In Notzeiten war die Gicht eher die Ausnahme. Heute trifft sie dank üppigem Essen, zu viel Alkohol und Bewegungsmangel immer häufiger auf.
München. Die Schmerzen kommen gern in der Nacht. Dann tut der große Zeh plötzlich höllisch weh, schwillt an, ist heiß, krebsrot. Der Anfall kann so schlimm sein, dass selbst eine federleichte Bettdecke über dem Fuß als unerträglicher Druck empfunden wird. Schüttelfrost und Fieber sind auch oft dabei. Wer zum ersten Mal von einer solchen Schmerzattacke überrollt wird, glaubt zuerst, sein Zeh sei gebrochen. Tatsächlich macht der Betroffene einen akuten Gichtanfall mit.
Schon Alexander der Große, Ludwig XIV., Friedrich der Große und auch Goethe kannten die extremen Schmerzen. Heute leiden etwa zwei Prozent der Deutschen an einem viel zu hohen Harnsäurespiegel im Körper. Und es werden immer mehr, wie Stefan Schewe berichtet, Rheumatologe und Professor am Klinikum der Universität München.
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Zwar ist die Veranlagung für Gicht erblich. Direkter Auslöser der Schmerzattacken sind aber meist zu üppiges Essen, viel Fleisch, Schalentiere und Innereien, reichlich Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht. In Notzeiten klagte kein Mensch über Gicht. Heute gilt das Leiden als Wohlstandskrankheit, das oft Hand in Hand geht mit Diabetes oder Bluthochdruck.
Tückische Spritze
Wie früher sind es auch jetzt hauptsächlich Männer, die an der Stoffwechselstörung erkranken, meist im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Frauen trifft die Gicht normalerweise nicht vor Einsetzen der Wechseljahre. Wahrscheinlich, weil die weiblichen Geschlechtshormone bis dahin als Schutzschild fungieren.
Während Goethe & Co. meist wochenlang die Zähne zusammenbeißen mussten, bis ein Anfall endlich aufhörte, sind die Schmerzen inzwischen mit einer Spritze blitzschnell in den Griff zu kriegen.
Doch damit ist die Krankheit nicht etwa vorbei, wie viele Patienten glauben und danach zur Tagesordnung übergehen. Ihr Körper produziert immer weiter zu viel Harnsäure. Deren nadelspitze Kristalle lagern sich ungebremst in Gelenken, Schleimbeuteln, Sehnen, in der Haut und im Ohrknorpel ab, verursachen Gelenkentzündungen – und irgendwann sind sie wieder da, die höllischen Schmerzen am großen Zeh, am Knie und Ellenbogen, in den Nieren.
Einmal Gicht, immer Gicht. „Bleibt sie unbehandelt, kommen immer mehr Anfälle in immer kürzeren Abständen“, warnt Schewe. Das „Gefährliche“ an dem Leiden sei, dass nach ein paar Jahren die akuten Schmerzattacken dann zwar aufhören, die Harnkristalle sich aber noch stärker ablagerten. Die Folgen: Chronische Gelenkzerstörung, schlimme Schäden an Knochen, Gelenken und Nieren. Wegen des ständig erhöhten Harnsäurespiegels steigt auch das Risiko für tödliche Herzerkrankungen, wie eine amerikanische Langzeitstudie herausgefunden hat.
Maß halten
Die meisten Betroffenen und sogar viele Hausärzte nähmen die Krankheit allzu oft auf die leichte Schulter, ist Rheumatologe Schewe besorgt: „Da wird viel falsch gemacht.“ Manche Patienten ließen aus Leichtsinn einfach ihre Medikamente weg, wenn der akute Schmerz vorüber sei. Und viele Mediziner seien zu zögerlich, was das konsequente Therapieren mit Medikamenten angeht.
Dabei muss der Harnsäurespiegel auf Dauer unbedingt runter, wenn die Krankheit nicht fortschreiten soll. Gichtpatienten müssten einen Harnsäurespiegel von unter sechs Milligramm pro Deziliter erreichen, betont Schewe. Aber wie ist das zu schaffen? Einmal über das regelmäßige Einnehmen von Medikamenten, die entweder das Übersäuern des Körpers von vornherein abblocken oder helfen, die Harnsäure auszuscheiden.
Und dann heißt es konsequent Maß halten, Sport treiben und sich purinarm zu ernähren. Purine sind Eiweißverbindungen, die in Lebensmitteln vorkommen. Besonders viele davon sind in Alkohol drin, vor allem in Bier, weniger in Wein, sowie in rotem Fleisch, Innereien, Meeresfrüchten, Speck, Hülsenfrüchten. Ohne Verzicht kommen die Anfälle immer wieder. „Wer einmal Gicht hatte, wird sie sein Leben lang nicht mehr los“, mahnt Schewe.