Der Kompromiss zur Energiewende stärkt den Norden – und damit das ganze Land
Die Einigung zur Energiewende, erarbeitet in einer Nachtsitzung von Bund und Ländern im Berliner Kanzleramt, hat aus norddeutscher Sicht zwei Vorteile: Sie bringt den Aufbau einer neuen Energieversorgung in Deutschland voran, und sie macht die Küstenregion zu deren Zentrum. Die Windkraft im Norden hat meteorologisch und geografisch das größte Potenzial, um in Deutschland Strom, Wärme und später auch Wasserstoff und synthetisches Erdgas zu erzeugen.
Der nun absehbare Ausbau von Windkraftwerken an Land und auf See weist den Weg, um diese Kraft noch besser als bislang zu nutzen. Damit daraus regional und landesweit der Ersatz für Kohle- und Atomkraftwerke werden kann, müssen in den kommenden Jahren Energiespeicher, moderne Verteilnetze und obendrein Fernleitungen nach Süden gebaut werden. Bei diesen Themen sind zahlreiche Konflikte noch längst nicht gelöst. Das gilt bis auf Weiteres auch für den Streit zwischen Deutschland und der EU darüber, ob energieintensive Unternehmen von der Ökostrom-Umlage befreit werden dürfen.
Die politischen Debatten der vergangenen Wochen haben eines überdeckt: Eine Energieversorgung, die vor allem auf erneuerbaren Energien basiert, muss eine dauerhaft zuverlässige Versorgung gewährleisten. Sie muss aber in ihren spezifischen Erzeugungskosten auch weiterhin günstiger werden. Das gilt zweifellos auch für die Offshore-Windkraft. So paradox es klingt: Um das zu erreichen, müssen Windparks auf der deutschen Nordsee und Ostsee möglichst zügig ausgebaut werden. Die Pionierjahre dieser Branche in Deutschland sind vergleichbar mit der Frühzeit der Eisenbahn. Ohne Vorkenntnisse, mit Mut und Erfindergeist bauten die beteiligten Unternehmen die ersten Windparks vor den deutschen Küsten. Die Stromkunden zahlen dafür in der Umlage für die erneuerbaren Energien Lehrgeld, vor allem aber auch die Unternehmen selbst, die den Schritt hinaus auf das Meer gewagt haben. Klar ist mittlerweile jedoch, wie Offshore-Parks rasch immer günstiger ans Netz gebracht werden können, eine Technologie, die wegen ihrer hohen Verfügbarkeit bei der Stromerzeugung für die Energiewende unverzichtbar ist.
Ganz anders die Situation bei der Windkraft an den norddeutschen Landstandorten. Hier stehen die leistungsfähigsten deutschen Windparks überhaupt, aber auch die ältesten. Nirgends sonst ist die moderne Windkraft so ausgereift und erprobt. Vor allem die mehr als 20 Jahre alten Windparks müssen nun mit größeren und stärkeren Maschinen erneuert werden. Es ist der effizienteste Weg, um aus der Windkraft in Deutschland schnell und zu niedrigen Kosten mehr Strom zu gewinnen. Auch dafür ebnet der Kompromiss des Bundes und der Länder zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) den Weg.
Der kurzfristig wohl wichtigste Erfolg für den Norden aber ist die Erkenntnis, dass die Küste für eine gemeinsame Sache zusammenstehen kann, wenn es darauf ankommt. Einen Schulterschluss der fünf Nordländer wie beim aktuellen Ringen um die Windkraft hat man bei anderen regional bedeutenden Themen lange nicht mehr gesehen. Unterstützt wurden die Landesregierungen von Unternehmen und Gewerkschaften, Kommunen und Bürgerinitiativen, Universitäten und Verbänden. Die einfache Lesart dieses Vorgangs wäre: Der Norden greift mit einiger Hand in die Schatulle der Energiesubventionen, die von den Stromverbrauchern landauf, landab gezahlt werden müssen. Realistischer ist aber wohl diese Erklärung: Norddeutschland hat erkannt, dass der Aufbau einer neuen Energiewirtschaft, dass die Kraft des Windes nicht nur den Norden langfristig stärker macht, sondern ganz Deutschland.