Berlin. Proteinhaltige Lebensmittel sollen Muskelaufbau fördern und beim Abnehmen helfen. Experten sehen dabei aber auch einen Marketing-Trick.
Pudding, Müsliriegel, Vollkornbrot, Milchdrinks: Immer mehr Lebensmittelhersteller vermarkten Produkte mit hohem Proteingehalt. Die Zielgruppe sind dabei längst nicht mehr nur Personen, die sich als besonders gesundheits- und fitnessorientiert definieren, sondern durchschnittliche Verbraucherinnen und Verbraucher.
Nach Angaben des Marktforschungsinstituts GfK hat sich der Umsatz an High-Protein-Produkten in den Kategorien Quark, Joghurt, Fertigdesserts und Milchgetränken zwischen 2016 und 2020 nahezu verfünffacht.
Vom Verzehr solcher Produkte versprechen sich Verbraucherinnen und Verbraucher oft nicht bloß einen schnelleren Muskelaufbau. Proteinreiche Lebensmittel haben außerdem den Ruf, schnell zu sättigen und Konsumentinnen und Konsumenten so beim Abnehmen zu unterstützen.
So wichtig ist Eiweiß für den Körper
Doch wie sinnvoll ist der Eiweißtrend? Wer profitiert wirklich von Lebensmitteln mit hohem Proteingehalt? Und ist Eiweiß tatsächlich ein Multitalent in der Ernährung?
Tatsächlich bilden Eiweiße die Grundstruktur des Körpers, so Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Demnach seien Proteine die zentralen Bestandteile für Muskeln und Knochen, Organe, zahlreiche Hormone, Blut und die Antikörper des Immunsystems.
Darüber hinaus könnten sie vom Organismus zur Energiegewinnung genutzt werden. Entscheidend dafür sei die Menge der Proteine, aber auch deren Qualität und Bioverfügbarkeit. Letzteres beschreibt die prozentuale Wirkstoffmenge im Blut. Heißt: Ist ein Nährstoff zu 100 Prozent bioverfügbar, kann ihn der Organismus ideal aufnehmen.
Proteinmangel besonders für Junge gefährlich
„Fest steht, dass Proteine für den Körper unverzichtbar sind“, so Restemeyer. Im Kindes- und Jugendalter beispielsweise könne ein Mangel nicht nur körperliche, sondern in schweren Fällen gar eine geistige Unterentwicklung verursachen.
In westlichen Industrieländern, zu denen auch Deutschland zählt, seien davon allerdings nur sehr wenige Kinder und Jugendliche betroffen. Bei Menschen über 65 Jahre sähe das schon anders aus. Grund dafür ist deren erhöhter Proteinbedarf.
Laut dem Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) benötigt ein Erwachsener durchschnittlich 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Bei einer 70 Kilo schweren Person entspreche das 56 Gramm Eiweiß täglich. Diese Menge, so das BZfE, könne spielend leicht mit einer normalen, ausgewogenen Mischkost erreicht werden.
Milch und Milchprodukte, Fleisch, Fisch und Eier sind Lebensmittel mit hohem Proteingehalt. Doch auch Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, können auf zahlreiche pflanzliche Produkte zurückgreifen, um ihren Eiweißbedarf zu decken. Darunter auf Hülsenfrüchte, Brot oder auf Getreideflocken aus Vollkorn und Kartoffeln.
Kriterien für „Hohen Proteingehalt“
Aber heißt das, dass der Proteintrend bei Lebensmitteln gänzlich überflüssig ist und ab wann haben sie einen „hohen Porteingehalt“? Laut der sogenannten Health-Claims-Verordnung über Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben ist die Selbstbezeichnung „Hoher Proteingehalt“ oder Ähnliches auf Lebensmitteln nur dann zulässig, wenn mindestens 20 Prozent ihres Gesamtkaloriengehaltes auf den des Proteinanteils entfallen.
Ein Rechenbeispiel der Bundeszentrale für Ernährung zeigt, wie das in der Praxis aussehen könnte: Demnach müsste ein Müsli mit 424 Kalorien pro 100 Gramm auch mindestens 21 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm enthalten.
Etwas anders sieht es laut BZfE bei der Angabe „Proteinquelle“ oder einer Bezeichnung mit derselben Bedeutung wie „enthält Protein“ aus. In diesem Fall müssten auf den Proteinanteil mindestens zwölf Prozent des gesamten Brennwerts des Lebensmittels entfallen, heißt es.
Proteinhaltige Lebensmittel haben keine Vorteile
„In der Regel bieten proteinangereicherte Lebensmittel keine Vorteile und sind zudem unnötig teuer“, urteilt Restemeyer. Gesunde Erwachsene bräuchten schlichtweg kein zusätzliches Eiweiß. Gleichzeitig würden entsprechende Lebensmittel – wohlgemerkt in Maßen konsumiert – dem Organismus aber auch nicht schaden.
„Handelt es sich allerdings um Produkte, die ohnehin nicht gesundheitsfördernd sind, werden sie es mithilfe von Proteinzusätzen auch nicht“, so Restemeyer. Das gelte zum Beispiel für Schokoladenriegel, die als Proteinvariante angeboten werden.
Gleichzeitig gäbe es durchaus Produkte, bei denen eine Anreicherung mit Eiweiß sinnvoll ist. Darunter proteinreiches Mehl aus Hülsenfrüchten, das nicht zuletzt für Menschen mit einer Glutenintoleranz oder mit der chronischen Dünndarmerkrankung Zöliakie interessant sein könne.
Nun erhoffen sich Verbraucherinnen und Verbraucher von proteinangereicherten Lebensmitteln häufig auch einen schnelleren Muskelaufbau. Aber bedeutet mehr Protein in jedem Fall auch mehr Fitness? Nein.
Kein Muskelaufbau ohne Training
„Wer nicht trainiert, für den wird eine eiweißreiche Ernährung keinerlei Vorteile hinsichtlich der Fitness bringen“, betont Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Im Gegenteil: Ein Überschuss an Eiweißenergie wird vom Körper in Fett statt in Muskelmasse umgewandelt.
Grundsätzlich kann eine hohe Proteinzufuhr aber auch dazu führen, dass weniger ungünstige Inhaltsstoffe wie gesättigte Fette oder Zucker konsumiert werden, betont Jürgen Gießing vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Koblenz-Landau.
„Wer beispielsweise nach dem Training ein Pfund Magerquark mit frischen Früchten anstelle einer Fertigmahlzeit oder Junkfood verzehrt, hat wahrscheinlich mehr Protein aufgenommen als benötigt, hat aber dafür viele Nährstoffe zu sich genommen, was in der Bilanz sicher positiv ist“, sagt er.
Angereicherte Produkte oft voller Fett und Zucker
Dennoch: Selbst für Erwachsene, die bis zu fünf Mal pro Woche jeweils 30 Minuten Sport treiben, empfiehlt die DGE keine erhöhte Proteinzufuhr. Denn auch sportlich aktive Menschen seien durch eine ausgewogene Mischkost ausreichend mit Eiweiß versorgt.
Für gesunde Menschen ergibt es demnach wenig Sinn, mit Protein angereichte Produkte zu verzehren. Dagegen spricht auch, dass sie laut BZfE häufig viel Fett, Zucker oder andere Zusatzstoffe enthalten.
Dass eine kurzfristige proteinreiche Ernährung über eine Dauer von drei bis sechs Monaten beim Abnehmen unterstützen kann, darauf weisen hingegen verschiedene Untersuchungen hin. Aber: Je länger der Zeitraum ist, in dem sich Menschen eiweißreich ernähren, desto kleiner ist der Effekt. Irgendwann verschwinde er sogar ganz, sagt DGE-Expertin Restemeyer.