Gesundheitsminister Bahr plant Vorstoß zur Früherkennung: Regelmäßig sollen die Kassen schreiben. Kritik von Experten und aus den Bundesländern
Hamburg/Berlin. Wer in Australien raucht, holt die Zigarette in Zukunft aus schlammfarbenen Packungen, auf denen unappetitliche Bilder zu sehen sind: Krebsgeschwüre und Raucherlungen in Nahaufnahme. Die Tabakindustrie hatte gegen die neuen Verpackungsvorschriften geklagt - und verloren. Der Anteil der Raucher unter den Australiern geht seit Jahren zurück. Auch wenn die Zigarettendreher den Zusammenhang von Werbung und Tabakverkauf vor allem an Jugendliche nicht sehen wollen, jubeln die Mediziner: "Das ist ein Riesensieg für die Tabakprävention", so Martina Pötschke-Langer vom Heidelberger Krebsforschungszentrum. "Wenn Australien voranschreitet, kann das auch Europa."
In Deutschland ist eine derart drastische Werbevorschrift nicht denkbar. Hier müssen Warnhinweise auf möglicherweise tödliche Wirkungen von übermäßigem Zigarettenkonsum reichen. Aber: Zur Krebsvorsorge legt der liberale Gesundheitsminister Daniel Bahr am Dienstag seinen Ministerkollegen einen Plan vor, der wie bei der Organspende vorsieht, dass die Krankenkassen ihre Versicherten regelmäßig anschreiben und zur Vorsorgeuntersuchung animieren. Dieses neue Gesetz sollen das Kabinett und der Bundestag ohne Beteiligung der Bundesländer beschließen. Deshalb gibt es Widerstand auch aus Hamburg, wo im Jahr 1926 das erste Krebsregister der Welt eingerichtet wurde.
Bahr plant, dass die Krankenkassen ihren Versicherten regelmäßig Einladungen zu Darm- und Gebärmutterhalskrebs-Untersuchungen schicken. Bereits heute bekommen 50- bis 69-jährige Frauen alle zwei Jahre Schreiben zur Brustkrebs-Früherkennung. Bahr hat als Ziel ausgegeben, "dass jeder rechtzeitig zu der für ihn sinnvollen kostenlosen Früherkennung eingeladen wird". Die genauen Altersgrenzen und der Einladungsrhythmus sind aber noch offen.
+++Gesundheitsminister Bahr will Krebsvorsorge verbessern+++
Bei Darmkrebs kommen Menschen ab 50 Jahren infrage, bei Gebärmutterhalskrebs Frauen zwischen 20 und 65. Kostenpunkt für die Aktionen: 23 bis 66 Millionen Euro. Der Referentenentwurf für das Gesetz ist optimistisch: "Durch eine rechtzeitige Entdeckung und Beseitigung von Darmkrebs-Vorstufen im Rahmen der Früherkennung ließe sich ein großer Teil der jährlich circa 65 000 Darmkrebsneuerkrankungen verhindern."
Doch ist eine Früherkennungsuntersuchung immer von Nutzen? Der Test auf Blut im Stuhl sei nicht sehr valide, sagt die Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender. Wird Blut entdeckt, folgt in der Regel eine Darmspiegelung. "In drei von 1000 Fällen gibt es dabei schwere Komplikationen." Mehr Studien zum Nutzen der einzelnen Vorsorgeschritte seien nötig.
In Hamburg sind die am weitesten verbreiteten Krebsarten für Männer Prostata- (1145 Fälle im Jahr), Lungen- und Darmkrebs. Bei Frauen sind es Brust- (1455 Fälle pro Jahr), Darm- und Lungenkrebs. Vor allem bei Prostatakrebs ist strittig, ob schon der Test darauf sinnvoll ist und inwieweit man das "volle Programm" bei älteren Patienten anwenden muss.
Nach einer Studie der Barmer GEK beginnt für viele Prostatakrebs-Patienten das Leid erst mit einer Operation: 70 Prozent beklagen nach einem Eingriff Erektionsprobleme, die Hälfte hat weniger Lust auf Sex, 16 Prozent werden inkontinent. Da der Krebs oft sehr langsam wächst, sterben die Patienten oft nicht an ihm, sondern mit ihm.
Allerdings ist Krebs die Todesursache bei jedem vierten Verstorbenen in Deutschland. Deshalb dringt Minister Bahr auf die Einrichtung klinischer Krebsregister. Von der Diagnose über die Behandlungsschritte bis zur Nachsorge soll alles erfasst werden, um Therapien zu überprüfen und die Qualität in weniger erfolgreichen Kliniken zu steigern. Bislang gibt es mehrere Krebsregister parallel.
Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte: "Inhaltlich ist ein klinisches Krebsregister notwendig. Wir wollen dies in Hamburg und haben dazu bereits entsprechende Vorarbeiten geleistet. Aber die Länder müssen auch inhaltlich mitreden können." So sollen die Krankenkassen und die Länder die Kosten dafür tragen, aber der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legt die Regeln fest. Prüfer-Storcks sagte weiter: "Wichtig ist aber auch, dass wirklich relevante Daten gesammelt werden. Aber auch nicht mehr, um unnötige Bürokratie auch für die Ärztinnen und Ärzte zu vermeiden."
Die Deutsche Krebsgesellschaft sieht einen großen Vorteil in der Postaktion der Krankenkassen, die Minister Bahr plant. Generalsekretär Johannes Bruns sagte, gerade beim Darmkrebs könne man in einem frühen Stadium noch erfolgreich behandeln. Die Diskussion um die Finanzen zwischen Politik und Krankenkassen sei erwartbar. "Wir haben aber gesehen, dass in Bayern, Brandenburg und Thüringen mit diesen Registern gute Ergebnisse für die Patienten erzielt wurden." Nach seiner Einschätzung koste die Registrierung von Erkrankungen bundesweit lediglich das Doppelte dessen, was derzeit allein für die Programme für Brustkrebs ausgegeben werde. Dorthin flössen 25 bis 30 Millionen Euro.