Windkraft wird weiter deutlich ausgebaut. Offshore-Konferenz in Hamburg zieht Zwischenbilanz der ersten Projekte in der Nord- und Ostsee
Hamburg. Lange schon war die hochkarätige Fachkonferenz zur Offshore-Windkraft geplant, die am Mittwoch und Donnerstag im Hotel Hafen Hamburg tagt. Dass Bund und Länder ausgerechnet am Abend vor dem Kongress die Weichen für die kommenden Jahre der deutschen Energiewende stellten, konnte der Veranstalter allerdings nicht vorhersehen, die Klassifizierungsgesellschaft DNV GL. Jutta Blankau (SPD), Hamburgs Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, begrüßte die rund 200 Gäste am Mittwoch mit einer Einordnung der Ergebnisse, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und die Regierungschefs der 16 Bundesländer am Dienstagabend im Berliner Bundeskanzleramt zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erreicht hatten. Besonders die Zukunft der Windkraft interessierte die Zuhörer: „Die Küstenländer haben beim Thema Windkraft an einem Strang gezogen“, sagte Blankau. „Mit dem Kompromiss, der in Berlin gefunden wurde, können alle zufrieden sein. Im Norden werden damit in den kommenden Jahren vor allem in der Windkraftbranche zahlreiche weitere hochwertige Arbeitsplätze entstehen.“
Deutlich mehr Spielraum beim Ausbau der Windkraft an Land und beim Ersatz alter durch neue Anlagen, ein „Puffer“ von zusätzlichen 1200 Megawatt beim Ausbau der Offshore-Windenergie bis zum Jahr 2020 über die bislang geplanten 6500 Megawatt hinaus, eine Absenkung der Offshore-Einspeisevergütung bis zum Jahr 2018 um nur noch einen Cent je Kilowattstunde anstelle von bislang geplanten zwei Cent – der Weg ist frei für einen erheblichen Ausbau von Windparks an und vor den deutschen Küsten: „Das ist ein Meilenstein für die Energiewende in Deutschland“, sagte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). „Für den Norden und Hamburg besonders wichtig: Der weitere Ausbau der Windenergie an Land und auf See kommt weiter voran. Es gibt jetzt Planungssicherheit. Gleichzeitig gelingt es, die Kostendynamik bei den Strompreisen zu brechen und die EEG-Umlage zu stabilisieren.“ „Es ist ein guter Tag für die Windenergie“, sagte Schleswig-Holsteins Regierungschef Torsten Albig (SPD). Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ergänzte: „Ich habe Zuversicht, dass es vorangeht mit Offshore.“
Die Offshore-Windkraft-Industrie an den deutschen Küsten war in den zurückliegenden eineinhalb Jahren durch unklare Perspektiven für die künftigen Förderbedingungen, aber auch bei der Netzanbindung von Meereswindparks zurückgeworfen worden. Von den zeitweise bereits bis zu 18.000 Arbeitsplätzen, die allein in der Metall verarbeitenden Wirtschaft für die Offshore-Branche entstanden waren, gingen im zurückliegenden Jahr 2000 wieder verloren, weil den Unternehmen Anschlussaufträge fehlten. „Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der Norden gemeinsam für die Windenergie steht“, sagte am Mittwoch Meinhard Geiken, der Bezirksleiter der IG Metall Küste. „Jetzt kommt es darauf an, dass im Gesetzgebungsverfahren grundsätzliche Einigungen nicht erneut infrage gestellt werden. Das wäre ein fatales Signal für die Windindustrie an der Küste.“
Bei der Konferenz in Hamburg wurde deutlich, wie stark besonders die Offshore-Windkraft-Branche auf rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen angewiesen ist, die über den Zeitrahmen einer Legislaturperiode hinausreichen. Im Hotel Hafen Hamburg hatten sich die führenden Experten der in Deutschland tätigen Offshore-Windkraft-Unternehmen versammelt, um Erfahrungen bei der Planung, dem Bau und Betrieb von Offshore-Windparks auszutauschen. „Als öffentliches Signal ist es natürlich wichtig, dass die Einspeisevergütungen für Strom aus Offshore-Windparks nun voraussichtlich bis zum Jahr 2019 feststehen. Aber was nützt das den Unternehmen, die heute einen neuen Offshore-Windpark planen?“, sagte Irina Lucke, Geschäftsführerin von EWE Offshore Service & Solutions in Oldenburg. Lucke hatte für den Stromversorger EWE den Aufbau des ersten deutschen Nordsee-Windparks „Alpha Ventus“ geleitet, der 2010 ans Netz ging, und den Bau des Meereskraftwerks Borkum Riffgat koordiniert.
Das Projekt Riffgat habe insgesamt 14 Jahre gedauert, da es zu Beginn keinerlei Erfahrungen mit Meeresgeografie, Planungsrecht oder Bauausführung gab, sagte Lucke. Nach langer Vorarbeit war der Windpark dann in einer Rekordzeit von nur 14 Monaten und exakt im Rahmen des Budgets gebaut worden. Man habe alle Erfahrungen genutzt, die es von anderen Offshore-Windparks auch im europäischen Ausland bereits gab, und beispielsweise die Türme für die Windturbinen an Land vormontiert. Dennoch konnte Riffgat im August 2013 nicht wie geplant die Stromerzeugung aufnehmen, weil dem Netzbetreiber Tennet 15 Kilometer Kabel für den Landanschluss fehlten. Als Begründung nannte Tennet unvorhergesehene Probleme bei der Räumung von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Der fehlende Landanschluss sei „eine Wunde gewesen, die jetzt langsam verheilt“, sagte Lucke auch angesichts der öffentlichen Kritik an Riffgat. Seit Februar ist der Offshore-Windpark nun am Netz.
Der frühere Hamburger Umweltsenator und SPD-Landeschef Jörg Kuhbier sagte, nur mit Kontinuität beim Ausbau der Offshore-Windkraft seien die Kosten deutlich zu senken. Eine Reduktion der Stromgestehungskosten um etwa ein Drittel in den kommenden Jahren sei realistisch, sagte Kuhbier, der heutzutage die Stiftung Offshore Windenergie leitet. Derzeit kostet die Erzeugung einer Kilowattstunde Offshore-Windkraft-Strom in Deutschland 13 bis 14 Cent, etwa doppelt so viel wie Strom aus Windkraftwerken an Landstandorten. „3500 Megawatt Offshore-Nennleistung sind bereits am Netz oder schon im Bau. Wir brauchen jetzt dringend neue Investitionsentscheidungen, wenn es in der Branche vorangehen soll und größere Lerneffekte realisiert werden sollen“, sagte er bei der Konferenz in Hamburg. Zwar sei die Organisation der Netzanbindung – auch mithilfe der Stiftung Offshore Windenergie – neu organisiert worden, damit es künftig keine Windparks mehr ohne Netzanschluss gebe. Aber die Ausgestaltung sei im Einzelnen noch unklar. „Das Thema Offshore muss ein Kanzlerinnenprojekt sein, Chefsache, so wie auch in Großbritannien“, sagte Kuhbier. „Wir dürfen die enorme industriepolitische Bedeutung, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die damit verbunden ist, nicht aus den Augen verlieren neben der Bedeutung der Offshore-Windkraft für die Energiewende.“
Wie abenteuerlich die Aufbaujahre der deutschen Offshore-Windkraft verlaufen sind, zeigte eine Präsentation des Windparks Bard Offshore 1, der gut 100 Kilometer nordwestlich von Borkum liegt. Der Windpark, gebaut ohne jede Vorkenntnis, ging mit jahrelanger Verzögerung an den Start und wurde doppelt so teuer wie geplant. Die Aufbauleistung riss das Start-up-Unternehmen Bard in den Abgrund. Nun indes liefere der bislang einzige Hochsee-Windpark der Welt „zuverlässig Strom“, sagte Jens Hagen vom heutigen Betreiber Ocean Breeze, einem Tochterunternehmen der Bank Unicredit: „Man kann sagen: Es war Pionierarbeit.“