Berlin. Jedes Jahr erblinden in Deutschland 2000 Menschen mit einem Glaukom. Wie kommt es zum grünen Star – und wie sehen neue Therapien aus?

Die Augen von Menschen mit grünem Star, auch Glaukom genannt, arbeiten mit imaginären Puzzlestücken. Sie nehmen ein Bild wahr, das an den Rändern immer verschwommener wird, bis nur noch der mittlere Teil scharf erscheint. „Unser Gehirn ersetzt diese Sehfeldausfälle, fehlende Details werden ergänzt“, erklärt Professorin Esther Hoffmann. Das sei der Grund, warum Glaukome erst spät festgestellt werden.

Esther Hoffmann leitet die Abteilung für Glaukomerkrankungen sowie das Deutsche Kinder-Glaukomzentrum an der Augenklinik der Universitätsmedizin Mainz. Sie behandelt viele Patientinnen und Patienten, denen der „heimliche Dieb des Sehens“ – so nennt sie das Glaukom – nach und nach für immer die Sehkraft geraubt hat, ohne Schmerzen zu verursachen. „Die Menschen merken es oft daran, dass sie sich an Ecken stoßen oder beim Treppensteigen stolpern. Doch dann ist der Sehnerv bereits geschädigt“, erklärt die Expertin.

Bei kleinen Kindern kann sich der Nerv wieder erholen. „Etwa 80 Säuglinge pro Jahr werden in Deutschland mit einem angeborenen Glaukom geboren, das genetisch veranlagt sein kann. Wir öffnen bei ihnen einen Kanal am Auge. Wenn das Wasser aus der Augenkammer wieder gut abfließt und der Augeninnendruck sinkt, regeneriert sich der Sehnerv in vielen Fällen“, sagt Hoffmann.

Grüner Star: Sehleistung bei Versuchen an Mäusen verbessert

Einen ähnlichen, quasi verjüngenden Effekt würde Verena Prokosch gern auch bei Erwachsenen erreichen. Die Professorin für Glaukomerkrankungen am Zentrum für Augenheilkunde der Uniklinik Köln ist eine klinische Wissenschaftlerin, die viele Patienten mit den neuesten Methoden behandelt.

Gleichzeitig leitet sie eine Forschungsgruppe für neue Therapien. „Der gentherapeutische Ansatz, den ein Team der Harvard-Universität entwickelt hat, befasst sich damit, dass der genetische Code der Nervenzellen im Auge zwar einerseits unverändert bleibt, andererseits aber bestimmte Gene mit der Zeit nicht mehr richtig ausgelesen werden“, so Prokosch.

Würden bestimmte Faktoren verjüngt, könnten sich die sogenannten epigenetischen Veränderungen wieder löschen – und die Zelle könnte sich in ihren Ursprungszustand versetzen lassen. „So würde ihr genetischer Code bei der Zellteilung wieder normal abgelesen.“

Glaukom: Fast eine Million Betroffene in Deutschland

Bei Laborversuchen mit Mäusen, die an einem Glaukom erkrankt waren, zeigte die Verjüngung der Zellen Erfolge – und die Sehleistung verbesserte sich deutlich. „Doch es wird noch Jahre dauern, bis sich unsere Forschungsergebnisse auf den Menschen übertragen lassen“, so Prokosch. Ihr Ziel: Eine Spritze ins Auge, die dabei hilft, den Sehnerv wiederherzustellen. Zusätzlich müsste die Therapie die Nervenfasern davor schützen, weiter abzusterben. So könnte der grüne Star irgendwann geheilt werden.

Die Suche nach neuen Behandlungsmethoden ist so wichtig, weil der grüne Star zu den häufigsten Ursachen gehört, die Menschen rund um den Globus erblinden lassen. In Deutschland sind es nach Angaben des Berufsverbands der Augenärzte pro Jahr 2000 von etwa 919.000 Betroffenen. Weltweit haben geschätzt rund 80 Millionen Menschen ein Glaukom, Tendenz steigend.

Regelmäßiger Glaukomcheck: Während Ärzte ihn ab dem 40. Lebensjahr empfehlen, zweifeln Kritiker den Nutzen an.
Regelmäßiger Glaukomcheck: Während Ärzte ihn ab dem 40. Lebensjahr empfehlen, zweifeln Kritiker den Nutzen an. © picture alliance/dpa | Marijan Murat

Augeninnendruck gibt erste Hinweise

Die Diagnose des grünen Stars fußt laut Verena Prokosch auf drei Säulen: „Die erste ist der Augeninnendruck, der sich als einziger Risikofaktor gut messen lässt. Er beträgt normalerweise zwischen 10 und 21 mmHg (Millimeter-Quecksilbersäule, Anm. d. Red.) und wird gefährlich, wenn er deutlich darüber liegt. Aber auch, wer einen normalen Druck hat, kann betroffen sein.“

Als zweite Säule bezeichnet die Expertin die Untersuchung des Sehnervs, in dem sich rund eine Million Nervenfasern bündeln. Wie Kabel leiten diese Impulse zum Gehirn und können absterben. Verena Prokosch: „Das erkennen wir an Veränderungen des Sehnervkopfes.“

Was kostet die Vorsorge beim Augenarzt?

Ein Test des Gesichtsfeldes – also des Bildes, das man wahrnimmt – stellt die dritte Diagnosesäule dar. Wer vorbeugen will, kann ab dem 40. Lebensjahr alle drei Diagnosesäulen checken lassen – was rund 90 Euro kosten kann. Rund 30 Euro berechnen Augenärzte, wenn sie als erstes mögliches Anzeichen für ein Glaukom den Augeninnendruck messen (siehe unten).

Genau wie bei Kindern spielt der Innendruck auch bei der Behandlung von Erwachsenen schon heute eine zentrale Rolle, auch wenn eine Regeneration des Sehnervs im Erwachsenenalter nicht mehr möglich ist: „Wenn wir den Druck senken, wird die Erkrankung verlangsamt oder sogar aufgehalten“, sagt Esther Hoffmann.

Um das zu erreichen, steht eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Verfügung: „Oft wird mit Tropfen begonnen, die dafür sorgen, dass sich weniger Flüssigkeit in der Augenkammer bildet. Aber wir können auch den Ort, an dem das Wasser abfließt, sanft lasern oder Abflusswege schaffen, die das Kammerwasser abfließen lassen.“

Auch älteren Patienten kann geholfen werden

Bei älteren Patienten, die infolge des grauen Stars eine neue Augenlinse benötigen, sei es möglich, gleichzeitig mit Blick auf ein Glaukom einen Stent zu legen. „Über dieses haarfeine Röhrchen kann das Wasser ins Gewebe abfließen“, beschreibt Prokosch einige Ansätze.

Solche Abflusshilfen gibt es in den unterschiedlichsten Formen und Größen, sie werden in die Lederhaut am Auge implantiert und erfordern relativ wenig Nachsorge. „Aber sie können sich zusetzen, dann müssen wir sie wieder öffnen.“ Die Implantate blieben Fremdkörper, und die Drucksenkung funktioniere nicht immer gut, so Hoffmann. Die Kosten für das Lasern und Einsetzen von Stents werden nicht immer von den Krankenkassen übernommen. Mitunter muss ein Antrag bei der Kasse gestellt werden.

Eine günstige Alternative und immer noch die gängigste Operation ist für beide Augenärztinnen die sogenannte Trabekulektomie. „Wir schaffen eine Öffnung in der Lederhaut, über die das Wasser aus der Augenkammer unter die Bindehaut läuft“, erklärt Esther Hoffmann das Verfahren.

Der Volksmund spricht von einem Sickerkissen im Auge. Die Nachsorge ist vergleichsweise aufwendig. Hoffmann: „Bei einer Glaukomoperation bleibt man bis zu fünf Nächte im Krankenhaus. Es dauert mitunter einige Wochen, bis sich die Sehschärfe wieder eingestellt hat.“

Risiko grüner Star: Wer sollte ab wann zum Glaukom-Check?

Augenärzte raten dazu, regelmäßig ab 40 Jahren zur Früherkennung zu gehen. Der Check ist eine individuelle Gesundheitsleistung, die die Kassen aber nicht zahlen. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen bewertet die Untersuchung als „tendenziell negativ“ – es gebe keine Studien, die einen direkten oder indirekten Nutzen nachwiesen.

Verbraucherschützer raten, konkret nach dem Nutzen zu fragen, wenn einem der Augenarzt den Check anbietet. Außerdem sollte man mit Arzt und Kasse klären, ob ein Glaukomverdacht oder Risikofaktoren, etwa Diabetes, vorliegen. Dann nämlich werde der Check zur Kassenleistung.

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