Nach dem Beschluss dürfen Passagen nun nachträglich bedingt unkenntlich gemacht werden. Aber nicht durch den Verfassungsschutz.
Berlin. Der Streit um die ungeschwärzten Thüringer Akten ist beigelegt. Die Obleute des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag einigten sich am Mittwochabend bei einem Treffen mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Mecklenburg-Vorpommerns Ressortchef Lorenz Caffier (CDU), auf einen Verfahren zum Umgang mit den Unterlagen. Demnach sollen Bund und Länder Vorschläge machen können, an welchen Stellen die Akten nachträglich unkenntlich gemacht werden. Das letzte Wort soll dabei der Ausschuss haben. Der Vorsitzende des Gremiums, Sebastian Edathy (SPD), sprach von einem praktikablen Verfahren.
Die Thüringer Landesregierung hatte dem Ausschuss fast 800 Ordner mit ungeschwärzten Akten überstellt. Etwa 1000 sollen demnächst folgen. Verfassungsschützer und die Innenminister aus Bund und Ländern hatten die Aktenlieferung argwöhnisch beäugt und Sicherheitsbedenken angemeldet. Sie äußerten die Sorge, dadurch könnten sensible Daten an die Öffentlichkeit gelangen und V-Leute aus der rechten Szene enttarnt werden.
Die Innenministerkonferenz wollte ursprünglich durchsetzen, dass Verfassungsschutzmitarbeiter Zugang zu den Unterlagen bekommen und im Zweifel Passagen nachträglich schwärzen. Der NSU-Ausschuss hatte sich dagegen jedoch vehement gewehrt.
Der rechtsextremen Terrorgruppe NSU aus Thüringen, die jahrelang in Sachsen untergetaucht war, werden zehn Morde zur Last gelegt.
Caffier soll nun bis zum Anfang der kommenden Woche einen Kriterienkatalog vorlegen und benennen, in welchen Fällen eine Schwärzung aus Sicht der Innenminister nötig ist. Der NSU-Ausschuss wiederum will bald einen Ermittlungsbeauftragten einsetzen, der die Thüringer Akten gemeinsam mit einem Team vorab sichtet und relevante Unterlagen für den Ausschuss auswählt. Vertreter der Innenressorts von Bund und Ländern sollen dann die Möglichkeit bekommen, diese Auswahl an Papieren gegenzulesen und Vorschläge für Schwärzungen zu machen. Die Entscheidung soll schließlich der Ermittlungsbeauftragte fällen – oder in Zweifelsfällen der Ausschuss selbst.
Als Ermittlungsbeauftragter ist der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer im Gespräch, der in Thüringen Pannen der dortigen Sicherheitsbehörden untersucht hat.
Edathy äußerte sich zufrieden über das Ergebnis. Der Untersuchungsausschuss bleibe Herr des Verfahrens, betonte er. „Es wird definitiv keine eigenständigen Schwärzungen geben durch die Exekutive.“ Die Prüfung durch Bund und Länder dürfe nicht zu lange dauern, mahnte der SPD-Politiker. Der Ausschuss ist bereits jetzt unter hohem Zeitdruck. Das Gremium muss seine Arbeit bis zum Ende der Legislaturperiode erledigt haben, steht aber angesichts immer neuer Enthüllungen vor einem wachsenden Berg von Aufgaben.
Der Streit um die Thüringer Akten hatte zuletzt für viel Unmut im Ausschuss gesorgt – auch weil Kritiker aus Bund und Ländern nahegelegt hatten, eine Übermittlung von Unterlagen an das Gremium komme einer Veröffentlichung gleich. Edathy betonte, die Obleute hätten in ihrem Gespräch mit Friedrich und Caffier deutlich gemacht, dass dies mitnichten der Fall sei. „Wir arbeiten seriös“, versicherte er. Die SPD-Obfrau Eva Högl sagte: „Die Botschaft, dass der Untersuchungsausschuss ein Sicherheitsrisiko sei, ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit.“ Der Ausschuss kommt am Donnerstag zu seiner nächsten Sitzung zusammen.
Unterdessen besteht der Verdacht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Auffliegen der NSU weit mehr Akten geschreddert hat als bislang bekannt. Dabei handele es sich um mehr als 200 Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus, sagte Högl. Das gehe aus einem Bericht des Sonderermittlers vom Bundesinnenministerium, Hans-Georg Engelke, hervor. Die Umstände seien unklar.
„stern.de“ berichtete, unter anderem seien die Personalakten von 94 Neonazis in den Reißwolf gewandert. Darunter seien auch Unterlagen zu drei Personen aus dem Kreis der NSU-Unterstützer gewesen. Noch bis zu acht Monate nach Auffliegen der Rechtsterroristen hätten die Verfassungsschützer weiter geschreddert.