Führungskräfte leiden trotz höherer Verantwortung weniger unter Stress als ihre Mitarbeiter. Kontrolle scheint den Druck offenbar abzufangen.
Washington. Das Bild des gestressten Managers muss offenbar revidiert werden: Denn Führungskräfte sind trotz ihres meist sehr anspruchsvollen Jobs nicht mehr, sondern eher weniger gestresst als Menschen ohne Mitarbeiterverantwortung. Das haben US-Forscher jetzt entdeckt, als sie die Stresshormonspiegel von Freiwilligen aus verschiedenen Positionen und diversen Führungsebenen im öffentlichem Dienst und beim Militär untersuchten. Entscheidend scheint das Gefühl für Kontrolle zu sein: Da Führungskräfte häufig mehr entscheiden können, haben sie eher das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Das wiegt dann andere Stressfaktoren auf, schreiben Gary Sherman von der Harvard University und seine Kollegen im Fachblatt „PNAS“.
Ein hohes Stressniveau gilt als typisch für den Arbeitsalltag eines Managers: Die Ansprüche an ihn steigen ständig, während die verfügbaren Ressourcen normalerweise nicht in gleichem Maß zunehmen - ein klassischer Stressfaktor. Diese Annahme spiegelt sich unter anderem darin wider, dass seit einigen Jahren das Angebot an Anti-Stress-Coachings und Methoden des Stressmanagements stetig zunimmt. Doch möglicherweise zielen diese Programme gar nicht in die richtige Richtung, legt nun die neue Studie nahe.
Sowohl psychologische als auch physiologische Daten erfasst
Sherman und seine Kollegen hatten Teilnehmer eines Weiterbildungsprogramms für Führungskräfte, speziell aus dem öffentlichen Dienst und dem Militär, mit einer zufälligen Auswahl von Arbeitnehmern und Selbstständigen aus dem Großraum Boston verglichen. Die Teilnehmer wurden als Führungskraft registriert, wenn sie Verantwortung für Mitarbeiter trugen. Alle sollten in einem Fragebogen angeben, wie stressig und belastend sie ihren Arbeitsalltag empfanden. Zusätzlich gaben sie Speichelproben ab, in denen die Forscher die Menge des Stresshormons Cortisol bestimmten.
Überraschenderweise lagen die Werte der Manager sowohl beim Cortisol als auch beim subjektiv empfundenen Stress unter denen der Vergleichsgruppe, wie die Auswertung ergab. Um diesen Effekt besser zu verstehen, schlossen die Wissenschaftler eine zweite Studie an, in der sie ausschließlich Führungskräfte erfassten – in diesem Fall jedoch aus unterschiedlichen Managementebenen. Registriert wurden die Gesamtzahl an Untergebenen, der Grad an Autorität der Führungskraft und die Anzahl der Mitarbeiter, die dem Manager direkt unterstellt waren.
Entscheidender Faktor ist das Gefühl der Kontrolle
Wieder zeigte sich: Je höher der Rang einer Führungskraft, desto geringer waren der subjektive und der gemessene Stress. Ausnahmen gab es jedoch dann, wenn der Manager sehr vielen Mitarbeitern direkt Anweisungen geben musste, ohne die Aufgaben delegieren zu können. Das Forscherteam schlussfolgert aus diesen Ergebnissen, dass das Gefühl von Kontrolle dem Stress entgegenwirkt und ihn zumindest zum Teil abpuffern kann. Allerdings lasse sich aus den vorliegenden Daten nicht ablesen, ob die geringere Stressbelastung der Führungskräfte tatsächlich dem Job geschuldet sind oder einfach eine bestimmte persönliche Veranlagung widerspiegeln, die erst dazu geführt hat, dass jemand eine Führungsposition erreichen konnte.
Die Befunde passen aber zu dem, was sich in früheren Studien bereits in Versuchen mit Affen gezeigt hat: Auch hier geht ein höherer Rang in der Gruppenhierarchie häufig mit einem eher niedrigen Cortisolspiegel einher. Das gelte vor allem dann, wenn es nur wenig Konkurrenz um die Führungsposition gebe, erläutern die Forscher. Ein solches Szenario passe sehr gut zur aktuellen Studie, da die meisten der untersuchten Führungskräfte ebenfalls einen recht sicheren, stabilen Job innehatten. Als nächstes soll nun untersucht werden, ob weniger Stabilität oder mehr Konkurrenz im Unternehmen einen Einfluss auf den beobachteten Zusammenhang haben.