Kaum zu glauben, wie viele Züchtungen es von der jetzt blühenden Galanthus gibt – und wie besessen ihre Fans nach Raritäten suchen.
Was ist ein galanthophiler Höhepunkt? Nein, kein neuer Begriff aus der aktuellen Debatte um sexuelle Übergriffe. Obwohl es was mit einer Art von Obsession zu tun hat – die ja laut dem Internet-Lexikon Wikipedia auch leicht als aufdringlich und unerwünscht erlebt werden kann. Ein galanthophiler Höhepunkt ist etwa, wenn an einem Wochenende im Februar zur Hauptblütezeit des Schneeglöckchens 20.000 Menschen, darunter auch viele Deutsche, in Anglesey Abbey bei Cambridge gezählt werden.
Manche Fans robben sich gar bäuchlings an die Pflänzchen (Galanthus) ran, um mit einem Handspiegel dem Glöckchen unters Röckchen zu schauen. Ein neue Rarität vielleicht? Ein Hauch von Lila auf der Innenseite der Blütenblätter?
Bis zu 1000 Euro für eine Züchtung
Es sind Süchtige, Galanthomanen sozusagen, die dann mit Gleichgesinnten fachsimpeln, sich über neue Züchtungen austauschen – um anschließend auf dem Fachmarkt neue Züchtungen für den eigenen Garten zu erstehen. Einfache kosten zehn oder auch 50 Euro. Für Besonderes muss man tief in die Tasche greifen. Bis zu 1000 Euro werden verlangt – und auch bezahlt. Das Stück, wohlgemerkt.
Schneeglöckchenmäßig bin ich eher ein Banause. Natürlich gibt es in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland einige Horste unter Sträuchern und Obstbäumen. Seit Jahren schon. Im weiß nicht einmal, welche Arten dort wachsen. Ich gehe mal von Galanthus nivalis aus, dem gemeinen, seit Jahrhunderten bei uns heimischen Schneeglöckchen. Ich weiß nur noch, dass ich die ersten Tütchen mit Galanthus-Zwiebeln in einem Gartencenter gekauft habe. Vermutlich als Sonderangebot.
Unsere Schneeglöckchen haben sich über die Jahre gut entwickelt. Ohne großes Zutun. Ich achte nur darauf, dass das Gras unter den Obstbäumen nicht zu früh geschnitten wird, damit die Pflänzchen ausreichend Nährstoffe in den Zwiebeln ansammeln können, bis sie ihre Blätter einziehen.
Schneeglöckchen haben ein natürliches Frostschutzmittel
Meist Ende Mai, Anfang Juni. Immer mal wieder musste ich meine Frau Anke beruhigen, wenn die Schneeglöckchen wie Krokusse und Winterlinge bei längerem Frost schlapp machten, sich fast platt auf den Boden legten, wie jetzt beim Kälte-Hoch „Hartmut“. Schneeglöckchen haben wie Winterlinge ein natürliches Frostschutzmittel. Sie lagern Zucker in ihren Blättern ein und verringern das Wasser in den Zellen. So kann es in den Pflanzen bei Frost nicht gefrieren und durch Ausdehnung die Zellen platzen lassen.
Gewundert habe ich mich aber schon, wenn Tante Isolde aus Erfurt manchmal schon Anfang Januar anrief und fragte: „Blühen eure Schneeglöckchen?“ Wurde es in Erfurt nicht so kalt wie bei uns im Wendland, hatte sie vielleicht ein besondere Sorte? Nee, wusste sie auch nicht, Schneeglöckchen halt.
Klassiker: das Woronow-Schneeglöckchen
Richtig klick hat es bei mir gemacht, als sich Melitta Wölfer-Jähnichen aus Seevetal in einem Leserbrief als „galanthophil infiziert“ outete und begeistert von Reisen nach Nettetal am Niederrhein berichtete. Eine Art deutsches Schneeglöckchen-Mekka, vergleichbar mit Sehnsuchtsorten der Süchtigen in Belgien und Großbritannien. Dorthin organisieren Tourismusunternehmer für deutsche Schneeglöckchen-Fans schon seit Jahren Reisen.
Na gut, Melitta Wölfer-Jähnichen liest auch gern den „Brief aus der Mühle“, was den Kolumnisten durchaus auch animiert. Ich werde also im Herbst – September und Oktober ist die beste Pflanzzeit – einige neue Schneeglöckchen ausprobieren. Ich fange mal bescheiden an. Mit Klassikern wie Galanthus elwesii var. Das ist eine großblütige Art, die auch noch früher blüht als das heimische Nivalis. Vielleicht kann ich damit ja sogar Tante Isolde einholen.
Zu den Klassikern gehört auch das nach einem russischen Botaniker benannte Woronow-Schneeglöckchen. Es gilt als besonders robust und ausbreitungsfreudig. Platz haben sie ja in unserem kleinen Mühlenpark. Und es blüht auch sehr früh (Tante Isolde!). Und dann denke ich noch an das eine oder andere Schneeglöckchen mit gefüllten Blüten. Etwa Galanthus nivalis „Flore Pleno“. Eine besondere Schönheit, die auch noch wunderbar duften soll. Erschwinglich sind sie alle auch, kosten zwischen fünf und sieben Euro. Nicht das Stück, sondern jeweils ein ganzer Zehnerpack.
Das muss erst einmal reichen. Beim ersten Sichten von Angeboten ist mir fast schwindelig geworden – angesichts der Vielfalt von Züchtungen. Rund 5000 Arten und Sorten gibt es, grob geschätzt. Jährlich kommen neue hinzu. Werde ich auf meine alten Tage noch galanthophil? Anke sagt: „Deine Leidenschaften reichen mir.“
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth
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