Chancen verbessern: Ein Netzwerk hilft bei der Vermittlung von Lehrstellen.
"Was ist dein größter Erfolg?", fragt der Personalleiter. Kevin schweigt. Diese Frage hat dem Hauptschüler noch keiner gestellt. Schulische Erfolge können nicht gemeint sein, schießt es ihm durch den Kopf, die hat einer, der "Deutschlands Restschule" besucht, kaum vorzuweisen. Blieben also private Leistungen. "Ich habe den ersten Preis im Angelwettbewerb gewonnen", sagt der 15-Jährige. "Ich koche für meine jüngeren Geschwister und denen schmeckt das gut", erklärt seine Mitschülerin Daniela. "Meine Zeichnung wurde auf dem Schulfest für einen guten Zweck teuer versteigert", berichtet Rasul.
Die Neuntklässler sind Teilnehmer des Hamburger Hauptschulmodells, einer Ausbildungsplatzvermittlung in Zusammenarbeit von Schule, Arbeitsagentur und Betrieben. Daran beteiligen sich alle 109 Hamburger Schulen, die einen Hauptschulzweig anbieten. Eingeladen zur Teilnahme an dem Beratungsprozess sind alle Jugendlichen, die voraussichtlich den Abschluss schaffen werden und anschließend eine Ausbildung anfangen wollen. "Das betrifft nur 60 Prozent der Hauptschüler. Die anderen wollen lieber weiter zur Schule gehen", erklärt Michael Goedecke, Leiter der Koordinierungsstelle Ausbildung. Die Koordinierungsstelle ist Ansprechpartner für alle Prozessteilnehmer: Für die Lehrer, die bis zum Oktober eine Rückmeldung über den voraussichtlichen Abschlussstand ihrer Klasse geben, für die Arbeitsagentur und die Ausbildungsbetriebe. Das gilt vor allem für die 76 Unternehmen und öffentlichen Arbeitgeber, die sich für das Hauptschulmodell zum Netzwerk zusammengeschlossen haben.
"Wir öffnen uns wieder den Hauptschulen", lautet dabei die eine Prämisse. Die andere: "Die Eingangsvoraussetzungen sind geblieben, aber wir machen es nicht am Abschluss fest." Sondern an den Stärken, Interessen und Potenzialen der Schüler. "Das ist ein neuer Ansatz", erklärt Michael Goedeke. "Schule orientiert sich sonst viel mehr an den Defiziten." Die Personalfachleute der Netzwerkbetriebe helfen den Schülern bei diesem neuen Ansatz auf die Sprünge. Sie laden die Jugendlichen zu Einzelgesprächen in ihre Büros ein, beraten und vermitteln untereinander oder über die Agentur in Betriebe hinein.
Kevin, der Preisträger im Angelwettbewerb wird Fischwirt, die junge Köchin Daniela Restaurantfachkraft im Hamburger Rathaus, der kreative Zeichner Rasul Bühnenmaler an der Hamburger Staatsoper. "Dabei gab es dafür gar keine Ausbildungsstelle, sondern nur eine Praktikumsstelle", so Goedeke. Aber weil die künstlerische Begabung voll überzeugte, habe man dem Hauptschüler schließlich eine Ausbildungsstelle eingerichtet. Goedeke weiß, dass das Einzelfälle sind. Aber jeder Einzelerfolg mache Mut. "Man muss nicht gleich jeden scheinbar illusionären Berufswunsch beiseite schieben." Man kann probieren und wenn die Jugendlichen etwa den Innungstest zum Traumjob Kfz-Mechatroniker dann nicht bestehen, öffnen sie sich für Alternativen. "Natürlich gibt es auch Fälle, wo wir mit unserem Latein am Ende sind", gibt der ausgebildete Lehrer zu. Diese Schüler gehen dann meist weiter auf die Schule und finden manchmal über zusätzliche Erfahrungen und Erfolge doch noch zu einem Ausbildungsberuf.