Sächsischer Verfassungsschutz hatte Mitglieder der Terrorzelle NSU angeblich länger im Visier als bislang bekannt – bis 2010.
Berlin. Die rechtsextreme Terrorzelle NSU und deren Umfeld waren möglicherweise länger im Visier des Verfassungsschutzes als bisher bekannt. Die sächsischen Sicherheitsbehörden hätten eine Abhöraktion aus dem Mai 2000 gegen die Rechtsextremisten erst im November 2010 förmlich abgeschlossen, berichtete die „Welt“ unter Berufung auf geheime Akten des sächsischen Verfassungsschutzes. Inzwischen zeichnet sich ab, dass der Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe in München stattfinden wird.
Die Online-Ausgabe der „Bild“-Zeitung meldete, die Verhandlung gegen Zschäpe solle spätestens Anfang Februar vor dem Münchner Oberlandesgericht beginnen. Das Verfahren gehe nach Bayern, unter anderem weil fünf der zehn Morde, die der Zwickauer Terrorzelle zugerechnet werden, dort verübt wurden. Auch in Sicherheitskreisen heißt es, München stehe als Ort für den Prozess fest.
Die Bundesanwaltschaft wollte das am Sonnabend nicht bestätigen. Man wolle die erste Anklage im NSU-Verfahren aber noch im Herbst fertigstellen, teilte eine Sprecherin mit. „bild.de“ nennt als Zieldatum den 13. November – den Jahrestag des Haftbefehls gegen Zschäpe.
Die Gruppe, die sich den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gegeben hatte, war im vergangenen November nach einem Banküberfall im thüringischen Eisenach aufgeflogen. Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios: Sie stellte sich damals der Polizei, ihre mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt töteten sich selbst.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen 13 Verdächtige aus dem NSU-Umfeld. Der Bundesgerichtshof hatte mehrere Haftbefehle aufgehoben, so dass derzeit nur noch Zschäpe und der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in Untersuchungshaft sitzen. Wohlleben war vor einigen Tagen aus einem Thüringer Gefängnis nach München verlegt worden.
Der sächsische Verfassungsschutz soll die Terrorzelle unter dem Namen „Terzett“ über Jahre im Blick gehabt haben, berichtete die „Welt“. Bereits in dem Antrag für die Überwachung des Trios im Jahr 2000 seien Struktur und Ziel der Gruppe überraschend genau vorweggenommen worden.
„Die Betroffenen stehen im Verdacht, Mitglieder einer Vereinigung zum Begehen von Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und schwerer rechtsextremistischer Straftaten zu sein und drei flüchtige Straftäter in der Illegalität zu unterstützen“, zitierte das Blatt aus den Akten.
Die Abhöraktion damals habe sich gegen das Neonazi-Trio gerichtet sowie gegen drei heutige Beschuldigte im NSU-Verfahren und eine weitere Person. Noch 2010 seien Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt als gefährlich eingestuft worden.
Der Sonderbeauftragte des Bundesinnenministeriums, Hans-Georg Engelke, wird am Donnerstag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen. Er sollte die Affäre um geschredderte Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz prüfen. Dort hatte ein Mitarbeiter kurz nach dem Auffliegen der Terrorzelle im November 2011 Unterlagen mit sensiblen Informationen vernichten lassen.
Nach einem Bericht des „Tagesspiegels“ fand Engelke aber keine Hinweise darauf, dass der Mann Verbindungen des Verfassungsschutzes zu der Terrorzelle vertuschen wollte. Der Mitarbeiter soll vielmehr aus Angst gehandelt haben, weil Fristen zur Löschung der Akten überschritten waren. Das Bundesinnenministerium kommentierte den Bericht nicht, sondern verwies auf die Aussage von Engelke am Donnerstag.