Betreuungsgeld, Praxisgebühr und Rente sind die großen Streitthemen. Eine Einigung zeichnete sich vor den Krisengesprächen noch nicht ab.
Sternberg. Vor dem mit Spannung erwarteten Koalitionsgipfel zeichnete sich am Sonntag bei keinem der Dauerstreitthemen des schwarz-gelben Regierungsbündnisses eine Einigung ab. Im Gegenteil: CDU, CSU und FDP bekräftigten vor dem Treffen am Abend im Kanzleramt bei Betreuungsgeld, Praxisgebühr und Rente nochmals ihre Positionen. Als Ergebnis wurde mit einem Kompromisspaket gerechnet, mit dem alle drei Partner im Wahljahr 2013 auf Stimmenfang gehen können. Die SPD sprach bereits von einem absehbaren Kuhhandel, um Wahlgeschenke auf Kosten der Steuerzahler verteilen zu können.
Noch am Sonntagvormittag hieß es im Regierungsbündnis, in den wichtigsten strittigen Punkten wie Rente und Praxisgebühr habe es keine Annäherung gegeben. Das Treffen der Partei- und Fraktionschefs ist die letzte Möglichkeit für das Parteien-Trio, noch größere Projekte auf den Weg zu bringen, bevor der Bundestagswahlkampf die Arbeit in Bundestag und -rat überlagert.
Zur Debatte stand erneut das Betreuungsgeld, das die CSU durchsetzen will und das ab 2014 mit 1,2 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Die FDP lehnt dagegen über neue Schulden finanzierte Sozialleistungen ab. Sie will die Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal abschaffen, die den Krankenkassen, die Milliardenüberschüsse angehäuft haben, rund zwei Milliarden Euro im Jahr einbringt. Die Union favorisiert dagegen eine Senkung des Beitragssatzes. Zudem wird eine Verständigung auf ein Konzept gegen Altersarmut angestrebt, durch das insbesondere langjährige Versicherte mit einer geringen Rente bessergestellt werden sollen. Die Koalition will zudem über einen Zeitplan für den Umbau des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sprechen. Die CSU will darüber hinaus mehr Geld für Verkehrsprojekte fordern.
Kanzlerin Angela Merkel ließ bei einem CDU-Landesparteitag am Samstag in Mecklenburg-Vorpommern offen, in welche Richtung sie ihre Koalition steuern will. Sie betonte nur, dass die CDU Familien Freiheit für ihr gewünschtes Lebensmodell bieten wolle. „Wir werden auch die nicht an den Pranger stellen, die sich ein paar Jahre dafür entscheiden, die Kindern zuhause zu betreuen.“ In ihrer Rede warf der Wahlkampf bereits erste Schatten voraus. Es sei zwar wichtig zu sagen, was die CDU seit 2005 erreicht habe: „Aber dafür wird uns kein einziger Mensch wählen.“ Vielmehr müsse die CDU sagen, was sie in der Zukunft machen wolle und wo sie die drängenden Probleme sehe.
CSU-Chef Horst Seehofer nannte den ersten Koalitionsgipfel seit fast einem Jahr einen „ausnehmend wichtigen Termin„: „Es geht um die Regierungsfähigkeit der Koalition.“ Er strebe eine Fortsetzung des Bündnisses an. „Ich will mit dieser Koalition weitermachen“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntags-Zeitung. Um dieses Ziel glaubwürdig im Wahlkampf zu vertreten, müsse es gelingen, Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Besonders unter Druck stand die FDP, die seit Monaten im Umfragetief steckt. Generalsekretär Patrick Döring warf der Union „Irrungen und Wirrungen“ vor und präsentierte die FDP als marktwirtschaftliches Korrektiv der Koalition. Er sagte dem „Hamburger Abendblatt“, die Liberalen würden dem Betreuungsgeld zustimmen, aber nur mit Einschränkungen: „Neben der Möglichkeit, das Geld in die Altersvorsorge zu stecken, muss das auch für Bildung möglich sein.“ Auch das Ziel, 2014 einen strukturellen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, dürfte nicht gefährdet werden. FDP-Vizechefin Birgit Homburger pochte in der „Bild“-Zeitung darauf, die Praxisgebühr abzuschaffen. Die Chefin der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, widersprach, die Gebühr habe sich als Element der Eigenbeteiligung bewährt.
Zu welchen Ergebnissen die Koalition kommen würde, blieb damit offen. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen Unions-Politiker, die CDU-Spitze könnte auch mit der Position in die Verhandlungen gehen, sowohl auf das Betreuungsgeld als auch auf das Aus für die Praxisgebühr zu verzichten und stattdessen die Haushaltskonsolidierung zur Priorität zu erklären. Die CDU-Zentrale wollte den Bericht nicht kommentieren. In dem Bericht hieß es allerdings auch, es sei gut möglich, dass es sich nur um eine Drohgebärde der CDU handele.
Jung-Politiker von CDU, CSU und FDP appellierten an ihre Parteiführungen, die Haushaltssanierung an die Spitze der Prioritätenliste zu setzen. „Nicht alles Wünschenswerte ist möglich“, warnten sie vor neuen Ausgaben. Der Haushalt 2014 wird allerdings erst nach der Wahl vom neugewählten Bundestag verabschiedet. In dem Ziel, dann einen Etat vorzulegen, der strukturell – also unter Herausrechnung von Konjunktureffekten - ohne neue Schulden auskommt, sind sich die drei Parteien einig.
„Die Koalition hat jede seriöse Haushaltspolitik aufgegeben und plant den Rollgriff in die Steuerkasse“, kritisierte der SPD-Fraktionsgeschäftführer Thomas Oppermann. Die SPD kündigte bereits an, gegen das Betreuungsgeld vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Grünen-Fraktions-Chef Jürgen Trittin sagte dem SWR, am Ende werde eine Einigung zu Lasten der Steuerzahler und der Menschen im Land stehen.