Berlin. Innere Zufriedenheit können Menschen auch dann finden, wenn der Körper bereits abbaut. Expertinnen und Experten erklären wie genau.

Das Alter ist nichts, worauf man sich gemeinhin freut. Alt werden wollen die meisten. Aber alt sein? Viele assoziieren damit Gebrechen, Gedächtnisprobleme, Krankheit – kurz: Verfall. Doch es gibt eine gute Nachricht: Das Alter birgt auch große Chancen. Denn irgendwann ist man wieder alt genug, um glücklich zu sein.

Statistisch gesehen ist der Mensch in der Mitte seines Lebens am unglücklichsten. Tobias Esch, Arzt, Neurowissenschaftler und Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke, setzt sich in seiner Forschung vorrangig mit dem Thema Glück auseinander.

Er spricht von einer „U-Kurve des Glücks“. Diese entwickle sich von eher kurzfristigen Glücksmomenten in der Jugend im Laufe der Jahre zu einer eher gelassenen Grundzufriedenheit im höheren Alter. Dazwischen – meist im Alter zwischen 30 und 59 Jahren – stecken die Menschen oft in einem „Tal der Tränen“, wie Esch es nennt: Stress, Verantwortung, Verpflichtungen, Sinnsuche – und der Ausblick auf das Altern.

Das bestätigt auch ein Forschungsprojekt von Esch und seinem Team mit mehr als 3000 Teilnehmern. „Wenn man junge und mittelalte Menschen fragt, was ein glückliches Leben ausmacht, dann hört man sehr viele Dinge. Unter anderem auch die Vorstellung, dass Glück maßgeblich von der eigenen Gesundheit abhängt“, so Esch.

Studie beweist: Viele stehen dem eigenen Glück im Weg

„Wir sehen aber in der Forschung, dass sich Menschen, wenn sie älter werden, von der Vorstellung emanzipieren, immer gesund sein zu müssen.“ Das ermögliche am Ende eine höhere Zufriedenheit oder ein höheres Glücksgefühl. Davor stehe man sich gedanklich selbst im Wege.

Auch wenn es komisch klingt, für Esch ist ein Glücksgarant, einfach durchzuhalten und alt zu werden – oft komme das Glück dann von ganz allein. Gleichzeitig ist Altwerden nichts, was romantisiert werden sollte. Der eingangs erwähnte Verfall ist nicht von der Hand zu weisen: „Allem voran orthopädische Probleme nicht nur durch Sturz, sondern auch durch den normalen Altersverschleiß“, erklärt Richard Dodel, Leiter des Lehrstuhls für Geriatrie der Universität Duisburg-Essen und Chefarzt am Geriatriezentrum Haus Berge.

Weitere vorrangige Probleme seien Tumorerkrankungen und kognitive Störungen. „Nicht vergessen sollte man außerdem die Depression und die Einsamkeit“, so Dodel. Auch diese gehörten zu den wichtigsten Sterblichkeitsfaktoren bei Menschen über 80 Jahre.

Glücksempfinden geht über Gesundheit hinaus

„All das sind natürlich Faktoren, auf die man nicht vorbereitet wird, wenn man jung ist“, so der Geriater. „Man begegnet ihnen plötzlich, wenn man ein gewisses Alter überschritten hat.“ Und sie beeinträchtigten die Lebensqualität.

Dass dadurch aber das Glücksgefühl eines Menschen infrage gestellt würde, sieht auch der Geriater nicht. „Für mich als Arzt wäre das eher eine Beeinträchtigung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Glücksempfinden über das eigene Leben ist mehr, weil hier so viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen.“

Eine positive Grundhaltung zum eigenen Alter beeinflusse viele gesundheitliche Einschränkungen positiv, so Dodel. Das sehe er täglich bei der Arbeit. Selbst bei geistigem Abbau könne eine solche positive Einstellung den Verlauf und den Umgang bis in die fortgeschrittenen Stadien beeinflussen.

Glück im Alter: Beziehungen pflegen, Sport treiben, Rauchen aufgeben

Diese Erkenntnisse bedeuten im Umkehrschluss indes nicht: einfach entspannen und abwarten. Es gibt Dinge, die jeder selbst tun kann, um seinem Glück auch für später auf die Sprünge zu helfen: Beziehungen pflegen, Sport treiben, das Rauchen aufhören, sich mit jungen Menschen umgeben und sich auf diese einlassen, Neues ausprobieren.

Vieles davon beschreibt auch Bestsellerautor und Glücksforscher Florian Langenscheidt in seinem neuen Buch „Alt genug, um glücklich zu sein“, das er gerade zusammen mit Co-Autor André Schulz und mit Gastbeiträgen von Experten zu Themen wie Selbstständigkeit oder Altersarmut veröffentlicht hat.

Auch er ist davon überzeugt, dass man im Sinne einer sogenannten Self-fulfilling Prophecy, also einer sich selbsterfüllenden Vorhersage, vieles mit einer positiven Grundhaltung beeinflussen kann. „Sie bedeutet, vier bis fünf Jahre länger und auch besser zu leben“, so Langenscheidt.

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    Veränderungen annehmen und als Chance verstehen

    Außerdem betont er, wie wichtig es ist, die richtigen Menschen um sich zu haben. „Hier sollte man sehr selektiv sein und sich auf die Menschen konzentrieren, die einem wirklich wichtig sind und für diese alles geben, immer für sie da sein.“

    Ein weiterer Tipp Langenscheidts: „Wir sollten Veränderungen umarmen und an jeder Ecke des Lebens die Chance wahrnehmen, sich unbefangen mit neuen Dingen zu beschäftigen.“ Das falle vielen älteren Menschen schwer. Aber wenn man es schaffe, sei viel gewonnen.

    Auch Dankbarkeit und die Fähigkeit, loslassen zu können, sind für den Autor mit Blick auf glückliches Altern essenziell. „Es ist einfach so, dass irgendwann einige Dinge nicht mehr so gut funktionieren“, so Langenscheidt. Es helfe, sich auf das Positive zu fokussieren, um nicht zu verbittern.

    „Dann wären da noch frische Luft, ausreichend Bewegung, Humor, Gelassenheit“, zählt Langenscheidt auf. Er könnte die Liste unendlich fortsetzen. 100 kleine und große Tipps hat er in sein Buch aufgenommen.

    Auch im Alter: Optimierungszwang vermeiden

    Dass man auch tatsächlich glücklich wird, wenn man nur alle Tipps beachtet – so einfach ist es leider nicht. „Aber man kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, glückliche Momente zu haben, wenn man bestimmte Dinge beachtet. Mit der Zufriedenheit im Alter ist das, glaube ich, ähnlich“, resümiert Langenscheidt.

    Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und seinem Körper etwas Gutes zu tun, empfiehlt auch Glücksforscher Esch – mit einer Einschränkung: „Man sollte das nur für sich machen und nicht, weil man meint, sich optimieren zu müssen. Das geht nach hinten los“, warnt Esch. Aber auch diese Erkenntnis komme mit dem Alter meist von ganz allein.