Düsseldorf. Die Nachrichtenflut ist Dauerstress, sagen Forscher. Ärzte sind besorgt. Eltern sind Teil des Problems.
Die Versuchung steckt in der Hosentasche. Bis zu 80 Mal täglich geht der Griff zum Smartphone, ergaben Studien. Nicht nur bei Erwachsenen ist es so, sondern auch bei Kindern. Bereits Zehnjährige nutzen die internetfähigen Begleiter regelmäßig – von frühmorgens bis zum späten Abend. Dass die permanente Nachrichtenflut viele der jungen Nutzer überfordert, vermuten Eltern und Lehrer schon lange. Mannheimer Medienforscher haben die Schattenseiten der digitalen Möglichkeiten nun in einer Studie festgehalten: Fast jeder zehnte Smartphone-Besitzer zwischen acht und 14 Jahren ist in ihren Augen suchtgefährdet. Das Beunruhigende dabei: Auch die Eltern sind Teil des Problems, sagen die Forscher.
Selbst die Jungen sind von WhatsApp & Co. dauergenervt
Die Mannheimer Wissenschaftler befragten für ihre Studie 500 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 14 Jahren sowie deren Eltern. Knapp die Hälfte der Jungnutzer gab zu, durch ihr Handy regelmäßig von den Hausaufgaben abgelenkt zu werden. 20 Prozent gestanden schulische Probleme ein, hervorgerufen durch exzessive Handynutzung. Ob Lerngruppe oder Freundeskreis – inzwischen läuft nahezu jede Art von Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp. Wessen Handy technologisch nicht mithalten kann, wird schnell zum Außenseiter. So greifen inzwischen selbst Grundschüler im Minutentakt zu ihren Telefonen. Jeder Vierte gibt in der Studie zu, dass er sich durch die Dauerkommunikation gestresst fühlt.
Ärzte bestätigen das, sie sind besorgt: „Selbst bei den Kleinen gibt es Abhängigkeiten und Anzeichen, dass die Schulnoten darunter leiden“, sagt Jakob Maske, Vertreter des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte. Er rät: „Das Smartphone zu verbieten, ist nicht sinnvoll. Eltern sollten vielmehr selbst ein gutes Vorbild sein.“ Dazu zähle zum Beispiel, beim Essen nicht ans Telefon zu gehen und Handys generell vom Tisch fernzuhalten.
Die Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“ rät erst ab einem Alter von elf bis zwölf Jahren zu einem Smartphone.
Die Kehrseite der Erreichbarkeit:Ausgrenzung und Mobbing
Smartphones sind bei Jüngeren vor allem das: ein Statussymbol. „Die exzessive Nutzung durch Kinder und Jugendliche ist von der Angst getrieben, aus dem Kommunikationsprozess des Freundes- oder Bekanntenkreises ausgeschlossen zu werden“, sagt Karin Knop von der Universität Mannheim, die an der Studie mitwirkte. Doch die Forscher stellten gleichzeitig fest, dass das Dauerquatschen die Einsamkeit befördere. So vermisste jeder siebte Studienteilnehmer den echten Kontakt zu seinen Freunden. Kontakt, der sich nicht nur auf Kurznachrichten beschränkt. Jeder Zehnte wurde sogar schon Opfer von digitalem Mobbing, wurde also per Handynachricht beleidigt oder etwa aus einer WhatsApp-Gruppe ausgeschlossen.
Nina Pirk vom Dachverband „Nummer gegen Kummer“, der Opfer von Cybermobbing berät, schlägt in solchen Fällen die „Stop. Block. Tell“-Strategie vor. Kinder sollten nicht auf Hassnachrichten reagieren, stattdessen die Kontakte auf ihren Smartphones blockieren und sich Eltern und Lehrern mitteilen. Den Eltern rät Pirk, ruhig zu bleiben: „Sie sollten keine Entscheidungen über den Kopf des Kindes hinweg treffen und mit dem Einverständnis der Kinder Gespräche mit Lehrern führen.“
Jeder Fünfte im Kindesalter surfteschon auf nicht jugendfreien Seiten
Noch häufiger als mit Mobbing haben die Kinder und Jugendlichen offenbar mit nicht altersgerechten Inhalten zu tun. Jeder fünfte Studienteilnehmer gab zu, schon per Smartphone auf nicht jugendfreien Seiten gesurft zu haben. 19 Prozent der jungen Smartphone-Nutzer haben sogar schon Gewaltvideos mit entwürdigenden Darstellungen auf ihren Geräten empfangen. Ein geringeres Problem scheint dagegen das Sexting zu sein. Dabei tauschen Smartphone-Nutzer intime Fotos voneinander aus. In der Studie gaben nur vier Prozent der Acht- bis 14-Jährigen an, schon einmal Nacktbilder verschickt zu haben.
Die Eltern: Überfordert, unkritisch oder kontrollsüchtig
Angesichts solcher Nutzungsgewohnheiten ihres Nachwuchses fühlen sich Eltern oft überfordert. Viele der Befragten gaben an, den Handygebrauch ihrer Kinder heimlich zu kontrollieren. Die Wissenschaftler kategorisierten die Eltern in vier Gruppen. Die „Laissez-faire“-Gruppe setzt sich kaum mit Smartphones auseinander und lässt ihren Nachwuchs damit umgehen, wie es ihm passt. Die „ängstlich-konservativen Regulierer“ agieren strenger. Sie entziehen ihren Kindern das Handy zeitweilig – selbst dann, wenn der Jugendliche reklamiert, dass er dadurch im Freundeskreis ausgeschlossen oder benachteiligt werden könnte.
Die Gruppe der „freundschaftlich liberalen Eltern“ ist oft selbst handybegeistert und macht sich auch beim Umgang ihrer Kinder mit den Geräten keine Sorgen. Schließlich machten die Forscher noch die Gruppe der „kinderzentrierten Aktiven“ aus, die sich stark mit der Nutzung ihrer Kinder beschäftigt, sich viel darüber informiert und versucht, ihr Wissen in sinnvolle Vorgaben umzusetzen.