In nächtlicher Sitzung haben sich Union und FDP offenbar zusammengerauft. Ein knappes Jahr vor der Wahl wollen sie ihren Streit beilegen.
Berlin. Das waren noch Zeiten. Anfangs gingen sie nach einem Koalitionsgipfel gemeinsam in ein Berliner Szene-Restaurant. Das war im Januar 2010, als der gerade erst gestartete schwarz-gelbe Motor schon ins Stottern gekommen war. Die FDP erregte damals Aufsehen mit dem Steuerbonus für Hoteliers, und die Union wollte von ihren Milliarden-Steuerversprechen aus dem Wahlkampf nicht mehr so viel wissen. Doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle rauften sich sogleich zusammen, setzten sich an einen Tisch und bestellten Tartar – rohes Fleisch.
Beim großen Treffen am Sonntagabend in Berlin war daran nicht zu denken – unabhängig davon, dass Westerwelle schon lange nicht mehr dabei ist, weil ihn seine Partei im Laufe der Regierungszeit als Chef und Vizekanzler ablöste und diese Posten an den jungen Philipp Rösler vergab. Die Koalitionäre näherten sich zwar nach viereinhalbstündigen Verhandlungen an. Doch statt eines Drei-Gänge-Menüs nach getaner Arbeit gab es Essen zwischendurch.
Die drei Parteichefs Merkel, Seehofer und Rösler zogen sich zwischenzeitlich zu Gesprächen zurück, dann berieten Union und FDP wieder getrennt und dann sollte in der Nacht alles wieder in großer Runde mit den Fraktionsvorsitzenden, Parlamentarischen Geschäftsführern und Generalsekretären besprochen werden. Es sollte ein Gesamtpaket geben – möglichst mit einer Lösung für alle vier Streitpunkte Betreuungsgeld Praxisgebühr, Rente und Verkehr.
Die CSU wollte Härte gegenüber der FDP zeigen. Diese gab sich beim umstrittenen Betreuungsgeld zwar vertragstreu, schraubte aber ordentlich an der Leistung für Eltern kleiner Kinder herum. Die verärgerte CSU sattelte ihrerseits drauf und forderte eine Milliarde Euro für das von ihr geführte Verkehrsressort. Die Abschaffung der Praxisgebühr wollte sie der FDP auch nicht schenken, sondern lieber die Kassenbeiträge senken.
Als schwierigstes Unterfangen galt die Rente. Hauptstreitpunkt war, ob armutsfeste Renten steuerfinanziert (FDP-Forderung) oder über die Beiträge (Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU) erwirtschaftet werden. Einig waren sich hingegen alle darin, dass Erziehungszeiten von Müttern, die vor 1992 Kinder bekommen haben, besser angerechnet werden sollen.
Der große Wurf dürfte es hier zwar nicht werden – sonst kann Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom G20-Ministertreffen im fernen Mexiko aus seinen Segen geben sollte, seine Haushaltskonsolidierung kaum durchziehen. Aber ein Signal könnte es geben. Die Ankündigungen von Schäuble und Rösler, die Nettokreditaufnahme weiter zu senken, könnten jedoch ohnehin schnell Schall und Rauch sein, wenn Deutschland in der Euro-Krise Risiken etwa für Griechenland übernehmen muss. Die Opposition wettert, Union und FDP vereinbarten nun teure Wahlgeschenke, um Handlungsunfähigkeit zu überspielen.
Für die Liberalen geht es inzwischen ums politische Überleben. Die Abschaffung der Praxisgebühr hat sich zuletzt fast zum Prestigeprojekt für Rösler entwickelt. Der Widerstand aus Bayern hatte ihn kalt erwischt. Am Mittwoch hatte er sich mit der Kanzlerin abgestimmt und mit Schäuble auf das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts bis 2014 verständigt. Alles auf gutem Wege, so schien es. Ein großer Irrtum.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, der Rösler so manches Mal in den letzten Wochen die Butter vom Brot nahm, hatte zur Sicherheit schon einmal vorgebaut. Man werde sich in den Kernfragen einigen, er sei sehr optimistisch, dass die Koalition einen großen Sprung nach vorn machen werde, hatte der alte Politfuchs am Freitag erklärt. Aber er sagte dem „Handelsblatt“ auch: „Ob das schon am Sonntag alles gelingt oder in den nächsten Wochen, wird sich zeigen.“ In der Nacht sah es nach Einigung aus. Die Koalition hat sich allerdings schon oft verständigt – und dann wieder zerstritten. # dpa-Notizblock ## Orte