Berlin. Studien rund um das Thema Ernährung widersprechen sich oft. Wonach sich Verbraucher im Wirrwarr aus vielen Ratschlägen richten können.
Für Liebhaber pauschaler Fakten ist Ernährungsforschung frustrierend. Studien zu den gleichen Lebensmitteln widersprechen sich bisweilen im Grundsatz. Ein prominentes Beispiel ist Kaffee, der mal krebserregend, mal gesundheitsfördernd sein soll. Auch das höchste Gremium in diesem Bereich, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), änderte jetzt ihre zehn Regeln für eine gesunde Ernährung, die sie über Jahre nicht angetastet hatte. An ihnen orientieren sich Mediziner und Ernährungswissenschaftler, viele Krankenkassen nutzen sie als Grundlage, um über Zuschüsse für Präventionskurse zu entscheiden.
Was hat sich geändert?
Über Jahre rieten die Experten dazu, „reichlich Getreideprodukte sowie Kartoffeln“ zu essen. Diese Empfehlung zu einer kohlenhydratlastigen Ernährung steht schon länger in der Kritik, da sie das Abnehmen unter Umständen erschweren kann. „Entscheidend ist nicht die Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate, sondern ihre Qualität“, ergänzt Matthias Schulze.
Der promovierte Ernährungswissenschaftler leitet am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) die Abteilung Molekulare Epidemiologie. Hier wird unter anderem der Zusammenhang von Ernährung und bestimmten Krankheiten untersucht. „Zahlreiche hochwertige Studien haben gezeigt, dass Vollkorn etwa das Risiko für Diabetes Typ 2 und Herzkreislauferkrankungen senkt“, so der Wissenschaftler – über die optimale Menge an Kohlenhydraten werde hingegen weiter gestritten. Und so lautet die geänderte DGE-Empfehlung schlicht: „Vollkorn wählen“.
Ähnlich gelagert ist die neue Fett-Empfehlung. Hieß es vorher „wenig Fett und fettreiche Lebensmittel“, empfehlen die Experten nun „gesundheitsfördernde Fette nutzen“. Heißt: Verbraucher sollten zum Beispiel lieber Öle aus Raps, Leinsamen oder Sonnenblume statt Butter zum Kochen nehmen, statt Leberwurst lieber Avocado aufs Brot schmieren. „Pflanzliche Fette liefern zwar genau wie tierisches Fett viele Kalorien, enthalten aber daneben wichtige Fettsäuren und Vitamine“, sagt Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin, das zur TU München gehört.
Er ist ehrenamtlich für das wissenschaftlich unabhängige Präsidium der DGE tätig. „Vor 30 Jahren hat sich das Dogma durchgesetzt, dass unsere Ernährung zu fett sei“, erklärt Hauner, „heute weiß man, dass eine fettreiche Ernährung zwar einen Teil zu Übergewicht beiträgt, aber keinesfalls allein verantwortlich ist.“
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Auf einen Übeltäter konnten sich die Experten dennoch einigen: Statt „Zucker nur in Maßen“ heißt es jetzt „Zucker einsparen“, statt „zuckergesüßte Getränke nur selten trinken“ lautet die neue Empfehlung „zuckergesüßte Getränke sind nicht empfehlenswert“. „Hier hat es eine dramatische Fehlentwicklung gegeben“, sagt Hauner, „die Lebensmittelindustrie verwendet Zucker als günstigen Füllstoff. Gerade süße Getränke flutschen ohne Sättigungsgefühl durch den Körper, der Konsum ist viel zu hoch.“ Dabei sei Zucker an sich kein Gift, die Menge sei das Problem. Doch erst in den letzten fünf bis zehn Jahren hätten Studien den Zusammenhang zwischen hohem Zuckerkonsum, Übergewicht und seinen zahlreichen Folgeerkrankungen nachgewiesen.
Sind die alten Empfehlungen falsch?
„Viele wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheiten stammen erst aus den letzten zehn bis 15 Jahren“, sagt Schulze. Die DGE selbst gab vor rund zehn Jahren erstmals Empfehlungen heraus, die systematisch aus Studien abgeleitet wurden. Sowohl Schulze als auch Hauner arbeiteten daran mit. „Davor waren Empfehlungen oft nicht durch Studien belegt“, so Schulze. Zum Beispiel die, möglichst wenig Eier zu essen, weil sie viel Cholesterin enthalten.
Mittlerweile ist klar, dass das Cholesterin aus der Nahrung nur geringen Einfluss auf die Cholesterinwerte im Blut hat. So entfernte auch die DGE nun den Hinweis „Eier in Maßen“ aus ihrem Regelwerk. Dass die alten Regeln erst jetzt aktualisiert wurden, habe seine Berechtigung. „In der Ernährungsforschung gibt es keine Revolutionen, bis eine neue Erkenntnis belegt ist dauert es bisweilen lange“, sagt Hauner.
Wann sind Ernährungsstudien wirklich zuverlässig?
„Je mehr Studien es gibt, die das Gleiche sagen, umso sicherer ist die Aussage“, sind sich die Experten einig. Jeder Forscher würde seine eigene Arbeit gerne publik machen, und das sei mit kontroversen Ergebnissen leichter. „Aber eine einzelne Studie beweist in der Regel noch gar nichts“, so Schulze. Auch bei der Qualität der Studien gebe es große Unterschiede.
Als Goldstandard gilt die randomisierte Interventionsstudie. „Dabei gibt es zwei oder mehr Gruppen, in die Studienteilnehmer zufällig zugeteilt werden. Nur die sogenannte Interventionsgruppe bekommt das Lebensmittel, das untersucht werden soll, für einen bestimmten Zeitraum“, erklärt Schulz. Am Ende werden die Gruppen verglichen. Es gebe allerdings nicht vieler dieser Studien, da sie sehr aufwendig und teuer seien.
Die Studien, aus denen aktuell die meisten Ergebnisse zu Krankheitsrisiken durch Ernährung fließen, sind sogenannte prospektive Kohortenstudien. Zu den bekanntesten zählen die US-amerikanische Nurses-Health-Study und die Europäische EPIC-Studie. Große Gruppen gesunder Personen aus der Bevölkerung werden dabei befragt, und bestimmte Krankheiten und die Sterberate werden über Jahre erfasst. „Beobachtungsstudien haben nicht die gleiche Beweiskraft wie Interventionsstudien, aber sie geben trotzdem wichtige Hinweise“, sagt Schulz. Weniger zuverlässig seien Fall-Kontroll-Studien. „Personen werden dabei erst befragt, wenn sie schon erkrankt sind“, erklärt der Ernährungswissenschaftler, „rückwirkend lässt sich aber schwer sagen, was der Grund für die Erkrankung sein könnte“. Studien an Tieren sind Grundlagenforschung – das bedeutet, die Ergebnisse lassen sich nicht direkt auf den Menschen beziehen.
Aber auch bei optimalem Studiendesign gibt es noch Fallstricke. „Man muss darauf achten, wer eine Studie finanziert hat“, warnt Hauner. Eine Metaanalyse habe kürzlich erst gezeigt, dass von der Industrie bezahlte Zuckerstudien eher für Hersteller günstige Ergebnisse hervorbringen. „Vermischen sich die Ergebnisse von unabhängigen und industriegeförderten Studien in der Wahrnehmung von Laien, kann schnell Durcheinander entstehen. Denn hier gibt es öfter Widersprüche“, sagt Hauner.
Erst unter Berücksichtigung all dieser Faktoren, lässt sich eine Empfehlung aussprechen, und die trifft im Zweifelsfall nicht auf jeden zu. „Die Empfehlungen können nur eine Orientierung sein“, sagt Hauner, „auf Lebensmittel reagiert eben jeder anders.“