Kevin Fehling hat die Stadt um ein einmaliges Restaurant bereichert: The Table ist Monate im Voraus ausgebucht.

Man kann auch ohne Abitur glücklich werden. Tag und Nacht Skateboard fahren. Exzessiv Klassik Radio hören. Am Strand von Travemünde abhängen, mit der netten blonden Kollegin flirten, sich Rezepte ausdenken. Und am Ende taucht man dann in Hamburg auf und ist mit 38 Jahren der Koch, zu dem Touristen aus Japan, Amerika und der Schweiz reisen und bei dem Schauspieler und Moderatoren sich ebenso wohlfühlen wie Bundesminister und ehemalige Bürgermeister der Hansestadt. Kurz: Man ist ein Shootingstar der Spitzengastronomie.

Weil man sich, statt in Schulungen und Meetings herumzudrücken, lieber seine eigenen Gedanken macht. Und nicht ewig auf der fehlenden Esskultur der Deutschen herumhackt, sondern sich fragt: Was möchte der Deutsche auf dem Teller haben? Das Resultat heißt The Table und ist laut „Feinschmecker“ das Restaurant des Jahres 2015, Neueröffnung desselben Jahres („Schlemmer Atlas“), vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet. Womit Kevin Fehling der einzige Drei-Sterne-Koch Hamburgs ist – und der einzige in einer deutschen Metropole, der ohne Hotel oder Investor im Rücken arbeitet.

Das Rindertatar in Form einer nachgebildeten Kreditkarte mit Trüffelgelee, Parmesancreme
und Topinambur-Chips
kreierte Kevin Fehling anlässlich einer Veranstaltung
für American-Express-Kunden
Das Rindertatar in Form einer nachgebildeten Kreditkarte mit Trüffelgelee, Parmesancreme und Topinambur-Chips kreierte Kevin Fehling anlässlich einer Veranstaltung für American-Express-Kunden © Thomas Ruhl, Edition Fackeltäger

Das hat er lange genug gehabt. Bevor Fehling in der Hansestadt auftischte, war er zehn Jahre lang Küchenchef im La Belle Epoque des Travemünder Columbia Hotel Casinos. Und natürlich hat er dort nicht nur am Strand gelegen. Fehling hat bereits das Ostsee-Kurbad mit seinen ersten drei Sternen zum kulinarischen Hotspot gemacht. „Travemünde musste sein, damit Hamburg entstehen kann“, sagt der blonde Kochkünstler, der seinen Vornamen dem einstigen HSV-Stürmer Kevin Keegan verdankt („Ansonsten habe ich mit Fußball nichts am Hut“). Er hat sein verdientes Geld fleißig gespart, die Abläufe in Küche und Service perfektioniert, sein Team um Sommelier und Restaurantleiter David Eitel auf Erfolg eingeschworen und kurzerhand mit an die Elbe genommen: „Ich glaube, das war mein intelligentester Schachzug.“

Kurz vor der Eröffnung im August des vergangenen Jahres ließ er in den Medien verbreiten, die drei Sterne würden wiederkommen. „Seit ich meinen ersten Stern erkocht habe, verspüre ich keinen Druck mehr“, sagt Fehling. Druck macht er sich jetzt nur noch selber. Als der Michelin-Chefinspektor ihn eines Morgens im November 2015 – zu der für Köche nächtlichen Zeit vor 9 Uhr – anrief, schlief Fehling noch. Erst beim dritten Versuch klappte das Telefonat. „Ich mach’s kurz, Herr Fehling, die drei Sterne sind wieder da.“ Tränen flossen, ebenso der Champagner.

Restaurant wirkt eher wie eine Weinbar

Den trinken die Gäste nie allein im The Table an der Shanghaiallee. Statt eines Tisches reserviert man einen Stuhl und nimmt an einer langen geschwungen Holztafel mit 19 anderen Gästen Platz. Vor den bodentiefen Fenstern hängen schwere cremefarbene Vorhänge, die Konzentration liegt ganz auf der Choreografie mit Pinzetten, wie Fehling das Anrichten der Speisen nennt. Die Verständigung mit seiner Crew läuft fast ausschließlich über Blickkontakt. Nur ab und zu hört man den Küchenchef sein Mantra ins Ohr eines Mitarbeiters flüstern: „Schön festhalten!“ – „Die Horrorvorstellung ist, dass etwas herunterfällt, zum Beispiel ein Tablett mit portionierter Gänseleber“, sagt Fehling. Und fügt schnell hinzu: „Keine Gänsestopfleber. Die Tiere wurden ein Jahr von Hand gefüttert.“ Nachhaltige Tierzucht ist dem Ausnahmekoch wichtig.

Mini-Dessert
Weinberg
mit Rieslingmus,
Traubengeleewürfeln,
Portweingel und Haselnusseis,
zum Kaffee gereicht
Mini-Dessert Weinberg mit Rieslingmus, Traubengeleewürfeln, Portweingel und Haselnusseis, zum Kaffee gereicht © Thomas Ruhl, Edition Fackeltäger

Dafür tönt relativ laut „Classic Lounge“-Musik aus den Lautsprechern. Idealerweise wird jeder Gang zu einem bestimmten Lied serviert, so perfekt sind die Abläufe einstudiert. Jeder Abend sei gleich, und doch erzähle er eine andere Geschichte – abhängig von der Mischung der Gäste. Die ersten zehn Besucher kommen um 19 Uhr, die zweite Hälfte um 20 Uhr – dazwischen geht nichts. Manch einer kommt allein, möchte seine Ruhe haben. Auch das geht im The Table. Niemand werde zur Kommunikation gezwungen, sagt Fehling. Das Restaurant wirkt eher wie eine coole Weinbar in New York denn ein Gourmetlokal. „Die Nordsee“ mit gefrorenem Dillstaub, Lachs von den Färöer-Inseln, Baby Banane Indisch – die Menü-Sprache ist kreativ und erfinderisch, aber nicht steif und unverständlich. Das nimmt die Schwellenangst: „Viele junge Gäste outen sich bei uns, zum ersten Mal in einem Sterne-Restaurant zu essen“, sagt Kevin Fehling. Nicht selbstverständlich bei einem 295 Euro teuren Sieben-Gänge-Menü mit Weinbegleitung.

Kaum ein Jahr nach der Eröffnung ist The Table, das für innovative französische Küche steht, jeden Abend ausgebucht, Reservierungen müssen Monate im Voraus erfolgen. „Ich wollte allen kulinarisch Interessierten beweisen, dass Sterneküche sehr wohl profitabel sein kann“, sagt Kevin Fehling. ­Touché!

Von Neid will Fehling, der laut Restaurant-Ranglisten in diesem Jahr „Hamburgs besten Koch“ (Großer Gourmet Preis Hamburg 2014) und den „Koch des Jahres“ 2015 (Gault Millau), Christoph Rüffer vom Restaurant Haerlin, vom Podest stoßen könnte, nichts hören. „Mit den meisten Kollegen bin ich befreundet. Wahabi Nouri etwa ist ein Begleiter, seitdem ich bei ihm gearbeitet habe. Er war auch am Entstehungsprozess von The Table beteiligt.“ Im Übrigen würde Kevin Fehling seine Energie auch kaum auf solche Gedanken verschwenden. Zu sehr ist er auf das Erreichen seiner eigenen Ziele fokussiert, er möchte Pionier und Visionär sein.

Fast zu schön, um verspeist zu werden:
eine Jakobsmuschel mit Kaviar auf
einem erwärmbaren Glasteller
Fast zu schön, um verspeist zu werden: eine Jakobsmuschel mit Kaviar auf einem erwärmbaren Glasteller © Thomas Ruhl, Edition Fackeltäger

Für seinen Erfolg geht der Drei-Sterne-Koch an Grenzen, auch an die eigene Belastungsgrenze. Im vergangenen Jahr habe er sich den Wecker zeitweise sogar auf 4 Uhr morgens gestellt, um sein Arbeitspensum zu schaffen. Auf dem heimischen Esstisch stapelten sich die Unterlagen, ständig pendelte Fehling zwischen der Baustelle in der HafenCity und zu Hause. „Bei einem der seltenen Spaziergänge mit dem Hund habe ich mich gefragt: Wann hast du eigentlich zuletzt blauen Himmel gesehen? 2015 war schon ein krasses Jahr. Aber ich habe eine positive Grundeinstellung und bin hart im Nehmen“, sagt er über sich selbst. Das helfe ihm auch über den größten Stress hinweg.

Fehling kocht zu Hause gerne einfache Gerichte

Diese Bodenhaftung verdankt Kevin Fehling seiner Familie, er habe eine „tolle Kindheit“ in Delmenhorst gehabt. Nur fürs Abi habe es damals nicht gereicht, „dafür war ich einfach zu verrückt“. Das Skateboard hat er mittlerweile gegen ein Snowboard eingetauscht. Dass er unbedingt kochen will, wusste er nach der Ausbildung im Delmenhorster Hotel Thomsen.

Mächtig stolz seien seine Eltern und sein älterer Bruder (die natürlich bei der Eröffnungsparty dabei waren), auch, wenn sie nicht immer verstünden, was bei ihm gerade passiert – die Michelin-Sterne, die Selbstständigkeit, das außergewöhnliche Restaurant-Konzept. „Mein Vater sammelt alles, was über mich erscheint“, sagt Fehling, der seine eigene Familie gegründet hat.

Mit der netten, blonden Kollegin aus Travemünde ist der Küchenchef heute verheiratet. Anna, früher stellvertretende Restaurantleiterin im La Belle Epoque, hält ihm heute privat den Rücken frei, kümmert sich um die beiden kleinen Töchter Ivy und Lene, den Hund und das Traumhaus mit Feldrandlage und Schwiegereltern-Nähe im schleswig-holsteinischen Braak.

Die Position als Küchenchef lässt sich Fehling auch zu Hause nicht nehmen. Er liebe es, einfache Gerichte zu kochen: etwa gebratenen Dorsch mit Spinat oder Rinder-Curry – „dazu ein Glas Wein, das entspannt mich“. Vor allem die vierjährige Ivy schaut ihrem Vater gern dabei zu. „Wer weiß, vielleicht lernt sie ja eines Tages bei mir im Restaurant? Wenn Ivy ihren ersten Stern mit 22 bekommt, wäre ich zufrieden“, sagt er und lacht. Warum nur nimmt man ihm diesen Spaß nur zur Hälfte ab?