Am Beispiel der Familie M. lassen sich die Probleme erzählen, die der Stadtteil zunehmend mit Kriminellen hat. So wie es aussieht, spielt das umstrittene Heim an der Feuerbergstraße eine zentrale Rolle.
Von der Feuerbergstraße bis zum Gartentor des Hauses in der Gartenstadt sind es gerade mal 1000 Schritte. Die Familie M. wohnt seit knapp dreieinhalb Jahren in dieser ruhigen Seitenstraße. Es ist eine Ansammlung aus beinahe identischen Backsteinhäusern auf rund 500 Quadratmeter großen Grundstücken, die ab 1934 im Zuge der „Gartenstadt Alsterdorf“ errichtet wurden. Heute ist es eine bevorzugte Wohngegend.
Das Ehepaar M. sind Doppelverdiener. Angelika M., 42, betreibt eine Arztpraxis in Winterhude, Michael M., 43, ist selbstständiger E-Commerce- Berater für ein großes deutsches Medienunternehmen. Ein Kindermädchen kümmert sich um ihre gemeinsame neunjährige Tochter. Vor dem Haus parkt ein Hymer-Wohnmobil, das die Familie vor zwei Jahren angeschafft hat. „Eigentlich sollte es uns schon gut gehen“, sagt Michael M., „und wir haben uns hier bisher ja auch sehr wohl gefühlt.
Aber neuerdings schlafen wir leider schlecht – vor allem meine Frau.“ Der Grund hierfür ist eine Einbruchsserie, und der Ursprung für diese Einbruchsserie steht sogar mit ziemlicher Sicherheit fest: Es ist die Unterbringung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, kurz MuFl, in der Feuerbergstraße. „Das erste Mal wurde unser Wohnmobil im Herbst 2013 geknackt“, sagt Michael M., „der oder die Täter hebelten das Heckfenster aus. Gestohlen wurde jedoch nichts, denn es war ja auch nichts drin.
Einbrüche gibt es in einer Großstadt eben, dachte Michael M. beim ersten Mal
Komisch war aber, dass das Heckfenster aufgehebelt wurde, das ja immerhin in 1,50 Meter Höhe liegt. Profis waren das jedenfalls nicht.“ Fast gleichzeitig wurde aus der Garage seines Hauses sein Fahrrad entwendet, „aber die hatte ich damals dummerweise nicht verschlossen“. Nun ja, habe er damals gedacht, so was komme eben leider manchmal vor in einer Großstadt. Michael M. erstattete Strafanzeigen gegen unbekannt, die Polizei suchte nach Spuren, fand nichts Verwertbares – und das Verfahren wurde dann auch wie zu erwarten ein paar Wochen später eingestellt. Die Versicherung ersetzte den Schaden – das Leben der Familie M. ging weiter wie bisher.
Allerdings nur bis zum Herbst 2014, als das Wohnmobil zum zweiten Mal vor seiner Haustür aufgebrochen wurde. Diesmal waren der oder die Täter durch die 40 mal 40 Zentimeter große Dachluke eingedrungen. „Ein erwachsener Mann passt da aber nur schwer durch“, sagt Michael M., der dann von einem freundlichen Beamten auf dem zuständigen Polizeirevier 33 „inoffiziell“ darauf hingewiesen wurde, dass sich solche Straftaten in seiner Wohngegend, rund um den Alsterdorfer Markt, gehäuft hätten. „Der Beamte riet mir, ich sollte in Zukunft die Augen offen halten und vielleicht auch präventive Maßnahmen ergreifen.“
Zu diesem Zeitpunkt war den Behörden längst bekannt, dass offensichtlich eine spezielle Gruppe Minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge, kurz „MuFl“ genannt, für eine ganze Reihe von Straftaten verantwortlich waren. Die waren allesamt in der Feuerbergstraße, einer Einrichtung des Kinderund Jugendnotdienstes (KJND) untergebracht. Polizeiintern wurde schon damals von einer „Kapitulation der Jugendhilfe“ gesprochen.
Die Geschäftsleute rund um den Alsterdorfer Marktplatz hatten einen privaten Wachdienst gegen die steigende Zahl der Übergriffe der Jugendlichen engagiert, Polizeibeamte waren bei Festnahmeversuchen oder Inhaftierungen zum Teil massiv angegriffen und auch verletzt worden. Als Problemgruppe innerhalb der MuFl wurden zunehmend häufig „die Nordafrikaner“ genannt: junge Heranwachsende, die jedoch nicht unbedingt dem Bild des „traumatisierten Migranten oder Flüchtlings“ aus einem Bürgerkriegsgebiet entsprechen. Ein trauriger Höhepunkt war dann das Wochenende des 25. und 26. Oktober, als mehrere MuFl im Alter zwischen 15 und 17 Jahren von Schlägern, die mit Sicherheit aus dem Milieu stammten, brutal zusammengeschlagen und zum Teil schwer verletzt wurden. Die Opfer stammten tatsächlich aus Nordafrika. Sie hatten augenscheinlich schon häufiger versucht, Freier bei Anbahnungsgesprächen mit Prostituierten zu bestehlen.
Das Wohnmobil wurde innerhalb weniger Tage mehrfach aufgebrochen
Genau um diese Zeit häuften sich auch die Diebstähle in der beschaulichen Gartenstadt Alsterdorf massiv: „Anfang Oktober wurde unser Wohnmobil zum dritten Mal aufgebrochen“, sagt Michael M.. Dabei seien eine Surfuhr und weitere Gegenstände gestohlen worden, die dann allesamt wenig später bei der routinemäßigen Überprüfung zweier jugendlicher Flüchtlinge aus der Feuerbergstraße sichergestellt worden sei. „Anhand der Seriennummer stand fest: das ist meine“, sagt er. Dann ging es Schlag auf Schlag: Am 27. und am 31. Oktober wurde das Wohnmobil der Familie zwei weitere Male geknackt, am 31. Oktober wurde in der Nacht auch wieder das – diesmal verschlossene – Garagentor aufgebrochen und erneut ein Fahrrad entwendet. „Unser Hund hatte angeschlagen, aber wir konnten uns nicht vorstellen, dass jemand trotzdem so dreist sein konnte...“
Michael M. schrieb daraufhin einen Brief an seine Nachbarn. Nicht alle antworteten oder suchten das Gespräch, aber es stellte sich heraus, dass die Ms. nicht die Einzigen waren, die in den vergangenen Wochen und Monaten von Dieben heimgesucht worden waren: „Nebenan wurde in den Wintergarten eingebrochen, in der Nachbarschaft waren Gartenstühle geklaut worden und dann wurde auch noch eine 87 Jahre alte Dame am helllichten Tag in ihrem Haus überfallen und ausgeraubt – aber das war ein erwachsener, deutscher Täter“, sagt Michael M., und er klingt beinahe erleichtert. „Das Flüchtlingsthema ist heikel. Ich bin wirklich alles andere als ein Hardliner und bemühe mich, die MuFl nicht über einen Kamm zu scheren. Aber das Problem ist nun mal nicht mehr zu übersehen, und ich frage mich wirklich, wie man das lösen will. Wie kann es sein, dass mehrfache Straftaten keinerlei Konsequenzen haben und die Täter straffrei bleiben?“ Er sei es leid, bei der Polizei mittlerweile als Stammkunde geführt zu werden. Seine Familie fühlte sich zunehmend verunsichert. Auch an die Erhöhung der Versicherungsprämie fürs Wohnmobil - das er längst woanders parkt - mag er nicht denken. Als er zum wiederholten Male einen Termin bei einem seiner Stammkunden wegen der polizeilichen Ermittlungen verschieben musste, habe der am Telefon gelacht und gesagt: „Erzähl’ mal: Was gibt’s Neues aus der Bronx?“
Nach Erkenntnissen des Landesjugendbeauftragten der Polizei und Chef des Fachstabs 3 im Landeskriminalamt, Reinhold Thiede (das Abendblatt berichtete) handele es sich um rund 40 Intensivtäter „unter Beobachtung“, die durch Eigentumsdelikte oder Gewaltstraftaten auffällig wurden. Deren Zahl jedoch ständig wechseln würde. „Diese Jugendlichen haben keine Scheu, Grenzen zu überwinden. Wenn es ihnen irgendwo nicht gefällt, dann wechseln sie die Stadt, zur Not zu Fuß. Persönliche Bindungen, die sie halten würden, haben sie nicht“, sagte Thiede zur Erklärung, warum über 130 dieser MuFl inzwischen aus Hamburg verschwunden seien.
Diese Aussage deckt sich mit denen einiger Sozialarbeiter, die in den Hamburger Unterkünften für MuFl oder im direkten Umfeld arbeiten: Danach fehle es dieser „besonderen Klientel komplett an Strukturen. Man müsse sich ehrlicherweise eingestehen, dass man diese Kinder und Jugendlichen längst verloren habe.“
Die CDU fordert ein konsequenteres Vorgehen gegen die jungen Flüchtling
Christoph de Vries, jugendpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sieht den amtierenden Senat in der Pflicht: „Der KJND muss personell in die Lage versetzt werden, zu jeder Tages- und Nachtzeit seine gesetzliche Schutzfunktion und seine Aufsichtspflicht stärker wahrzunehmen. Der Senat muss nach mehr als einem Jahr ohne erkennbaren Fortschritt dafür sorgen, dass endlich eine geschlossene Unterbringung für jugendliche Intensivstraftäter zum Schutz der Bürger und als letzter Ausweg vor dem Jugendknast in Betrieb genommen wird“, sagte er jüngst auf einer Pressekonferenz mit dem Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, auf der de Vries einen Antrag vorstellte, in dem ein „konsequentes Vorgehen gegen straffällige minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“ gefordert wird.
Solange will und kann die Familie M. nicht warten. Alle Fenster ihres Hauses wurden mittlerweile mit Rollläden versehen, die Türen mit Panzerriegeln, vier Videokameras mit Bewegungsmeldern und eine Alarmanlage wurden ebenfalls installiert. Die Familie hat mächtig aufgerüstet – für ein sichereres Lebensgefühl.
Epilog: Wenige Stunden nach dem Interview mit Michael M. wurde vier Häuser weiter ein erneuter Einbruch über die Terrassentür verübt. Ein Polizist, der vor Ort war, sagte: „Die Art und Weise des Einbruchs lässt eine klare Schlussfolgerung auf Täter aus der Feuerbergstraße zu.“