Berlin. Privatleben, Job, Arztbesuch: Die Digitalisierung erobert alle Lebensbereiche. Digitalexperte Holger Volland gibt alltagsnahe Tipps.
Was verraten vernetzte Geräte in meinem Haushalt über mich? Locken Staubsaugerroboter und smarte Glühbirnen Verbrecher an? Wie verändert die Smartwatch am Handgelenk den Arztbesuch? Digitalexperte Holger Volland erklärt in einem neuen Buch, wie tief die Digitalisierung in unser Zuhause und alle Bereiche unseres Lebens bereits eingedrungen ist – und welche Gefahren damit verbunden sind. Im Interview verrät der 50-Jährige, weshalb man sich das Wissen über seine Geräte im Haushalt und die digitalen Zusammenhänge selbst aneignen sollte, wie man seine Privatsphäre schützt und wie man selbstbestimmt Entscheidungen trifft.
Herr Volland, wir sitzen uns dank Videoübertragung virtuell gegenüber und sprechen über Digitalisierung. Wie hätten wir das Corona-Jahr überstanden ohne diese bequemen Videotelefonate mit Familie, Freunden und Kollegen?
Holger Volland: Wahrscheinlich sehr viel schwerer. Ich habe im letzten Jahr keine meiner Kolleginnen und Kollegen live gesehen, wir haben ab März alles über Technik gemacht. Und wir haben alle mitbekommen, welche Probleme damit einhergehen. Das Programm Zoom für Videokonferenzen wurde für ganz viele eines der wichtigsten Werkzeuge. Aber schon nach wenigen Wochen zeigten sich bei Zoom Probleme mit der Abhörsicherheit von Gesprächen. Die Probleme mit der Digitalisierung haben sich – ebenso wie der Nutzen – durch diese Corona-Zeit massiv verstärkt. Zum Glück hat diese schreckliche Pandemie dazu geführt, dass wir uns in Deutschland damit ernsthafter beschäftigen, als wir das über Jahre getan haben.
Sie sehen in unserem Land eine „riesige Kluft“ zwischen Gewinnern und Verlierern, die Corona „im Höllentempo“ vergrößert habe. Woran liegt das?
Volland: Fast jeder von uns hat ein Smartphone, wir alle nutzen Google Maps oder Soziale Netzwerke wie Facebook. Diese Dienste werden uns zum allergrößten Teil kostenlos angeboten. Das liegt daran, dass wir das Produkt sind. Wir zahlen mit unseren Daten dafür, dass Werbetreibende uns Werbung einspielen können. Wir nutzen alle diese Dienste, haben uns aber oft nicht ernsthaft damit beschäftigt, was diese Daten überhaupt wert sind und wie wir unser eigenes digitales Leben besser managen können. Wie kann ich Nutzen und Kosten besser abwägen? Zum Beispiel bei der Corona-Warn-App zwischen Datenschutz und Gesundheitsschutz. Solche Bewertungen können die meisten von uns gar nicht vornehmen, weil uns die nötigen Hintergründe fehlen. Und das vergrößert die Kluft derer, die Bescheid wissen und den Unwissenden, die aber tatsächlich schon Nutzer sind. Das führt zu einer gefährlichen Schieflage bei kleinen Entscheidungen, wie Apps, aber auch bei großen, wie der zukunftssicheren Berufswahl. Wir alle sollten uns deshalb um mehr digitales Wissen kümmern und dann selbstbewusste Entscheidungen treffen.
Lesen Sie auch:
- Whatsapp-Ärger:Das sind die besten Messenger-Alternativen
- Kein Fehler:Darum zeigt die Corona-Warn-App weniger Risikokontakte
- Kompass, Maßband und mehr:So wird das Handy zum Mess-Diener
In sozialen Netzwerken sorgen Algorithmen dafür, dass ich immer mehr von dem zu sehen bekomme, was mir gefällt und was meine Meinung bestätigt. Wie kann ich dieser Filterblase entkommen?
Volland: Indem Sie viele unterschiedliche Quellen nutzen, auch nicht-digitale Quellen. Jedes Lesen einer Tageszeitung sorgt dafür, dass Sie sich mit vielen Artikeln und Meinungen auseinandersetzen müssen, die nicht in Ihrer Filterblase sind. Das Ansehen einer Tagesschau im Fernsehen ist nicht personalisiert, sondern sorgt dafür, dass alle über einen gewissen Standard an Nachrichten verfügen. Bei vielen digitalen Angeboten lässt sich die Personalisierung auch ausschalten. Außerdem gehört dazu, dass man nicht jede Nachricht, die man in seinen digitalen Kanälen sieht oder weitergeleitet bekommt, für bare Münze nimmt. Oft sind auch Falschinformationen dabei, die mir zugespielt werden, weil ich, etwa aufgrund meiner politischen Einstellung, als besonders empfänglich markiert wurde für eine solche Botschaft.
Viele haben Geräte zuhause, die ständig mit dem Smartphone und dem Internet verbunden sind. Wann kann das eine Gefahr für unsere Privatsphäre sein?
Volland: Wissen Sie, ob Ihr Fernseher in der Lage ist, aufzuzeichnen, was Sie im Raum hören, was Sie sich auf dem Bildschirm ansehen? Übrigens auch private Videos oder Bilder? Wenn Sie das nicht wissen, ist jetzt eine gute Gelegenheit, um nachzuschauen: Welche Daten sammelt eigentlich diese unschuldig wirkende Kiste in meinem Wohnzimmer? So geht das quer durch alle Lebensbereiche. Vielleicht nutzen Sie einen Fitnesstracker, weil Sie sich davon erhoffen, dass Sie fitter werden. Aber Studien zeigen, dass Fitnesstracker meist nicht zu mehr Fitness führen. Sie geben aber extrem viele Daten über uns bekannt, bis hin zu den Routen, die wir täglich laufen. Das heißt: Der Nutzen für uns persönlich ist sehr gering. Der Preis, den wir zahlen – unsere Daten – ist aber sehr hoch. Will ich das trotzdem weiter nutzen oder ist mir der Preis zu hoch? Das sind Entscheidungen, die wir bei fast all unseren digitalen Geräten im Einzelfall treffen sollten. Auch interessant:So viel kann man durch digitale Helfer beim Heizen sparen
Welche Geräte bei mir im Haushalt könnten noch heikel sein?
Volland: Beim Discounter gibt es oft smarte Glühbirnen. Sie können die Lichtfarbe wechseln und man kann sie per Smartphone steuern. Tatsächlich ist eine solche harmlos wirkende Glühbirne ein kleiner Computer und über unser Smartphone mit unserem Wlan und dem Internet verbunden. Damit wissen die Glühbirnen oft auch das Wlan-Passwort oder auch den Standort, an dem sie sich befinden. Nimmt es nun der Hersteller dieser Glühbirne nicht so ernst mit dem Datenschutz, dann ist es für Hacker sehr einfach, diese Daten auszulesen. Darüber können sie dann versuchen, Zugang zu weiteren vernetzten Geräten in der Wohnung zu erhalten, etwa zum smarten Fernseher oder zum Saugroboter mit eingebauter Kamera. Das geht bis hin zu smarten elektrischen Zahnbürsten und zu vernetzten Küchengeräten. Die gute Nachricht: man kann diese Geräte und Saugroboter über die Apps auch so einstellen, dass sie nicht massenweise Daten in die Welt hinausschicken.
Auch interessant:
- Soundbeamer:Diesen smarten Lautsprecher hört nur einer im Raum
- Wissen für zwischendurch:Diese Lern-Apps machen schlauer
- Augmented Reality: Per Handykamera die Realität erweitern
Smartwatches können viele Werte wie Herzfrequenz, EKG oder den Blutsauerstoffgehalt recht gut aufzeichnen. Wird es normal, dass ich beim Arztbesuch meine Gesundheitsdaten schon mitbringe?
Volland: Das muss jeder Anwender für sich selbst abwägen. Ich habe mir selber eine solche Smartwatch zugelegt, von einem Anbieter, dem ich beim Datenschutz mehr vertraue als anderen. Ich habe mich aber im Vorfeld damit auseinandergesetzt, welche Daten diese Smartwatch an mein Handy und darüber dann auch wieder an den Anbieter zurücksendet. Ich habe für mich entschieden, dass mir der hohe persönliche Nutzen an dieser Stelle mehr wert ist als die Daten, die ich preisgebe. Tatsächlich hatte ich einen Fall, wo mir meine Smartwatch Herzstolperer angezeigt hat. Ich habe noch am selben Tag einen Termin bei einer Kardiologin bekommen, und zwar als Video-Sprechstunde. Ich habe ihr die Daten der Uhr geschickt und sie sagte: Sie werden jetzt nicht tot umfallen. Wir sollten uns das mal ansehen, das hat aber noch ein paar Wochen Zeit. Das hat mir den hohen Nutzwert dieses Systems gezeigt. Lesen Sie auch:Corona: So könnte eine Smartwatch volle Kliniken entlasten
Ersetzt die Künstliche Intelligenz immer mehr den Arzt?
Volland: Der Arzt wird hoffentlich unersetzlich bleiben. Als der menschliche Kontakt, den wir zur medizinischen Diagnose und Beratung haben. Aber Ärzte und wir selbst werden zunehmend auch auf diagnostische Methoden zugreifen, die digitale Technik und Algorithmen nutzen. Es gibt immer mehr Apps, mit denen man beispielsweise Hautveränderungen fotografieren kann. Und dann untersuchen Algorithmen dieser Anbieter, ob eine hohe Wahrscheinlichkeit einer bösartigen Veränderung vorliegt oder nicht.
Wie kann ich im digitalen Alltag fitter werden oder mir im Zweifel Hilfe holen?
Volland: Ironischerweise holen Sie sich diese Hilfe auch über digitale Kanäle. Es gibt unglaublich viele Kurse öffentlich zugänglich im Netz, auch ganz hervorragende von Universitäten etwa für die berufliche Weiterbildung. Auch für Alltägliches können wir leicht online prüfen, was all unsere Programme, Werkzeuge und Geräte können. Damit wir abwägen können: Was ist uns dieser Nutzen wert? Bevor wir beim Discounter die günstige smarte Glühbirne kaufen, einfach kurz recherchieren: Ist dieser Anbieter bekannt? Kann ich ihm vertrauen? Erst dann landet die Glühbirne im Einkaufswagen.
Zum Buch
„Die Zukunft ist smart. Du auch? 100 Antworten auf die wichtigsten Fragen zu unserem digitalen Alltag.“ Erschienen am 15. März im Mosaik-Verlag.
Zur Person
Holger Volland (50) ist Experte zum Thema Digitalisierung, Vortragsredner und Buchautor. Er studierte Informationswissenschaft und sammelt seit über 25 Jahren weltweit Wissen zum technologischen Wandel. Heute in der Geschäftsleitung von brand eins und früher als Vizepräsident der Frankfurter Buchmesse oder bei einer der ersten Multimediaagenturen, Pixelpark in Berlin und New York. Er baute das Kulturfestival THE ARTS+ auf.
Mehr zu Thema
- Unterhaltung, Homeoffice, Luftfilter:Das sind die neuen Highlights der Technikmesse CES
- Samsungs neue Smartphones:So schlagen sich die Samsung S21-Modelle im Praxistest
- Tablets für Senioren:So gelingt die Suche und der Einstieg