Berlin. Der Start jeder Beziehung birgt eine große Gefahr – selbst für Paartherapeuten. So haben sie es geschafft, nicht in ein Loch zu fallen.
Meiner Frau und mir erging es wie allen Paaren: Wir tauchten zu Beginn in die klassische erste Phase einer Paarbeziehung: die Phase der Verliebtheit. Schwierigkeiten, Hindernisse spielten keine Rolle. „Wir schaffen das“ war unsere Devise. Aufgrund unseres beruflichen Hintergrundes waren wir uns beide jedoch irgendwie im Klaren, was nun passieren würde: Wir würden in eine Falle hineinlaufen.
Die Falle der rosaroten Brille:
- grandiose Gefühle
- ausufernde Sexualität
- grenzenlose Kompromisse
Das Leben – ein einziger Endorphin- und Oxycitinrausch.
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Start jeder Beziehung birgt eine große Gefahr – Frauen haben Vorteile
Interessanterweise war es meine Frau und Kollegin, die gerade in dieser Anfangsphase trotz aller Verliebtheit immer wieder sagte: „Lass uns erst mal den Alltag gemeinsam erleben. Dann schauen wir mal.“ Interessant daran war, dass ich mit keinem Gedanken an den Alltag gedacht hatte. Flugzeuge und Schmetterlinge im Bauch – das war mein Setting. Frauen haben, wie so häufig, eher den Blick auf die harte Wirklichkeit im Auge.
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Wir haben versucht, dem Abheben in ungeahnte Höhen und dem tiefen Fall ins Bodenlose gegenzusteuern. Wir haben uns bewusst mit dem, was kommen würde, auseinandergesetzt. Gleichzeitig haben wir uns Mühe gegeben, die Schmetterlingsgefühle dennoch nicht zu verlieren.
Deshalb fingen sehr früh an, an unserer Paaridentität zu arbeiten. Dafür haben wir uns folgende fünf Fragen gestellt:
- Wer wollen wir sein?
- Wie wollen wir, dass uns unsere Freunde erleben?
- Was sollen unsere Werte sein?
- Welche Bedürfnisse haben wir?
- Wie sollen uns unsere Kinder in dieser Patchworksituation erleben?
Wir waren uns einig. Die Überschrift unserer Beziehung sollte sein: Das „Ich“ im „Wir“.
Tipp vom Experten: Über sogenannte „ewige Geschichten“ sprechen
Es war uns wichtig, dass jeder von uns nicht zu viel von sich aufgeben musste. Wir haben über Grenzen, Freiräume, Bedürfnisse und ewige Geschichten gesprochen. Ewige Geschichten sind Erfahrungen aus unserer Vergangenheit, die bis in die Kindheit reichen. Es sind Erfahrungen, die uns verletzlich machen und unser Verständnis von Bindung und Beziehung geprägt haben. Sie sind Bestandteil unserer Persönlichkeit geworden und manifestieren sich häufig in Glaubenssätzen.
Gisbert Straden & Andrea Katz
Genau wie seine Frau Andrea Katz ist Gisbert Straden ausgebildeter Paar- und Sexualtherapeut. Zuvor war er als Dozent für Wirtschaftspsychologie tätig. Gemeinsam mit seiner Frau, die hauptberuflich als Lehrerin arbeitet, betreibt er die Praxis „Von Paar zu Paar“ in Berlin. In ihrer Beziehungskolumne „Wie Katz und Straden“ beleuchten sie gemeinsam Beziehungsprobleme und suchen nach Lösungen – sowohl aus der Perspektive erfahrener Therapeuten als auch aus ganz persönlicher Sicht, mit eigenen Konflikten und Herausforderung in der Beziehung.
Diese Fragen offenbaren Triggerthemen und Glaubenssätze:
- Wer hat uns wie von außen beeinflusst?
- Welche Rolle kommt Eltern und Freunden zu?
- Welche Interessen oder vielleicht auch uneingestandene Wünsche haben wir?
- Welche sensiblen Themen werden uns in unserer Beziehung begleiten?
Die Antworten auf diese Fragen zeigen uns Triggerthemen auf, auf die wir hochemotional reagieren und die sehr schnell zu Streit in einer Beziehung führen können.
Auch Therapeutenpaar streitet – aber anders
Auch wir haben und hatten diese Triggerthemen. Auch wir streiten uns – aber anders als früher: besser und konstruktiver! Wie uns das gelingt? Wir haben es unter anderem geschafft, den Umgang mit unseren Triggerthemen zu verändern, indem wir „hinhören“ anstatt nur „zuhören“ und dann die Streitbühne zeitweilig verlassen.
Das machen wir dann, wenn sich erste Anzeichen von Eskalation bei mir oder meiner Frau andeuten. Mit einem zum Partner hingewandten, wertschätzenden Zuhören können wir Verständnis für seine oder ihre Reaktionen aufbringen und ihn oder sie besser verstehen. Wir begreifen früher, dass manches gar nichts mit uns zu tun hat, sondern mit dem, was der jeweils andere zum Beispiel über Bindung und Bindungsverhalten in einer frühen Phase seines Lebens gelernt hat.
Alles, was wir in der Kindheit über Bindung lernen oder vorgelebt bekommen, stellt im Grunde eine „Blaupause“ für alle zukünftigen Bindungen unseres Lebens. Viele Paare wiederholen in ihrer Beziehung im Grunde genommen das Bindungsmuster, das ihnen vorgelebt wurde – ohne, dass es ihnen bewusst ist. So auch ich.
Aus Beziehungen lernen: Fehler von früher erkennen
Ich konnte beobachten, dass ich Verhaltensweisen aus früheren Partnerschaften wiederhole:
- Ich habe vergessen, mich in der ersten Phase der Verliebtheit abzugrenzen.
- Ich bin zu viele schlechte Kompromisse eingegangen.
- Ich hatte nie gelernt, mich mit meiner Partnerin über Probleme auszutauschen.
Auch meine Frau und Kollegin erwischte sich dabei, mir zuliebe so manchen Kompromiss einzugehen. Zumindest am Anfang, bis dann einer von uns fragte: „Was tun wir hier eigentlich?“. Erst durch einen Blick auf unsere Biografie haben wir wahrgenommen, was wir dabei waren zu tun.
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Gut, dass wir ähnliche Themen in unseren Sitzungen mit unseren Paaren erleben. So fiel uns in der Nachbesprechung einer Sitzung auf, dass dieses Thema auch unseres war. Wir waren beide dabei, Muster aus früheren Beziehungen fortzusetzen. Hier konnten wir ansetzen.
Beziehung verbessern: Drei zentrale Erkenntnisse des Paartherapeuten
Drei Key-Learnigs aus dieser Zeit sind mir hängen geblieben:
- Immer im Gespräch bleiben
- Bei unerklärlichen, schwierigen Situation immer hinterfragen: Was ist die Geschichte hinter der Geschichte
- Bei den ersten Anzeichen einer Eskalation „Stop“ sagen, die Streitbühne verlassen und sich frühestens nach 2 Stunden erneut zum Gespräch treffen
Meine Frau und ich haben gelernt, uns einander mehr zu öffnen, mehr von dem, was uns innerlich bewegt, mit dem anderen zu teilen. Ewige Geschichten, Glaubenssätze, die uns geprägt haben und deren Bedeutung für unsere Beziehung, lassen sich so erkennen und besprechen – mit dem Ziel alte Verhaltensmuster zu unterbrechen.
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