Vor allem psychische Probleme sind für viele Männer ein Tabu und bleiben unerkannt - obwohl sie genauso daran leiden wie Frauen.
Berlin. Am Donnerstag wurde der erste Männergesundheitsbericht präsentiert. Und die Daten sprechen für sich: Bei Herzinfarkten, Lungenkrebs und Alkoholmissbrauch, aber auch Diabetes, Gicht und Fettleibigkeit liegen die Männer deutlich vorn. Ein Blick auf ihre spezifischen Probleme ist lange überfällig, bescheinigen die Autoren von der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. Denn: Sowohl die Vorsorge als auch die medizinischen Angebote erreichen die Männer viel zu selten.
„Männer sind nicht die Gesundheitsidioten, als die sie oft dargestellt werden“, betont Mitautor Matthias Stiehler. Aber männerspezifische Probleme fänden gesellschaftlich bislang kaum Beachtung. „Die Sicht auf Männer muss sich ändern, auch wenn daran natürlich die Männer selbst mitarbeiten müssen.“
So stehen vor allem Männer mittleren Alters, vorzugsweise nach der Familiengründung, immer stärker vor dem Problem sowohl „neuer Vater“ als auch Ernährer sein zu wollen. Ein Spagat, der sich oft in starker Arbeitsbelastung mit Überstunden, hohem Druck und wenig Freizeit ausdrückt. „Männer sind häufiger darauf ausgerichtet zu funktionieren, Erwartungen – auch ihre eigenen an sich – zu erfüllen“, sagt Stiehler.
Das führt seit den 70er Jahren nicht nur zu einem deutlichen Anstieg der erektilen Dysfunktion, also Potenzproblemen. Auch Übergewicht durch Stress-Essen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, starkes Rauchen und manchmal auch der Ausweichgriff zum Alkohol sind typische Folgen. „Es gibt eine eklatante Unterversorgung alkoholkranker Männer“, bestätigt Mitautorin Anne Maria Möller-Leimkühler von der Klinik für Psychiatrie an der Universität München. Seelische Schmerzen sind nach wie vor für viele Männer ein Tabu. In einer Umfrage der Techniker-Krankenkasse gaben jüngst 44 Prozent der Männer an, Probleme lieber mit sich selbst auszumachen. „Psychische Störungen sind bei Männern häufig unerkannt und unbehandelt“, sagt Möller-Leimkühler.
Auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sieht Handlungsbedarf und kündigte einen auf der Pilotstudie aufbauenden staatlichen Bericht für kommenden Sommer an. „Männer haben heute eine fünf Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen. Aber viereinhalb Jahre davon sind durch soziokulturelle Faktoren bestimmt. Wir können Bedingungen schaffen, die Männern helfen, gesünder zu leben“, sagte Schröder.
Zu erforschen ist dabei noch die Mischung aus soziokulturellen und biologischen Bedingungen. So ist bis heute unklar, welche Rolle das männliche Sexualhormon Testosteron etwa bei Herz-Kreislauf- Erkrankungen spielt. Für einen eher marginalen Effekt sprechen jedoch die sogenannten Klosterstudien. Dabei wurden Gesundheitszustand und Lebenserwartung von Männern und Frauen verglichen, die ihr Leben im Kloster verbrachten. Das Fazit: Unter diesen ruhigen Bedingungen wurden die Männer fast genauso alt wie die Frauen.
Die Deutsche Krankenversicherung (DKV), die die Pilotstudie mit Zahlen untermauerte, will deshalb ihre Gesundheitsvorsorge speziell für Männer ausbauen. „Vielleicht sind Online-Angebote der richtige Weg, bei denen anonymer Rat mit Infos zum gesünderen Leben verknüpft werden“, sagt Prof. Doris Bardehle, die Herausgeberin des Männerberichts.
Prof. Frank Sommer, Inhaber des bundesweit einzigen Lehrstuhls für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, betont die Ungeduld der Männer, die schnelle Erfolge sehen wollen. Außerdem funktionierten die meisten Männer am besten über Belohnung und Wettbewerb. Sommer schlägt deshalb vor, sich genau das zunutze zu machen: Etwa über Schrittzähler, wie sie einige Unternehmen schon an ihre Mitarbeiter ausgeben – so dass die Herren vergleichen können, wie viele Schritte sie schon „auf der Uhr“ haben.