Fast jeder zweite Deutsche hält es für schädlich, wenn ein Kleinkind in den Kindergarten geht. In Schweden ist es anders.
Berlin. Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Streit ums Betreuungsgeld die Gemüter in der Republik heftig bewegte. Es ging dabei nicht nur darum, wie sinnig oder unsinnig die ab 2013 geplante Zahlung von 100 und 150 Euro für jene Eltern ist, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen. Es ging schnell auch darum, was für Ein- bis Dreijährige eigentlich besser ist: wenn allein Mama aufpasst oder auch die Erzieherin im Kindergarten?
Dass diese Debatte offenbar ziemlich genau das Meinungsspektrum der Gesellschaft wiedergegeben hat, zeigt jetzt eine neue Studie. Sie stützt auch jenes oft zitierte Bild von Müttern als "Rabenmütter", wenn sie ihre Kleinkinder in die Kita bringen. So sind 46 Prozent der Deutschen der Meinung, dass ein Kleinkind leidet, wenn es nicht ausschließlich von der Familie betreut wird. Besonders skeptisch sind die Westdeutschen: Hier halten es 52 Prozent für besser, wenn nur Mama oder Papa zuständig sind. In den neuen Bundesländern sind hingegen 52 Prozent der Ansicht, es sei optimal für das Kind, wenn es auch in den Kindergarten geht. Hier glauben nur 21 Prozent, dass eine Betreuung allein durch die Eltern für die Entwicklung des Kindes die beste Voraussetzung ist. Zwar bilden diese Werte einen Querschnitt der Gesamtbevölkerung ab. Doch auch bei der Befragung der Eltern von Kindern unter zwölf Jahren bewegen sich die Zahlen nahezu im selben Bereich.
Die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die von der Zeitschrift "Bild der Frau" in Auftrag gegeben wurde, hat dabei auch den Vergleich zu Schweden angestellt: Hier halten es anders als in Deutschland 46 Prozent für besser, wenn ein Kind auch in die Kita geht. Bei denen, die gerade ein Kind von unter zwölf Jahren haben, beträgt der Wert sogar 58 Prozent.
Für die Forscher hängen diese Unterschiede eng mit der bei den Deutschen vorzufindenden Meinung zusammen, ein Kleinkind leide unter der Berufstätigkeit der Mutter oder beider Elternteile. In Schweden glaube dies hingegen nur eine kleine Minderheit. Hier ist nicht nur die Erwerbsquote der Frauen höher, es gibt auch mehr Frauen in Vollzeitjobs. Dementsprechend gehen auch mehr kleine Kinder in den Kindergarten: Mehr als 90 Prozent der unter Zweijährigen werden in Schweden zumindest zeitweise in einer Einrichtung betreut. In Deutschland geht rund ein Viertel der unter Dreijährigen in den Kindergarten. Hierzulande hätten insbesondere Frauen "immer noch das Gefühl, dass sie sich zwischen Job und Familie entscheiden müssen", so Renate Köcher, Leiterin des Allensbacher Instituts. "Weil sie Angst haben, ihrem Kind zu schaden, wenn sie es einer Kita anvertrauen, weil sie dem Rabenmutter-Vorwurf ausgesetzt sind und weil es schlicht und einfach viel zu wenige Betreuungsoptionen gibt."
Die Studie brachte zudem hervor, dass deutsche und schwedische Eltern auch im Schulalter ihrer Kinder ein anderes Verständnis für die eigene Rolle haben, wenn es um Förderung und Entwicklung geht. So sind die Skandinavier viel eher bereit, zumindest das schulische Vorankommen ihrer Kinder in die Hände des Staates zu legen und sich selbst bei der Erziehung auf soziale Grundtugenden wie Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Hilfsbereitschaft oder Selbstständigkeit zu konzentrieren. Für eine möglichst vielseitige Bildung, Durchhaltevermögen oder Ehrgeiz sehen sie eher die Schule in der Pflicht. Deutsche Eltern hingegen glauben, eine große Verantwortung für alle diese Bereiche zu tragen, und üben diese Verantwortung auch aus. Die Folge: Die Förderung von Schulkindern hängt viel stärker vom Elternhaus ab.
Das wiederum führt zu einem negativen Effekt: Die soziale Schicht der Familie bestimmt im Wesentlichen auch die späteren Chancen der Kinder. Auch Allensbach-Chefin Köcher zeigte sich bei ihren Ergebnissen von einem vorherrschenden "Statusfatalismus" in Deutschland überrascht: Nur jeder Fünfte unter 30 Jahren, der einer einfachen sozialen Schicht entstammt, glaubt, durch eigene Anstrengung es zu etwas bringen zu können. Über die Hälfte hält den Aufstieg für Menschen aus benachteiligten Gesellschaftsgruppen nur schwer für möglich.
In Schweden glauben die Jungen das Gegenteil: Zwei Drittel sind der Meinung, dass sich Leistung auch lohnt. Nur 28 Prozent halten einen sozialen Aufstieg für schwer machbar. Insgesamt wünschen sich 43 Prozent der Deutschen mit Kindern unter 16 Jahren, dass es ihrem Nachwuchs mal besser geht als ihnen selbst.