Grünen-Chefin Roth hält Betreuungsgeld für verfassungswidrig und droht mit Klage. SPD spricht von „Wahlgeschenk auf Pump”.
Berlin. Nicht nur Koalition ist sich einig, sondern auch die Opposition. Sowohl SPD als auch Grüne kritisieren die Beschlüsse des Koalitionsgipfels scharf. Die Grünen sprechen von einem „teuren Kuhhandel”, die SPD von „teuren Wahlgeschenken”. Die Spitzen der Koalition hatten sich in der nach achtstündigen Verhandlungen darauf verständigt, die Praxisgebühr abzuschaffen, das Betreuungsgeld und eine sogenannte Lebensleistungsrente einzuführen. Zudem soll der Bund die Schuldenbremse bereits 2013 einhalten und für 2014 einen Haushalt aufstellen.
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte am Montag bei n-tv, der Koalitionsausschuss sei ein großer Basar gewesen und „herausgekommen ist dann noch die Bescherung, die uns allen sehr teuer zu stehen kommen wird“. Sie kündigte an, eine Klage gegen das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen. „Ich glaube, das ist mit der Verfassung überhaupt nicht zu vereinbaren. Deswegen wird es da einen erheblichen Widerstand geben“, betonte Roth.
Scharfe Kritik äußerte die Grünen-Chefin auch an der von Schwarz-Gelb geplanten „Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener. „Für wie blöd hält diese Regierung eigentlich die Menschen in diesem Land?“, fragte Roth. Sie bezog sich auf den Beschluss der Koalition, die Renten von Geringverdienern, die nach 40 Beitragsjahren und privater Zusatzvorsorge unter der Grundsicherung liegen, aus Steuermitteln aufzustocken. Der Betrag dürfte allerdings nur etwa 10 bis 15 Euro über der Grundsicherung von derzeit durchschnittlich 688 Euro liegen.
Auch die SPD hat die Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition zum Betreuungsgeld und zur Rente scharf kritisiert. „Zulasten der Steuerzahler werden Wahlgeschenke finanziert“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Montag im Deutschlandfunk. „Das Betreuungsgeld kommt, gegen den Rat der Experten, gegen den Willen der Wirtschaft, gegen die Interessen der Menschen.” SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem NDR, Verlierer der Koalitionsrunde seien die Rentner. Es sei Zynismus zu sagen, „wir erfinden eine Leistungsrente für Menschen, die mehr als 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben, und die liegt dann nur zehn oder 15 Euro oberhalb der Sozialhilfe.
Oppermann sagte, mit dem Betreuungsgeld werde keine Wahlfreiheit hergestellt für Eltern, wie es die Union stets herausstelle. „Es fehlen in Deutschland noch mehrere Hunderttausend Kitaplätze“, sagte der SPD-Politiker. „Die könnten wir übrigens finanzieren mit dem Geld, das jetzt für das Betreuungsgeld ausgegeben wird.“ Für berufstätige Mütter sei es wichtig, eine verlässliche Betreuungs- und Bildungseinrichtung für ihre Kinder zu haben.
Die Bundesregierung verpasse damit auch die Chance, angesichts von Rekord-Steuereinnahmen einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen. „Das wäre möglich gewesen, wenn die Koalition insgesamt in dieser Wahlperiode auf Klientelpolitik und Wählergeschenke verzichtet hätte“, sagte Oppermann.
Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses
Bei ihrem Spitzentreffen am Sonntagabend hatte sich die schwarz-gelbe Koalition im Kanzleramt über innenpolitische Vorhaben bis zur Bundestagwahl im kommenden Jahr verständigt. So wird das Betreuungsgeld eingeführt, die Praxisgebühr abgeschafft. Bei der Rente haben sich die Koalitionäre auf Verbesserungen für Geringverdiener verständigt.
Das Betreuungsgeld wird erst zum August 2013 eingeführt statt Anfang kommenden Jahres. Es solle noch in dieser Woche vom Bundestag beschlossen werden, sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Ein Jahr lang werden 100 Euro pro Monat gezahlt, ab 1. August 2014 150 Euro. Das Geld bekommen Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine staatlich geförderte Kinderbetreuung geben. Eltern, die das Geld in einen Riester-Rentenvertrag für die Mutter oder einen Bildungssparvertrag für das Kind einzahlen, sollen dafür monatlich 15 Euro Zuschuss bekommen.
Die Praxisgebühr wird zum 1. Januar kommenden Jahres abgeschafft. Den Krankenkassen fehlen dadurch zwei Milliarden Euro Einnahmen, die sie aus dem Gesundheitsfonds erstattet bekommen sollen. Zugleich kürzt der Bund ab dem kommenden Jahr seinen Zuschuss zum Gesundheitsfonds um 500 Millionen Euro, im Jahr 2014 um zwei Milliarden Euro. Die Krankenkassen sollen zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen. Eine Senkung der Beiträge, wie sie die Union wollte, wurde nicht beschlossen.
Zur Rente sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, es werde noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz beschlossen. Die Renten von Geringverdienern sollen aufgewertet werden, sofern sie 40 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Die Lebensleistungsrente soll im Höchstfall knapp über der Grundsicherung liegen, die durchschnittlich etwa 690 Euro beträgt. Sie soll nicht aus Rentenbeiträgen, sondern aus Steuern finanziert werden.
Die Forderung nach einer Besserstellung von Müttern mit Kindern, die vor 1992 geboren sind, wurde nicht erfüllt. Für die Berücksichtigung ihrer Kindererziehungszeiten gibt es lediglich einen Prüfauftrag.
Alle Vorhaben sollen ohne neue Schulden finanziert werden. Im Jahr 2014 soll es einen Bundeshaushalt ohne strukturelles Defizit geben, darüber soll das Kabinett im März 2013 entscheiden. Neben den Krankenkassen soll auch die KfW-Bank zu Einsparungen beitragen. Im Verkehrsetat sollen indes 750 Millionen Euro zusätzlich in Investitionen fließen. Die Vorhaben sollen nun bald in den Bundestag eingebracht werden, damit sie noch vor der Bundestagswahl 2013 in Kraft treten können.
Das Spitzentreffen war nach monatelangem Streit zwischen den drei Koalitionspartnern vereinbart worden. An dem Koalitionsausschuss nahmen die Partei- und Fraktionsvorsitzenden, die Generalsekretäre und Fraktionsgeschäftsführer teil. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der dem Koalitionsausschuss ebenfalls angehört, war nicht dabei. Er war bei einem Treffen der G-20-Finanzminister in Mexiko. Alle Vorhaben seien mit Schäuble vor der Nachtsitzung der Koalitionäre besprochen worden, versicherte Gröhe.