Berlin. Der Lichtschutzfaktor auf Sonnencremes wiegt uns in falscher Sicherheit. Ihn auf der Haut zu erreichen, ist laut Experten kaum möglich.
Kurz eingeschmiert und raus – Sonnentage auskosten, bevor der nächste Regen kommt. Oder im langersehnten Urlaub endlich wieder ausgiebig auf der Liege liegen. Die meisten Frauen und Männer in Deutschland würden im Sommer ihre Blässe gern gegen Bräune eintauschen. Was sie bereit sind, dafür zu tun, zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Industrieverbands Körperpflege- und Waschmittel (IKW).
Um brauner zu werden, verwenden 41 Prozent der Befragten demnach manchmal Sonnenschutzmittel mit einem niedrigen Lichtschutzfaktor oder verzichten ganz auf Sonnenschutzmittel. Neun Prozent sagen sogar, dass sie immer auf Sonnenschutz verzichten. Ihr Argument: Eine richtige Bräune könne erst nach einem Sonnenbrand erreicht werden. Eine riskante Haltung.
Die UV-Strahlung der Sonne führt beim Sonnenbrand zu einer Entzündung der Haut. „Es ist ein Schädigungsprozess, eine akute Abwehrreaktion des Körpers“, erklärt Dermatologe Dr. Christoph Liebich, Mitglied in zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften.
Sonnenbrand „vergisst“ die Haut nicht
Die durch UV-Strahlung entstandenen Schäden sammeln sich im Laufe des Lebens an und sind irreparabel, so der Münchner Hautarzt. Auch Professor Eckhard Breitbart, ebenfalls Dermatologe sowie Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention (ADP), betont: „Die gefährlichen Auswirkungen eines Sonnenbrands zeigen sich nicht sofort. Aber die Haut vergisst nicht eine einzige Mutation.“
Auch die Schäden des ersten Sonnenbrands, und sei es im Alter von zwei Jahren, bleiben also unverändert in den Stammzellen liegen. Sie sind nicht reparabel. Mit jeder weiteren Rötung kommen Schäden dazu. Und irgendwann ist es so weit.
Nach etwa 40 Jahren – meist im Alter zwischen 50 und 70 – zeigen sich laut dem Experten die Folgen. „Erst dann geht das mit dem Hautkrebs richtig los“, erklärt Breitbart. Doch das interessiere viele einfach nicht, zu abstrakt sei die Gefahr, so die Experten. Dabei wisse man es heute eigentlich besser.
„Die ganzen Schäden sehen wir heute.“
Dass die UV-Strahlung DNA-Schäden verursacht, wurde 1963 in einem US-Labor erstmals überhaupt nachgewiesen. „Bis so eine Information aus dem Labor bei der Bevölkerung ankommt, braucht es meist etwa zwanzig Jahre“, so der Dermatologe. So auch hier.
„Erst um 1983 wurde in Deutschland überhaupt angefangen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren.“ Zuvor lagen die Menschen sorglos etwa in Rimini am Strand und grillten förmlich in der Sonne – in der Meinung, sich etwas Gutes zu tun.
„Diese ganzen Schäden sehen wir heute“, berichtet Breitbart. Sein Kopfschütteln über die Situation und die Unvernunft – damals wie heute – kann man dabei förmlich hören. „Die ältere Generation kommt jetzt mit riesigen Tumoren in die Praxis.“ Er sieht zum Beispiel regelmäßig Männer, denen binnen zwei bis drei Wochen große Wucherungen auf der Glatze wachsen.
Egal ob an Kopf, Rücken, der Schulter oder einem anderen Körperteil – damit einem die Diagnose Hautkrebs möglichst erspart bleibt, gilt es, jeden weiteren Sonnenbrand tunlichst zu vermeiden. „Jeder muss dafür Sorge tragen, dass die Anzahl der DNA-Schäden in seiner Haut nicht noch gesteigert wird“, mahnt Breitbart.
Sonnencreme alleine reicht nicht
Dafür primär auf Lichtschutzmittel in Form von Cremes, Gels oder Sprays zu setzen, wäre jedoch der falsche Weg. „Sonnencreme kann keinesfalls den Schutz leisten, der uns in der Werbung vorgaukelt wird“, warnt der ADP-Vorsitzende. Effektiven Schutz erreicht man laut den Experten nur, indem man freie Hautareale möglichst bedeckt, wenn man in der Sonne ist.
Das Beste sei physikalischer Sonnenschutz wie Sonnenschirm, Sonnenhut, Sonnenbrille, Kleidung, die zumindest Schultern, Knie und Fußrücken bedecke, idealerweise UV-Schutzkleidung – gerade bei Kindern. „Wichtig ist es, darauf zu achten, keine Fake-Produkte zu kaufen, sondern Kleidung mit Prüfsiegel“, rät Liebich.
„Den Rest, der dann noch frei bleibt, kann man mit Sonnenschutz bestreichen“, erklärt Breitbart. Das nütze aber nur etwas, wenn dieser auch richtig anwendet werde. Doch das sei streng genommen kaum möglich.
Besser zu viel als zu wenig
Zwei Milligramm pro Quadratzentimeter braucht es laut den Experten, damit die Lichtschutzmittel richtig wirken. Das entspricht den Prüfkriterien, unter denen die Produkte die auf der Packung angegebenen Lichtschutzfaktoren erreichen.
Ein erwachsener Mann hat im Schnitt rund 1,9 Quadratmeter Haut, bei Frauen ist es etwas weniger. „Wenn ich meinen ganzen Körper nach Vorschrift eincremen wollen würde, bräuchte ich dafür eine ganze Tube“, meint Breitbart. Allein für das Gesicht brauche man eineinhalb gehäufte Teelöffel.
Zu möglichst hohem Lichtschutzfaktor greifen
Um die meist fehlende Auftragdicke auszugleichen, raten die Experten, zu einem sehr hohen Lichtschutzfaktor zu greifen. Den angegebenen Lichtschutzfaktor einfach mit der Zeit zu multiplizieren, die man laut Hauttyp von Haus aus in der Sonne bleiben dürfte, funktioniere nicht.
Bei erwachsenen Mitteleuropäern liegt die Eigenschutzzeit bei einem UV-Index von acht bei fünf bis zehn Minuten – rein rechnerisch käme man also auf eine Sonnenschutzzeit von bis zu 500 Minuten pro Tag. Breitbart empfiehlt, höchstens 60 Prozent der errechneten Zeit in der Sonne zu bleiben – wenn man regelmäßig gründlich nachcremt. Andere Experten halten aufgrund von Abrieb und zu dünnem Auftragen lediglich eine Stunde für realistisch.
In der Zeit mit der höchsten UV-Einstrahlung von 11 Uhr bis 16 Uhr sollte man sich außerdem grundsätzlich im Schatten aufhalten, ergänzt Liebich. Säuglinge sollten bis zum zwölften Monat laut den Dermatologen grundsätzlich nicht in die Sonne.