Berlin. eSport-Profis wie Elias Nerlich können vom Fifa-Spielen an der Konsole gut leben. Doch wie wird man eSport-Profi? Ein Trainingsbesuch.
Wenn Elias Nerlich zum Training kommt, darf er erstmal einen Stapel Fanpost durchforsten. Auf dem Weg zum Trainingsgelände hat er gerade erst wieder Selfie-Wünsche von Fans erfüllt, die ihn erkannt und angesprochen haben.
Als er vor zwei Jahren beim Fußballklub Hertha BSC unterschrieb, wusste er nicht einmal, wie man auf der Videoplattform Youtube überhaupt ein eigenes Konto erstellt. Heute folgen seinen Kanälen bei Youtube, Instagram, Twitch und Co. eine halbe Million Menschen – vorwiegend zwischen zwölf und 20 Jahre jung. Die Generation Z.
Elias Nerlich hat einen nicht gerade alltäglichen Profivertrag. Wenn die medial bekannteren Fußballprofis von Hertha BSC auf dem satten Rasen des nahe gelegenen Trainingsplatzes gegen den Ball treten, trainiert der 22-Jährige mit fünf Teamkollegen im ersten Stock der Hertha-Geschäftsstelle in Berlin.
Fifa-eSport-Profi werden: Was steckt dahinter?
Sein Arbeitsgerät, das er blind beherrscht, ist ein Gamepad mit einem Dutzend Tasten und zwei Hebelchen. Damit steuert er seine Fußballer auf dem Bildschirm vor sich virtuos zu möglichst vielen Siegen. Elias Nerlich ist eSport-Profi in Vollzeit, einer der bekanntesten in Deutschland, wenn es um das populäre Fußball-Videospiel „Fifa“ geht. Nach dem Abitur hat er sein Hobby komplett zum Beruf gemacht und sagt heute: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“
Die Games-Branche boomt. Ihr Gesamt-Umsatz ist 2019 hierzulande auf über sechs Milliarden Euro gewachsen. Die Fifa-Reihe von US-Hersteller EA Sports ist das erfolgreichste Sportvideospiel weltweit. In Deutschland war das aktuelle „FIFA 20“ die mit Abstand meistverkaufte Neuerscheinung des Jahres 2019. Mehr als 1,5 Millionen Exemplare allein in den ersten drei Monaten.
Millionen Fans spielen die Simulation Zuhause an der Konsole oder am PC, gegen den Computer oder online gegen Freunde. Auf der Spielemesse Gamescom, die vergangenes Jahr in Köln noch rund 370.000 Besucher zählte und die in diesem Jahr ab Donnerstag Corona bedingt als Geisterspielemesse rein digital stattfindet, wird neben anderen Spiele-Highlights der neue Titel „Fifa 21“ gezeigt, der im Oktober erscheint.
Wer „Fifa“ aber ambitioniert spielen und zum obersten Prozent gehören will, der muss trainieren wie ein echter Fußballprofi. Und kann mit Talent und einer Portion Glück heute sogar gut davon leben.
Wie groß ist die Chance, eSport-Profi in der Bundesliga zu werden?
Vor allem viele Jungs wissen das. Sie folgen ihren erfolgreichen Idolen virtuell bei Youtube oder Twitch und eifern ihren gekonnten Spielzügen und Tricks auf der eigenen Konsole nach. Sicher träumt der ein oder andere auch davon, einmal eSport-Profi zu werden – was nicht selten für abschätziges Augenrollen bei den Eltern sorgt. Aber wie wird man eigentlich eSport-Profi? Wie sieht der Alltag als eSportler aus? Und kann man tatsächlich davon leben?
Wer in Deutschland professionell Fifa spielen möchte, der muss um einen Platz in einem der 22 Profiteams kämpfen, die in der Virtuellen Bundesliga (VBL) um den Meistertitel im Team und im Einzel spielen. Schalke 04, Werder Bremen, Bayer Leverkusen: Etliche Vereine aus der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga schicken dort ihr eigens gegründetes eSport-Team an den Start. Dem Deutschen Meister im Einzel, der bis auf diese Saison in einer großen Halle vor Publikum ausgespielt wird, winken am Saisonende 25.000 Euro Preisgeld.
Hertha BSC hat 2018 als erster Verein eine eigene eSport-Akademie gegründet. Dort will der Klub – statt ein Team zusammenzukaufen – Talente aus der Region entdecken und ausbilden. Zwei von ihnen sind Elias Nerlich (22) und Christoph Strietzel (20), die Hertha in der VBL vertreten. In Herthas eSport-Akademie zocken die sechs Talente zwischen 16 und 22 Jahren keineswegs stundenlang nur am Bildschirm.
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eSport-Akademie: So bildet Hertha BSC Fifa-Talente an der Konsole aus
Die Ausbildung fußt auf drei Säulen: Neben dem Training an der Playstation und der Xbox und Videoanalyse mit Trainer Daren Framke nimmt der Bereich Ernährung und Fitness eine feste Rolle ein. Den Spielern stehen neben einem Fitnessraum Ernährungsberater zur Seite, in der hauseigenen Küche kocht man gemeinsam.
Als dritte Kompetenz werden die eSportler fit gemacht für die sozialen Medien. Für professionelle Videos und Streaming-Sendungen wurde eine Studioecke eingerichtet. „Wir schulen das von der Pike auf: Wie formuliere ich einen Tweet, wie trete ich bei Instagram gut auf, wie schneide ich ein Video, wie baue ich einen Youtube-Kanal auf“, sagt Maurice Sonneveld.
Er hat als Leiter für Digitalthemen bei Hertha die eSport-Akademie mit aufgebaut und kennt die Vorurteile gegenüber eSportlern: Zocken auf dem Sofa bei Pizza und Cola. Die Realität sieht komplett anders aus, sagt Sonneveld. „Man muss auch körperlich topfit sein. Es geht viel um Hand-Auge-Koordination. Hundertstelsekunden können über Sieg oder Niederlage entscheiden.“ Da es für keinen eSportler gesund sei, stundenlang zu spielen zeigt ein Fitnesstrainer den Talenten etwa, wie man bei langer Zeit auf dem Gamingstuhl Körper und Hände entlasten kann.
Wie viel muss ein eSport-Profi an Playstation und Xbox trainieren?
Wenn das neue Fifa-Spiel jährlich im September erscheint, trainieren Vollprofis wie Elias Nerlich bis zu acht Stunden täglich an der Konsole. Wie hat sich die Spielmechanik verändert? Mit welchen Spielzügen und Schussvarianten komme ich dieses Jahr am besten zum Torerfolg? Ab dem Winter starten Qualifikationsturniere. Richtung Mai geht es in die entscheidende Phase: Bei der Finalrunde um die Deutsche Meisterschaft.
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Auf dem virtuellen Rasen müsse man sich in Millisekunden auf neue Situationen einstellen, sagt Christoph Strietzel. „Du musst immer einen Schritt voraus sein und das Spiel lesen können.“ Sein Teamkollege nickt. „eSport ist auf jeden Fall Stress für die Psyche“, sagt Elias Nerlich. An manchen Wochenenden spielt er bei Turnieren acht Stunden lang am Stück unter höchstem Leistungsdruck. Jeder Fehler kann entscheiden. „Wenn du nicht ablieferst, bekommst du auch manchmal was zu hören“, sagt er.
Auch eSportler haben Fans und Druck
Druck machen ihm auch eSport-Medien und Fans. „Wenn du alles gewinnst, bist du der Held, wenn du verlierst, bist du der Buhmann.“ Um den Druck in positive Leistung umzuwandeln, arbeitet die Akademie mit Mentaltrainern zusammen. Bei Elias bleibt abseits von Training und Turnieren die Konsole aus. Dann stehen Fitness, Freunde und Kochen auf dem Plan.
Neben dem Training füttert Elias Nerlich seine Social Media Kanäle. Sein Spitzname ist „Eligella“. Mit selbst produzierten Videos und kurzen Postings aus seinem Leben als eSportler baut er sich seine inzwischen stattliche Community auf. Die Reichweite macht ihn interessanter für Werbepartner und Fans, die ebenfalls Geld einbringen.
eSport-Profi und Studium: Wie lässt sich das vereinbaren?
Da wo Elias schon ist, will Teamkollege Christoph Strietzel noch hin. Der 20-Jährige ist gerade erst zu Hertha BSC gewechselt. Für ihn als Hertha-Fan und Berliner ein echter Glücksfall. „Jeder Junge träumt als Fan im Stadion davon, mal für seinen Verein arbeiten zu können. Jetzt sogar als eSport-Profi bei Hertha, das ist schon ein kleiner Kindheitstraum.“
Wie Elias Nerlich kickte er vor neun Jahren das erste Mal auf der Konsole. Beide merkten schon früh, dass sie besser sind als alle im Freundeskreis und viele der Gegner im Internet. Mit 16 hat es Christoph erstmals ins Finalturnier um den deutschen Meistertitel geschafft – und landete gleich unter den Top acht.
Jetzt will er für seinen Heimatverein Erfolge erringen, auch international. Er plant aber auch schon für die Zukunft, falls der Erfolg am Controller nachlässt. Er studiert Sportmanagement im Fernstudium. Auch Elias plant ein Studium.
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Wie lang geht eine Karriere als eSportler?
Dieser Spagat zwischen Ausbildung und Erfolg ist Hertha „sehr wichtig“, sagt Digital-Leiter Sonneveld. „Wir haben bei jedem unserer eSportler einen engen Draht zu den Eltern, zu den Schulen oder den Unis und achten darauf, dass das mit dem eSport in Einklang steht.“
Vom eSport könne man eine Zeitlang leben. Doch der reaktionsschnelle Sport setze natürliche Grenzen. „Die liegen teilweise sogar in jüngeren Jahren als bei den Fußballern.“ Die meisten eSport-Profis sind zwischen 17 und 25 Jahren.
Was verdienen eSportler?
In dieser kurzen Zeit können die wenigen Profis vom eSport gut leben, die besten sogar sehr gut. Zum Gehalt kommen bei großen Turnieren bis zu fünfstellige Preisgelder. Dem Weltmeister winkt sogar eine Viertelmillion Dollar. Hinzu kommen persönliche Sponsoren und Einnahmen durch Youtube, Twitch und andere Plattformen.
„Der eSport ist schon extrem groß geworden“, sagt Herthas eSport-Manager Dennis Krüger. Sogar TV-Sender zeigen inzwischen Fifa-Partien der Vereine live. Setzt sich der Trend so fort, sehen Herthas eSport-Verantwortliche noch enormes Potenzial.
In Herthas eSport-Akademie haben sie eine Vision: In wenigen Jahren soll der Fifa-Weltmeister auf der Konsole ein Talent sein, das in der Region entdeckt und hier im Trainingszentrum ausgebildet wurde. Elias Nerlich und Christoph Strietzel trauen sich das zu.
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