Berlin. Die Weideschlachtung ist eine Alternative zur Massenabfertigung der Fleischindustrie. Doch Auflagen und Kosten für Bauern sind hoch.
Der Jäger zielt dem Hochlandbullen zwischen die Augen. Dort muss er das Tier aus rund 50 Meter Entfernung treffen. Der Bulle trottet in seiner Herde über die Weide zwischen Waldrand und kleinem Flusslauf. Nebel verstärkt den Grasgeruch. Der Jäger drückt ab. Er benutzt einen Schalldämpfer, der Schuss verkommt zu einem stumpfen Schnalzen.
Der Bulle sackt bewusstlos zusammen – er ist betäubt. Die Herde stiebt auseinander, betrachtet das am Boden liegende Tier. Zwei Kühe brüllen schrill. Dann treibt Bäuerin Anja Hradetzky die Rinder zurück. Sie fangen wieder ruhig an zu grasen. Eine Traktorgabel zieht den betäubten Bullen an den Hinterbeinen in die Höhe. Der Jäger sticht mit einem langen Messer in den Hals und das dampfende Blut strömt in den bereitstehenden Bottich.
Der Bulle mit den grauen Locken im Fell stirbt auf der Weide von Anja Hradetzky. „Die Schlachtung ist nie wesensgemäß“, sagt sie. „Da müsste ein Wolf kommen und das Tier reißen, damit sie das wäre.“ Ihre Methode, sagt sie, komme möglichst nah an einen solchen Tod ran.
Weideschlachtung: Tod der Tiere soll so stressfrei wie möglich sein
Die Bio-Bäuerin, die mit Stolz Secondhandkleidung und mit Gleichgültigkeit zwei verschiedene Ohrringe trägt, betreibt mit ihrem Mann Lukas den Bio-Bauernhof „Stolze Kuh“ im brandenburgischen Stolzenhagen. Dort praktiziert sie eine spezielle Form der Weideschlachtung. Andere Bauern fangen die Rinder auf der Weide ein, fixieren sie und betäuben sie dann aus nächster Nähe mit dem Bolzenschuss. Hradetzky lässt ihre Tiere aus der Entfernung mit einer Kugel betäuben.
Der anschließende Tod auf der Weide soll den Rindern so viel Stress wie möglich ersparen. Kein Transport über Ländergrenzen zusammengepfercht mit fremden Tieren. Keine unbekannte Umgebung und Menschen, kein Sterben in weiß gekachelten, neonbeleuchteten Räumen voller Maschinen.
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Schlachten ist eine Frage des Geldes
Die Weideschlachtung ist der Gegenentwurf zur Massenabfertigung der Fleischindustrie. Wenn einzeln getötet wird statt am Fließband, sind dafür Aufwand und Kosten ungleich höher. Doch in Deutschland, wo an jeder Straßenecke ein Imbiss mit Burgern lockt und sich Discounter Preisschlachten liefern, ist Fleisch vor allem eins: billig.
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Damit das so bleibt, braucht es nicht nur die Massenproduktion in Schlachthöfen, sondern auch die intensive Tierhaltung, bei der maximal viele Tiere mit maximal viel Fleisch an den Knochen so schnell wie möglich herangezogen werden.
Für diese Tiere ist die Weideschlachtung gar nicht erlaubt. Möglich ist sie nur unter strengen Auflagen und auch nur für extensiv gehaltene Rinder. Dabei halten sich wenige Tiere auf einer großen Fläche das ganze Jahr im Freien auf. Auch zugefüttert wird in den meisten Fällen nicht.
Hradetzkys Hochlandrinder fressen ausschließlich Gras und Kräuter direkt von einer Weide des Hofes, die im Nationalpark Unteres Odertal liegt. „Es ist aber nun einmal Teil der Kooperation, dass auch mal eins sterben muss“, sagt Hradetzky.
Der Tod auf der Weide ist mit viel Papierkram verbunden
Zur Kooperation gehört auch die Betäubung per Kugelschuss. Für Hradetzky bedeutet das noch mehr Papierkram als für die ohnehin schon aufwendige Weideschlachtung, bei der die Tiere per Bolzenschuss betäubt werden. Das Veterinäramt muss eine allgemeine Erlaubnis und eine Genehmigung für jedes einzelne Rind erteilen. Auch der Jäger braucht für jedes Rind, das er schießt, eine Ausnahmegenehmigung. Ein Tierarzt zur Kontrolle vor Ort ist Pflicht.
„Da müssen alle Beteiligten genau wissen, wer was macht und wer welche Erlaubnis dafür braucht“, sagt Christine Bothmann, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte. Zu den Kosten für die extensive Aufzucht und den Jäger kommt die Gebühr für den Tierarzt. Großbetriebe können im Schnitt bis zu 700 Rinder am Tag schlachten. „Je größer und effizienter die Anlage in einem Schlachthof ist, desto günstiger ist der Einsatz des Veterinärarztes hochgerechnet auf Zeit und Tieranzahl“, erklärt Bothmann. Wenn der Tierarzt für ein einzelnes Rind irgendwo hinfahre, sei das nicht vergleichbar.
„Bis ich es beim Schlachter wieder abhole, zahle ich für das Fleisch 1500 Euro“, sagt Hradetzky. Für die Schlachtung und Verarbeitung im nächsten Großbetrieb in Teterow würde sie 105 Euro zahlen. Stattdessen bringt Hradetzky ihren toten Bullen zur nahe gelegenen Fleischerei Ortlieb, einem seit 150 Jahren bestehenden Familienbetrieb.
Bessere Fleischqualität durch weniger Stress?
Dort zerlegt Chef Ralf Ortlieb gerade ein Tier aus einer Intensivhaltung. Mit präzisen Schnitten löst er die Haut ab. Darunter bedeckt eine weiß glänzende Fettschicht den dicken Bauch. Hradetzkys extensiv gehaltener Bulle ist wesentlich schmaler. „Wenn man die intensiven Tiere nach der Schlachtung abhängen lässt, hat man einen Tag später eine Wasserpfütze drunter“, sagt Ortlieb. Bei den extensiv gehaltenen Tieren sei das nicht so. Hradetzky sagt: „Unser Fleisch ist halt nicht so schwabbelig.“
Studien belegen die Auswirkung von Stresshormonen auf das Fleisch und dessen Wasserbindung. Entscheidender für die Qualität des Fleisches ist jedoch die Reifung, sagt Tierärztin Bothmann. Die industrielle Schlachtung hätte sich nicht entwickelt, „wenn der Qualitätsverlust im Vergleich so dramatisch wäre“. Die entscheidende Frage sei für sie von ethischer Natur: „Wie wollen wir die Tiere auf ihrem Weg zum Lebensmittel begleiten, selbst wenn der Unterschied nicht schmeckbar ist?“
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Kunden wollen laut Umfrage mehr fürs Fleisch zahlen, tun es aber nicht
Die Politik hat ein gestiegenes Interesse der Gesellschaft am Tierwohl bei der Schlachtung immerhin registriert. Der Bundesrat hat Anfang Juni bei der Bundesregierung eine „Erweiterung der tierschutzgerechten Weideschlachtung“ gefordert. Der Deutsche Bauern- und auch der Fleischerverband sehen in der Weideschlachtung keine ernsthafte Alternative zur konventionellen Schlachtung. Dafür seien Aufwand und Kosten einfach zu hoch.
Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) waren 70 Prozent der Befragten bereit, mehr Geld für Fleisch im Gegenzug für bessere Tierhaltung auszugeben. Das Ministerium schränkt aber selbst ein, dass dies nicht unbedingt im Kaufverhalten umgesetzt wird.
Für ein Kilogramm Bio-Hack von Hradetzkys Hochlandrindern zahlt der Kunde 19 Euro, beim Discounter gibt es das Kilo Hack schon für gut fünf Euro. Die allgemeinen Kunden würden gern mit besserem Gewissen Fleisch essen. Ganz so viel wollen sie aber offenbar doch nicht dafür zahlen. Anja Hradetzky sagt: „Die Frage ist, ob das iPhone wichtiger ist und man sich dafür Mist reinstopft.“
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