Vom Wilden Westen zum Virtuellen Westen, Sommerreise durchs Silicon Valley, Teil 2: Hier wird das Auto neu erfunden. Doch das bringt auch Probleme.
San Francisco. Palo Alto, das Epizentrum der Innovation im Silicon Valley. Etwas abseits – zwischen einer Wohnsiedlung und einem Highway – liegt der Jerry Bowden Park. Neben schattigen Rasenflächen, auf denen Menschen ihr Mittagsschläfchen halten und einem Kinderspielplatz mit lärmenden kleinen Zuckerbergs der Zukunft macht es plötzlich „Rrrun“! So heißt die Betonskulptur der kalifornischen Künstlerin Marta Thoma, die hier fest auf einem Sockel verankert ist und einem dennoch mit Vollgas in den Sehnerv fährt.
Das Kunstwerk: Einem Auto wachsen menschliche Beine aus dem Bodenblech und es beginnt zu laufen. Mein erster Gedanke: Wer macht dem Auto eigentlich wirklich Beine – hier im Silicon Valley? Von Google hat man gehört, von dem fahrerlosen Auto, das jetzt schon einige mutige Menschen getestet haben. Sie waren begeistert. Wenig begeistert dürfte davon wohl ein Teil der Versicherungsbranche sein – denn wo kein Fahrer, da auch keine Fahrerversicherung.
Und wo Autos fahrerlos umherfahren können, werden es auch Parkhäuser in Zukunft schwer haben. Disruptive, unterbrechende, zerstörende Innovation nennt man so was. Beine werden dem Auto aber nicht nur bei Google gemacht, sondern auch im ländlichen Teil von Palo Alto.
Man fährt südlich aus der Stadt heraus, leicht hügelige, trocken Landschaft. Auf der Deer Creek Road fällt der Blick rechts auf eine idyllische Pferderanch. Pferd...Pferdestärken...vielleicht war dies die Inspiration für Elon Musk (der vorher schon Paypal gegründet hatte), als dieser 2003 einen Ort für sein Tesla-Headquarter suchte und es 2003 in direkter Nachbarschaft zu Ranch-Verwalterin Giselle Turchet und ihren Pferden fand.
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Tesla macht dem Auto ebenso Beine wie Google – als Vorreiter im Bereich der Elektrofahrzeuge. Dabei hat sich sein Jahresabsatz in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht. In dem er vieles anders macht als andere. Beispiel Patente: Wie Musk in einem Blogeintrag schreibt, sind Patente von gestern. Er meint, man solle eigene Patente selbst durch neue Innovationen ad absurdum führen. Eine Wand mit gerahmten Patenturkunden hat er deshalb schon mal einreißen lassen. Und ist das Auto überhaupt noch ein Auto nach traditioneller Denke?
Das Tesla Model S hat sich seit seiner Markteinführung 2012 äußerlich nicht verändert – eigentlich ein No-Go in dieser Branche, in der man regelmäßig mit neuen Design auftrumpfen muss. Dafür sieht Tesla das Auto aber als eine Art „Mobiles Endgerät“ – vergleichbar mit einem Smartphone oder Tablet, das regelmäßig mit neuen Software-Updates versorgt wird. Kontinuierliche Verbesserung während das Auto unterwegs ist, das ist eine völlig neue Denke!
Google, Tesla – aber wo sind die tatsächlichen Erfinder des Automobils? Wo sind Mercedes, Audi und Volkswagen? Sind Internetunternehmen wie Google heute agiler bei der Weiterentwicklung des Autos als die Erfinder selbst? Gute Nachricht: Sie sind da. Schlechte Nachricht: Wirklich vorantreibend agieren sie nicht. Volkswagen sitzt in Belmont, Mercedes-Benz in Sunnyvale. Ford - immerhin Erfinder des Fließbands, des Mindestlohns für Arbeiter und des Masseprodukts Auto, findet man nur schwer.
Das Ford Silicon Valley Lab sitzt „400 Hamilton Avenue“ in Palo Alto - einem modernen Backsteingebäude – aber nirgends gibt es auch nur ansatzweise einen Hinweis auf das Unternehmen, geschweige denn die berühmte blaue Ford-Pflaume. Aber: Man ist da, und forscht man zum Thema Software und Materialien. Mercedes-Benz hat zuhause in Deutschland mit car2go immerhin wegweisend agiert und hier in den USA mit „Boost bei Benz“ für Aufsehen gesorgt (einer Art High-Class-Schulbus-Dienstleistung).
Aber sind das nicht alles Nebenkriegsschauplätze im Vergleich zur Neuerfindung des Autos? Die Empfehlung „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ – den eingeschlagenen Weg niemals zu hinterfragen, sich besser nicht neu zu erfinden – könnte so zum Wirtschaftskiller des 21. Jahrhunderts werden. Nicht mal die Künstlerin Marta Thoma brauchte einen Schuster – die Füße ihres Kunstwerks sind nackt.
Gerriet Danz ist Innovationsexperte und Hamburger aus Leidenschaft. Im Silicon Valley erforscht er die Innovationskultur erfolgreicher Unternehmen und aufstrebender Startups. Danz ist außerdem Lehrbeauftragter an der Steinbeis Hochschule Berlin, Mitglied der German Speakers Association (GSA) und der Global Speakers Federation (GSF). Er berät Unternehmen und Institutionen wie z.B. das Europäische Patentamt.