Energiewende sorgt für anhaltenden Streit. SPD will die Wirtschaft stärker belasten, Stromkonzern Vattenfall warnt vor Kostenexplosion.
Berlin/Hamburg. Die Bundesregierung will die Energiewende mit dem Bau von drei Stromautobahnen und mit mehr Geld für Gebäudesanierungen in Schwung bringen. Das Kabinett beschloss, dass Höchstspannungsleitungen mit 2800 Kilometer Länge quer durch Deutschland errichtet werden sollen, um Windstrom vom Norden in den Süden zu transportieren. Zudem sollen im bestehenden Netz 2900 Kilometer optimiert werden. Die Kosten für alle 36 Projekte betragen rund zehn Milliarden Euro.
Ab 2013 gibt es zudem insgesamt 1,8 Milliarden Euro für das Dämmen von Gebäuden. Das Kabinett beschloss dafür eine Erhöhung der Mittel um 300 Millionen Euro. Damit sollen Maßnahmen wie eine bessere Dämmung von Gebäudehüllen, der Austausch zugiger Fenster oder der Einbau neuer Heizungen mit bis zu 5000 Euro pro Einzelmaßnahme bezuschusst werden.
Zudem nahm die Regierung den ersten Monitoringbericht zur Umsetzung der Energiewende entgegen. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sehen die Projekte insgesamt auf einem guten Weg, auch wenn die Regierung Probleme bei der Versorgungssicherheit gerade in Süddeutschland und mangelnde Erfolge beim Einsparen von Energie einräumt.
"Die Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien war richtig, ist richtig und bleibt richtig, auch im Hinblick auf langfristig bezahlbare Energiepreise", sagte Altmaier mit Blick auf steigende Kosten für fossile Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle. Rösler und Altmaier bekräftigten ihren Willen, das umstrittene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung von Ökostrom zu überarbeiten. Die Förderung zahlen die Bürger über den Strompreis, etwa 185 Euro pro Durchschnittshaushalt ab 2013. Rösler und Altmaier lehnten Sozialtarife wegen der Strompreissteigerungen ab.
Beim Stromnetzausbau sollen Planungszeiten von zehn auf vier Jahre verkürzt werden. Die Ausbaupläne müssen noch von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden, erst danach sollen die konkreten Trassenverläufe festgelegt werden. Eine Stromautobahn soll von Emden (Niedersachsen) über Osterath (Nordrhein-Westfalen) nach Philippsburg (Baden-Württemberg) gebaut werden, eine weitere von Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) nach Grafenrheinfeld (Bayern) und Großgartach (Baden-Württemberg), die dritte von Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen (Bayern). Die Länder haben zugestimmt, die Planung an den Bund abzugeben, damit Netze schneller gebaut werden können. Um Klagezeiten zu verkürzen, kann man nur noch beim Bundesverwaltungsgericht klagen.
In ihrem Monitoringbericht räumt die Regierung Schwierigkeiten bei der Versorgungssicherheit ein. Mit einer durchschnittlichen Unterbrechungsdauer von 15,3 Minuten (2011) bei der Stromversorgung stehe Deutschland aber weiter mit an der Spitze der Staaten mit der größten Zuverlässigkeit.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hält die Aussagen zur Versorgungssicherheit für falsch. Es gebe genügend gesicherte Kraftwerksleistung und ausreichend Reserven für mögliche regionale Engpässe, sagte BEE-Präsident Dietmar Schütz. "Eine Blackout-Gefahr aufgrund fehlender Kapazitäten besteht also nicht."
Als Schwachpunkte der Energiewende nennt der Bericht den langsamen Netzausbau und den stockenden Offshore-Ausbau der Windenergie in Nord- und Ostsee. Und es müsse mehr beim Energiesparen passieren. Zwar sank der Verbrauch in privaten Haushalten 2011 um 6,7 Prozent. Dies war aber auch auf mildes Wetter zurückzuführen. Derzeit ist unsicher, ob das Ziel von minus 20 Prozent im Vergleich von 2008 bis 2020 zu schaffen ist.
SPD, Grüne und Linke warfen der Regierung Versagen bei der Energiewende und soziale Schieflagen bei der Kostenverteilung vor. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will im Fall einer Regierungsübernahme die Wirtschaft stärker an den Kosten der Förderung von Ökostrom beteiligen. In einem über das Internet geführten Interview kündigte Steinbrück eine "Verringerung der Ausnahmen für die Wirtschaft" an. Auf die Frage, wie er Geringverdiener von steigenden Stromkosten entlasten wolle, verwies Steinbrück auf eine Reform des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG) und eine Verbesserung der Energie-Effizienz auch für private Haushalte. Derzeit werden etwa 2000 Unternehmen weitgehend von der EEG-Umlage verschont.
Nach Einschätzung von Vattenfall drohen den deutschen Stromkunden unnötige Kosten in Milliardenhöhe. Der Ausbau des Ökostroms führe dazu, dass überflüssige Anlagen gebaut würden, sagte der Deutschland-Chef des Konzerns, Tuomo Hatakka, der Nachrichtenagentur Reuters. Im Jahr 2020 würden in Deutschland Erzeugungskapazitäten von 220.000 Megawatt stehen. Mehr als 150.000 Megawatt seien nicht notwendig. Die unnötigen Investitionen in Anlagen mit 70.000 Megawatt würden rund 130 bis 140 Milliarden Euro verschlingen. "Das kann sich Deutschland nicht leisten."