Berlin. Jeder Deutsche isst im Schnitt 60 Kilo Fleisch im Jahr. Die Massentierhaltung schadet laut Experten Böden und der Trinkwasserqualität.

Der Fleischkonsum steigt weltweit: Die Produktion von Hühnerschenkeln, Rinderfilet oder Schweinekoteletts hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdreifacht. Da die Weltbevölkerung wächst, wird die Menge bis zum Jahr 2050 weiter um 85 Prozent zulegen. Dies prognostiziert die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), heißt es im neuen Fleischatlas 2018, den die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und der Umweltverband BUND vorgelegt haben. Er beschreibt mit Daten die Probleme der Fleischwirtschaft.

„Die Deutschen müssen ihren Fleischkonsum halbieren“, fordert die Chefin der Böll-Stiftung Barbara Unmüßig. Bislang bezeichnen sich zwar zwölf Prozent der Deutschen als Flexitarier und schränkten ihren Fleischverzehr ein. Weitere vier Prozent lebten vegetarisch. Dennoch sinke der Durchschnittsverbrauch nicht. Denn es gebe, betont Unmüßig, eine Gruppe von rund fünf Prozent Vielfleischessern unter Männern, die fast dreimal so viel Fleisch essen wie üblich. Sie folgten Trends wie Wintergrillen oder der „Paleo-Diät“, der fleischlastigen Steinzeitküche.

Gesundheitsexperten raten zu maximal 600 Gramm Fleisch pro Woche

Mit der Massentierhaltung kommt immer billigeres Fleisch auf den Markt. Doch dieses komme die Menschen am Ende teuer zu stehen, meint der BUND-Vorsitzender Hubert Weiger. Es habe „katastrophale“ Folgen. Zum einen für die eigene Gesundheit. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen, das sind etwa 16 bis 31 Kilogramm pro Jahr. Zum Vergleich: Im Schnitt isst jeder Deutsche 60 Kilo Fleisch und Fleischprodukte. Zum anderen ist die hohe Produktion schädlich für das Klima, die Böden und Artenvielfalt.

So warnten vor Kurzem die Wasserversorger, dass die Preise fürs Trinkwasser um bis zu 62 Prozent steigen könnten, weil zu viel Gülle und Mineraldünger auf den Feldern landet. Dies sorge für einen Überschuss an Nitrat, der das Grundwasser belastet und die Aufbereitung aufwendiger macht. Allein im Jahr 2017 wurden 208 Millionen Kubikmeter Gülle und Jauche auf den Äckern und Wiesen verteilt – für die 27,1 Millionen Schweine, 12,4 Millionen Rinder, 1,8 Millionen Schafe und 41 Millionen Legehennen gesorgt haben.

Tierwohl könnte auch bei Sondierungsgesprächen Thema sein

Auch der Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, Martin Rücker, mahnt: „Wir müssen eine Debatte darüber führen, ob wir eine Fleischproduktion wollen, die vermeidbares Leiden der Tiere einpreist oder nicht. Es gibt kein Menschenrecht auf das tägliche billige Schnitzel.“

So erkenne ich, ob bei Lebensmitteln auf das Tierwohl geachtet wurde
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    Vor allem in den niedersächsischen Landkreise Vechta und Cloppenburg und der Grafschaft Bad Bentheim, aber auch im Kreis Borken in Nordrhein-Westfalen – also dort, wo besonders viele Tiere gehalten werden – seien die „Grenzen der Umweltbelastung seit Langem“ erreicht, heißt es in dem Fleischatlas. Und es gibt Chancen auf Veränderung: Derzeit wird die Agrarpolitik neu verhandelt. Sie spielt in den Sondierungen von CDU, CSU und SPD für eine gemeinsame Regierungskoalition diese Woche eine Rolle. Dem Vernehmen nach wird etwa über ein Tierwohllabel verhandelt. Doch will sich dazu derzeit niemand öffentlich äußern.

    Für die Politik sind die Knackpunkte der industriellen Landwirtschaft aber nicht neu. Selbst der wissenschaftliche Beirat des Bundesagrarministeriums hat in seinen Berichten schon angemahnt, bei der Tierhaltung umzusteuern, etwa Tieren mehr Platz zu geben und die Menge an Gülle zu deckeln. Er argumentierte auch, dass sonst die Akzeptanz der Verbraucher schwinde. Bei vielen sorgt der derzeitige Umgang mit den Tieren für Unbehagen.

    Agrarsubventionen nach artgerechter Haltung vergeben

    Eindrückliches Beispiel: Jedes Jahr werden bis zu 50 Millionen männliche Küken geschreddert oder vergast, weil sie als ökonomisch wertlos gelten. Sie rentieren sich angeblich nicht, da sie kaum Fleisch ansetzen. Doch schon heute gibt es Tierrassen, die beides können: Eier und Fleisch liefern. Doch sie werden bisher selten gezüchtet.

    „Es geht jetzt um ein Bündel von Maßnahmen“, sagt Unmüßig. Sie und ihre Mitstreiter fordern eine Umschichtung der EU-Agrarsubventionen: So fließen jährlich allein rund fünf Milliarden Euro nach Deutschland – vor allem in Großbetriebe, weil die Förderung pro Hektar gezahlt wird. Künftig sollten sich die Subventionen daran orientieren, ob die Tiere art- und umweltgerecht gehalten werden, so die Idee. Im Grunde soll ein Betrieb zudem nur so viele Tiere halten, wie die dazugehörigen Felder und Wiesen ernähren und vertragen können. Denkbar sei auch eine Abgabe auf Mineraldünger oder Stickstoff.

    Spitzenköche verarbeiten auch Niere, Kuddlen, Pansen und Zunge

    Die Autoren des Fleischatlas fordern zudem ein Label, an dem sich im Supermarkt leicht erkennen lässt, wie Schwein, Rind oder Huhn gehalten wurden. Ihr Vorbild: die Kennzeichnung von Eiern mit ihren vier Stufen von 0 für Öko bis 3 für Käfighaltung. Beim Fleisch könne das heißen: 0 für Bio, 1 für einen Premiumstandard, 2 für etwas bessere Haltung als gesetzlich vorgeschrieben und 3 für den gesetzlichen Mindeststandard. Die Idee dahinter: Die Deutschen essen künftig weniger, dafür bewusster Fleisch.

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      Spitzenköche gehen bereits ihren eigenen Weg. Sie servieren nicht nur Schnitzel und Filets, sondern entdecken Nieren, Kuddeln, Pansen und Zunge als Delikatesse. Das Motto: Wenn schon Fleisch, dann wird gleich das ganze Schwein verwertet. Derzeit werden hierzulande üblicherweise nur 55 Prozent eines Tieres verzehrt.