner "Times" zu: "Venter nähert sich der Rolle eines Gottes: Künstliches Leben zu erschaffen, das auf natürliche Weise niemals existieren würde."