Berlin/Leipzig. Konzerte sind laut einer Studie auch in Pandemie-Zeiten möglich. Aber: Hygienekonzepte und vor allem die Belüftung müssten stimmen.
Während Deutschland sich auf den Wellenbrecher-Lockdown vorbereitet, kommt aus der Wissenschaft eine Nachricht, die Hoffnung macht: Größere Veranstaltung wie Konzerte in einer Halle seien auch in Zeiten der Corona-Pandemie möglich - sogar bei Inzidenzzahlen von über 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner.
Das Infektionsrisiko, das davon ausginge, sei sehr gering, so das Ergebnis einer Studie unter Leitung der Universitätsmedizin Halle. Voraussetzung dafür sei aber ein klares Hygienekonzept, reduzierte Besucherzahlen und vor allem: eine gute Belüftung der Halle. Bei schlechter Luft gingen von Hallenveranstaltungen eine große Gefahr aus.
Konzerte trotz Corona: Drei Szenarien wurden durchgespielt
Studienleiter Stefan Moritz stellte am Donnerstag die Ergebnisse des Projekts „Restart 19“ vor. Dabei war ein Konzert von Sänger Tim Bendzko in der Arena Leipzig wissenschaftlich untersucht worden. Drei Szenarien spielten die Forscher durch. Szenario eins war ein Konzert ohne Berücksichtigung der Pandemie, die Szenarien zwei und drei arbeiteten mit Abständen, neuen Einlassregeln, reduzierten Zuschauerzahlen oder abgewandelten Catering-Konzepten.
1500 Zuschauer waren im August gekommen. Sie waren zuvor auf das neuartige Coronavirus getestet worden. Eine Person wurde positiv getestet und durfte nicht anreisen, alle andern waren nicht infiziert. Sie trugen partikelfiltrierende Masken. Ihre Kontakte wurden mit sogenannten Tracern gemessen, die eine gigantische Datenmenge einsammelten.
Alle Abstände wurden auf 20 Zentimeter genau festgehalten, um Kontakt- und Bewegungsprofile zu erstellen. Hygienebetreuer achteten auf die Einhaltung der Regeln.
Luftströme im Modell rekonstruiert
Darüber hinaus wurde das Lüftungskonzept und der daraus resultierende Luftstrom samt Aerosolverteilung in der Arena simuliert. Das Modell schleuste 24 Infizierte in eine 4000 Menschen zählende Zuschauermenge ein und platzierte sie an verschiedenen Orten in der Halle.
Am Ende wurden Kontakte und Aerosolverteilung ausgewertet und in ein Gesamtkonzept übertragen. Dann wurde ausgewertet, wie sich eine Großveranstaltung in einer Halle auf das Infektionsgeschehen in einer 600.000-Einwohnerstadt auswirken würde. Dazu wurden epidemiologische Rechenmodelle angewendet.
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Fünf Monate hat es von der Idee bis zur Vorstellung der Ergebnisse gedauert. Die Studie ist bei einem Fachmagazin eingereicht, sie ist aber noch nicht von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überprüft worden. „Wir haben uns entschieden, dies hier heute vorzustellen, weil es darum geht, einen raschen gesellschaftlichen Nutzen aus der Studie und den Ergebnissen ziehen zu können“, sagt Michael Gekle, Dekan der medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Große Seen aus infektiösen Aerosolen
Die stärkste Aussage der Arbeit des Forscherteams um Stefan Moritz ist die Bedeutung einer guten Lüftung. Bei der Modellierung mit einer schlechten Belüftung „war plötzlich ein Drittel einer gesamten Zuschauertribüne rot“, sagt Moritz. Es seien riesige Seen aus potenziell infektiösen Aerosolen entstanden. Viele Menschen hätten dabei über lange Zeit die von einem Infizierten ausgestoßenen Aerosole eingeatmet. „Bei einer schlechten Lüftung gibt es ein erhebliches Ansteckungsrisiko“, sagte Moritz.
Der Epidemiologe Prof. Rafael Mikolajczyk bekräftigte, dass das Risiko, das für eine Bevölkerung von einer Konzert-Veranstaltung ausgehe, überschaubar sei. Wenn das Infektionsgeschen in der Stadt niedrig bis mittel sei und es gleichzeitig ein Hygienekonzept mit Abständen, Maskenpflicht, Sitz- wie Einlassplänen gebe. Unterm Strich, so der Infektiologe, könne ein Konzert die Pandemie in einer Region nur dann treiben, wenn all dies nicht stimme. Dann allerdings sei sie ein echtes Risiko. Lesen Sie dazu auch: Wie man richtig lüftet
Unterm Strich präsentierten die Forscher einen Katalog an Empfehlungen: Wichtig sei, dass Veranstaltungshäuser eine gute Belüftungstechnik bekommen, die einen regelmäßigen Raumluftaustausch möglich machen. Sinnvoll sei hier die Erstellung eines allgemeingüligen Bewertungssystems für eine adäquate Raumlufttechnik. Hier müssten viele Hallenbetreiber vermutlich Geld investieren. Lesen Sie dazu auch: So funktionieren Lüftungsgeräte
Maskenpflicht und keine Stehplätze
Darüber hinaus müssten - so lange die Pandemie anhält - Hygiene-Konzepte weiterhin angewendet werden: Maskenpflicht in der Halle beim gesamten Konzert, Hygiene-Stewards zur Einhaltung der Standards, so Stefan Moritz. Der Bestuhlungsplan und somit die Gästezahl sollten an die Inzidenz angepasst werden. Generell gelte es Zuschauerzahlen und Zahl der Veranstaltungen in einer Region zu reduzieren. Stehplätze sollte es nicht geben.
Als Zugang zu den Veranstaltungsorten sollten mehrere Eingänge vorhanden sein, um Besucherströme zu lenken, Wartezonen sollten ins Freie verlagert werden. „Beim Ein- und Auslass gab es unseren Ergebnissen zufolge viele Kontakte, das wird so reduziert“, sagt Moritz. Während der Veranstaltung sollte an den Sitzplätzen gegessen werden, um Gedränge und lange Kontakte an Imbiss-Ständen zu vermeiden.
Die Pandemie werde noch lange anhalten, sagte Dekan Michael Gekle. Nach dem „Lockdown light“ müsse die Politik nun entscheiden, wie es mit den Konzerten und anderen Veranstaltungen weitergehen könnte. Die Wissenschaft habe evidenzbasierte Erkenntnisse dazu beigetragen, „jetzt muss um Lösungen gerungen werden“, so Gekle. Er selbst halte es mit einer Erkenntnis der Band „Die Toten Hosen“. Die hätten einmal gesagt: Keine Kultur ist keine Lösung.
Bei dem Konzert im August hatte Star Tim Bendzko betont, wie sehr Künstler, Hallenbetreiber, aber auch Bühnentechniker und tausende andere Arbeitnehmer, die in der Veranstaltungsbranche ihr Geld verdienen, unter den Folgen der Corona-Pandemie litten. Wenn das noch lange so weitergehe, so Bendzko damals, würden viele Menschen in die Pleite rutschen. Die Veranstaltungsbranche ist nach Angaben von Künstler und Schlagerstar Roland Kaiser die sechstgrößte in Deutschland. Sie setzt pro Jahr mehr als 100 Milliarden Euro um.
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